Das war das pure Grauen: Ein oder zwei Männer stechen mitten im Stadtfest wahllos auf Menschen ein. Drei haben sie auf der Stelle getötet, rund zehn weitere liegen mit zum Teil schwersten Verletzungen in den Krankenhäusern und ringen um ihr Leben. Wer das miterlebt hat, ist für sein Leben gezeichnet.
Die Täter konnten zunächst flüchten; eine ganze Stadt fand sich von einer Stunde auf die andere im Belagerungszustand wieder. Gestern Mittag schließlich hat sich der junge Syrer offenbar der Polizei gestellt, wie die Bild-Zeitung meldete. Zuvor schon wurde offenbar ein 15jähriger Jugendlicher festgenommen.
Der Schock sitzt tief. Man wagt es kaum, sich vorzustellen, was in den Betroffenen vor sich geht: den Verletzten, denen, die es mit anschauen mussten, und vor allem den Hinterbliebenen.
Ich sehe das ganze Geschehen auch als ein Menetekel: als eine Mahnung gegen den Geist der Zeit, die wir wahrnehmen, die wir ernstnehmen sollten. Denn es kann kein Zufall sein, wie hier mehrere Dinge ineinandergreifen:
- Das Solinger Stadtfest zur 650-Jahr-Feier wurde modisch-pathetisch zum «Fest der Vielfalt» gekürt, eine gemachte Vielfalt, die seit Jahren auch immer mehr Mord und Totschlag ins Land bringt: bis zu drei Gruppenvergewaltigungen pro Tag und rund 14.000 Messerangriffe pro Jahr. − «Man will das gar nicht wahrhaben, was man hier sieht», meinte Herbert Reul, der Innenminister von Nordrhein-Westfalen, selbstentlarvend.
- Ausgerechnet der Bürgermeister von Solingen hat in den vergangenen Jahren mit dafür gesorgt, dass die «Vielfalt» unüberschaubar wurde. Gegen ihn wird nun ermittelt, weil er − wie auch der Innenminister selbst − viel Geld von Schleusern angenommen habe, um Illegale ins Land und in die Stadt zu holen. Jetzt zerreiße es diesem Bürgermeister das Herz, wie er nun zitiert wird.
- Gerade Solingen gilt weltweit als die Stadt der Messer. Wahnwütige Islamisten haben diesem Ruf nun einen morbiden Klang hinzugefügt. Man darf gespannt sein, ob im November die ZDF-Journalistin Dunja Hayali tatsächlich in Solingen die Auszeichnung «Die Schärfste Klinge» erhalten wird.
Das sind Menetekel, die es zu lesen gilt. Das Wort selber stammt aus einer Erzählung im Buch Daniel. Der babylonische König Belsazar hatte seinen Bogen der Selbstherrlichkeit überspannt. Während eines Gelages zeichnete eine Geisterhand die Worte an die Wand: «Mene mene tekel u-parsin» (Daniel 5, Vers 25): «gezählt, gewogen und zerteilt». Seine Tage seien gezählt, er selber als zu leicht befunden, und das Reich werde bald geteilt werden, entzifferte das Daniel dem kreideweisen Herrscher.
Dreiteilig ist auch das Zeichen von Solingen:
- Soll es so weitergehen mit der importierten, aber ständig kleingeredeten Gewalt, gerade der religiös motivierten?
- Wieviel Unrecht und Korruption soll das Land noch verderben und das Blutvergießen befördern?
- Darf sich der wahrhaft vielfältige Geist des Todes in Politik, Justiz und Medien weiter ausbreiten?
Die ersten Reaktionen gehen mir jedoch in die Gegenrichtung. Das Liedchen «Nie wieder ist jetzt», gesungen auf dem gestrigen Kirchenfest in Solingen, zählt mir ebenso dazu wie bestimmte irre Omas, für die es «nun das Wichtigste» sei, «daß jetzt die Rechtspopulisten die Tat nicht instrumentalisieren», oder eine Polizei, die zunächst keine Täterbeschreibungen herausgeben wollte.
Aber eine «Verdrängung der Gewalt bringt tragische Konsequenzen», und «gesellschaftliche Ignoranz führt zu Massakern wie dem gestrigen», wie Boris Reitschuster ganz richtig feststellt. Wer jetzt bagatellisiert und die Zeichen auf dem Solinger Pflaster nicht wahrhaben will, der macht sich schuldig.
Denn solche Menschen würden den Weg freimachen für ähnliche Taten, die man sich dann lediglich als tragische Einzelfälle aneinanderreiht. Damit aber gäbe man Land und Leute einer wachsenden Verunsicherung und Angst preis, und selber geriete man in eine zunehmende Verhärtung und Verblendung, die einen für jedes öffentliche Reden und Wirken disqualifizieren würde. Eine verweigerte Diagnose war noch nie ein Mittel zur Heilung.
Die Weissagung an Belsazar traf dann tatsächlich in verhängnisvoller Weise ein. Die Zeit war reif dafür. Möge sie für Solingen, möge sie für unsere Länder noch nicht reif sein!
Bewahrung vor weiterem Unheil hängt auch davon ab, ob wir uns die Augen öffnen lassen für eine Umkehr zu Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit, Entschiedenheit. Wer das hingegen sogar jetzt noch verweigert, hat Amt und Ansehen verwirkt und betreibt unter dem Deckmantel der Menschenfreundlichkeit das Werk des Feindes.
Gerade dadurch, dass wir uns mit «allerhand Flitter» und «Idealen» drapieren, schreibt Eugen Rosenstock-Huessy, «wird unser Machen gemeingefährlich» (Heilkraft und Wahrheit, Seiten 117f). Ein in Gottesfurcht erneuertes Denken aber bewirkt, «daß ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene» (Römer 12,2). Eine solche Leiterschaft haben unsere Dörfer und Städte und Länder nötiger denn je.
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Wort zum Sonntag vom 18. August 2024: Goldene Kälber und holzige Hirten
Lothar Mack war als Gemeindepfarrer und bei verschiedenen Hilfswerken und Redaktionen tätig. Sein kritischer Blick auf Kirche und Zeitgeschehen hat ihn in die Selbständigkeit geführt. Er sammelt und ermutigt Gleichgesinnte über Artikel und Begegnungen und ruft in Gottesdiensten und an Kundgebungen zu eigenständigem gläubigem Denken auf. Sein Telegram-Kanal lautet StimmeundWort.
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