Vielleicht hatten Sie ebenfalls das Glück, enttäuscht zu werden und gleichzeitig in verdunkelten Hinterzimmern, Schreinereien am Stadtrand oder abgelegenen Schutzhäusern mutige Künstler kennenzulernen, die die «Pandemie» als das erkannten, was sie war – nämlich Lug und Trug –, und das in ihrer Arbeit zum Ausdruck brachten. Und möglicherweise sind Ihnen ebenfalls die Tränen gekommen, als Sie große Kunst während der monatelangen Schließungen und Betretungsverbote an geheimen improvisierten Spielstätten erleben mussten. Falls dem so ist, sind Ihnen einige der Künstler, die Eugen Zentner in seinem beim Massel-Verlag erschienenen Buch vorstellt, bestimmt schon persönlich begegnet. Der oppositionelle Journalist hat in «Kunst und Kultur gegen den Strom» viele Vertreter dieser Subkultur, deren gemeinsamer Nenner es ist, sich weiterhin dem Irrsinn zu widersetzen, zusammengestellt und porträtiert.
«In Krisenzeiten sollte die Kunst- und Kulturbranche eigentlich auf Missstände hinweisen. Sie sollte den Finger in die Wunde legen, der Gesellschaft den Spiegel vorhalten und mit Kassandrarufen vor Fehlentwicklungen warnen.»
So die einleitenden Worte des Autors. Und er liefert im weiteren Verlauf des Werks auch Erklärungen, warum – seit es wirklich wieder um etwas geht – so viele Künstler diese Grundregel aufgegeben und sich selbst verraten haben. Inzwischen ist die Mainstream-Kunst laut Zentner dazu übergegangen, «nach unten zu treten – gegen alle, die sich den offiziellen Narrativen nicht fügen wollen», statt nach oben zu treten und «die Obrigkeit in Politik und Wirtschaft für ihr Fehlverhalten zu rügen und zu verspotten».
Die unangepasste Kulturszene
Aber der vorliegende Band konzentriert sich vor allem auf die positiven Beispiele, also auf Künstlerinnen und Künstler, die feinsinnig auf die generalstabsmäßig geplante und durchgeführte Zerstörung der Bürgerrechte reagieren, anstatt sich ohnmächtig zu ergeben, und die inzwischen in einer alternative Kulturszene zueinandergefunden haben. Dabei beschreibt der Autor auch die Widrigkeiten, denen sich diese mutigen Kunstschaffenden immer erfolgreicher entgegenstellen, und damit beweisen, dass es ein Leben nach der Diffamierung und trotz Cancel Culture gibt.
Jeweils ein Kapitel widmet der Autor den Kunstsparten Kabarett, Musik, Bildende Kunst und Literatur und stellt darin sowohl große Namen vor, die also schon früher im Rampenlicht standen, als auch Newcomer, die zu ihrem «einstigen Hobby» zurückgefunden haben. Im fünften und letzten Abschnitt geht es schließlich um alternative Kulturinstitutionen, wie zum Beispiel Festivals, Wettbewerbe, Initiativen oder Veranstalter, die diese Künstler abseits des Mainstreams sichtbar machen.
Dank seiner einfühlsamen Werk- und Inhaltsbeschreibungen schafft es Zentner, all die Momente seit 2020 wachzurufen, in denen kritische Songs freiheitsliebenden Menschen dabei geholfen haben, sich nicht der Verzweiflung hinzugeben. Auf den Seiten über Bildende Kunst setzt er aktuelle widerständische Kunst in einen geschichtlichen Zusammenhang mit früherer «Kunst, die nicht im Dienst der Politik stand und sich aktiv am Tagesdiskurs beteiligte». Und er macht auf das «Spannungsverhältnis zwischen Propaganda und Widerstand» und die heute viel «subtilere» politische Einflussnahme aufmerksam, die «etwa über Projektförderungen, Ausschreibungen und Stipendien» stattfindet.
