Gut gemeint ist vieles. Ob es auch gut herauskommt, das steht oft auf einem anderen Papier.
Irgendwann müsse das große Reinemachen doch anfangen und das Unrecht der Corona-Zeit gesühnt werden, damit keine Verbrecher mehr frei herumliefen. Was hindert uns, endlich ans Werk zu gehen? Den Kriegstreibern und Hedonisten in den Parlamenten dürfe man doch nicht länger zuschauen. Wer fällt ihrem mörderischen Treiben denn endlich in den Arm?
Gutgemeint, zweifellos. Aber eine Rückfrage fehlt noch: Wann ist die Zeit reif für doch offenkundig nötige Veränderungen? Bekanntlich muss zur guten Idee immer auch der passende Zeitpunkt hinzukommen. Sonst ist es danach schlimmer als vorher.
Das gilt auch für die beiden genannten Beispiele. Gerechtigkeit und Menschlichkeit müssen immer und überall gelten oder eingefordert werden, und doch hängen das konkrete Vorgehen und die damit verknüpften Ziele auch von äußeren Faktoren ab. Eine Zeit ist mitunter erst dann gekommen, wenn der böse Part sich aus-gereift hat.
Darum geht es in der sinnigen Bildrede von Jesus. Mitten in dem langen Abschnitt der Kapitel 12 und 13 über verschiedene Scheidungen zwischen den Menschen steht im Matthäus-Evangelium das berühmte Gleichnis vom «Unkraut unter dem Weizen»:
Wer oder was ist unter diesem «Tollkraut» zu verstehen? Rein botanisch handelt es sich um den Taumellolch, der ähnlich dem damaligen Weizen zweireihige Ähren ausbildet und damals weitverbreitet war. Einmal im Brot kann er Erbrechen und Schwindel auslösen, also taumeln machen. Rechtzeitig herausgerissen, würde also noch etwas aus der Ernte. Ansonsten liefe der Bauer doch Gefahr, vergiftetes Mehl abzuliefern. Es könnte sich also bei seinen aufmerksamen Knechten bedanken.
Tut er aber nicht. Sondern beide Pflanzen sollen nach den Worten des Hausherrn erst einmal ausreifen. Der Schaden bei vorzeitigem Jäten würde größer ausfallen als der Nutzen und am Ende gar ebenso den Weizen zerstören. Zweierlei hingegen stellt der Bauer im Gleichnis nicht infrage: die rechte Erkenntnis seiner Knechte, dass sich hier Lebensfeindliches breitmacht, sowie die Einsicht, dass es damit ein Ende haben muss.
Dieses Ende geht dann sogar übers bloße Ausreißen hinaus. In Büschel gebündelt wie Erntegarben, wird das Kraut ins Feuer geworfen − eine Bildrede für das große Gericht am Ende der Zeiten. Aber dieses Ende ist erstens noch nicht da und zweitens in keinster Weise durch Menschen zu vollziehen.
Das Böse offenbart sich über kurz oder lang selber, es entstellt sich zur Kenntlichkeit, wie es so treffend heißt. Auf unsere obigen Bespiele bezogen: Wachen Geistes erkennen wir durchaus, wo lebensfeindliche Mächte am Werk sind und wer in ihren Diensten steht, und wir fordern zu recht, dass es damit ein Ende haben und Gerechtigkeit und Frieden triumphieren mögen, und das nicht erst an einem empfundenen Sankt-Nimmerleins-Tag.
Was wir hier aber niemals erreichen werden, ja nicht einmal anstreben dürfen, das ist das reine, das bereinigte Feld. Der Unterschied zwischen einer Utopie und einer Vision ist der, dass eine Utopie innerweltlich umgesetzt werden soll, eine Vision dagegen weit über das hinausreicht, was man je erreichen kann. Utopisten verleumden Visionäre als Träumer, Visionäre zichtigen Utopisten der Kurzsichtigkeit.
Den Knechten im Gleichnis ist beides abverlangt: an ihrer Vision der reinen Ernte festzuhalten ebenso wie am Wahrnehmen irdischer Mißstände. «Der Feind» ist tatsächlich am Werk. Aber wer sich in seiner Gefolgschaft ausreift und wer nicht, das ist noch nicht ausgemacht.
Es geht hier also nicht darum, den Visionären von Gerechtigkeit und Frieden Zügel anzulegen und Feindessaat zu fördern. Wie sonst könnte Jesus diejenigen seligsprechen, die sich nach beidem sehnen und sich dafür einsetzen? Aber sie sollen ihre Vision nicht zur Utopie verkommen lassen und als ideologisierte Trampeltiere das Feld zerstören.
Die Ernte ist und bleibt verheißen, in beiderlei Gestalt; aber zu ihrer Zeit und in des Hausherrn Macht.
************
Wort zum Sonntag vom 6. Oktober 2024: Jesus, die Macht und wir
Lothar Mack war als Gemeindepfarrer und bei verschiedenen Hilfswerken und Redaktionen tätig. Sein kritischer Blick auf Kirche und Zeitgeschehen hat ihn in die Selbständigkeit geführt. Er sammelt und ermutigt Gleichgesinnte über Artikel und Begegnungen und ruft in Gottesdiensten und an Kundgebungen zu eigenständigem gläubigem Denken auf. Sein Telegram-Kanal lautet StimmeundWort.
Kommentare