Blick auf vergangene Zeiten
Mit dem Biedermeier vergleicht Zentner, der selbst in Literaturwissenschaften promovierte, die gegenwärtige Literaturlandschaft. Ihm zufolge hat das «autoritäre Klima» die Corona-Krise überdauert und «ist auf dem besten Wege, zum Normalzustand zu werden». Er schreibt:
«Leider jedoch bekommt dies niemand mit, weil sich etablierte Schriftsteller an diesen Themenkomplex nicht heranwagen. (...) Wer sich traut, sind wieder einmal Newcomer, Self-Publisher und semiprofessionelle Autoren ohne großen Bekanntheitsgrad.»
Hier zieht der Autor Parallelen zu den Vertretern des Jungen Deutschlands und stellt im Kapitel über Literatur einige der Neuen vor und erwähnt auch, wo sie zu finden oder zu hören sind.
Des Öfteren kommen die unangepassten Künstler – darunter Kabarettisten, Rock-Musiker, Karikaturisten und Schriftsteller – auf den 180 Seiten selbst zu Wort und erklären, warum sie ihren Stil nicht ändern wollen und lieber den unbequemen Weg nehmen. So bekommt der Leser Einblick in die schwierige Situation der Kompromisslosen, wenn diese sich für Freiheit und Frieden einsetzen, und kann deren Um- und Auswege aus der Zensur nachvollziehen.
Hin und wieder – und völlig zu Recht – finden sich auch Seitenhiebe auf die «Helden unserer Jugend» in dem Band, wenn Zentner beispielsweise an einer Stelle schreibt: «Wer sich aber nicht bewegt, spürt die Fesseln nicht – und somit auch nicht die drakonische Unterdrückung. Vermutlich musste man am eigenen Leib erfahren, was ständige Gängelung, Diffamierung, Kontosperrungen und wiederholte Polizeimaßnahmen anrichten (...).»
Gesellschaftliches Korrektiv
Mahnende Worte findet Zentner, der als freier Journalist für Apolut, Kontrafunk oder auch Transition News arbeitet und einen eigenen Kultur-Blog betreibt, für seine Kollegen bei den alternativen Medien und fordert dazu auf, öfter über die kritische Kulturszene und deren Vertreter zu berichten. Aber er sieht noch weiteren Verbesserungsbedarf: «Es fehlen noch immer Ressourcen und Institutionen, Mäzene und Veranstalter mit Rückgrat, Agenten und Visionäre.» In seinem Fazit ruft er dazu auf, «die alternative Kulturszene in der einen oder anderen Form zu unterstützen», denn:
«Kritische, unangepasste Kunst muss verbreitet werden. Sie muss im öffentlichen Raum präsent sein, um ein Gegengewicht zu bilden. Sie darf das Feld nicht der Cancel Culture überlassen, sonst wird die Kunst insgesamt öde und langweilig. Sie verliert ihre gesellschaftliche Funktion als Korrektiv und verkommt zum Propagandainstrument, das den Geist der Aufklärung narkotisiert.»
«Echte Kabarettisten sind rar geworden», stellt der Autor im ersten Kapitel fest. Diese Kritik lässt sich leider auf den gesamten Kunst- und Kulturbereich ausweiten. Umso wichtiger ist Zentners nun vorliegende Bestandsaufnahme der alternativen Kulturszene – mit praktischem Anhang, in dem alle im Buch vorgestellten Dissidenten und Institutionen mit ihrer Website aufgelistet sind. «Kunst und Kultur gegen den Strom» – der dritte Band in der Reihe «The Great Weset» – macht neugierig und lädt die Leser dazu ein, auf Entdeckungsreise zu gehen, ihren Kunst- und Kulturhorizont zu erweitern und neue Lieblingskünstler zu finden.
Eugen Zentner: «Kunst und Kultur gegen den Strom»
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