Unsere Zeit stellt permanent die Machtfrage. Wer setzt sich durch und auf wessen Kosten? Das Schlachtfeld eines Parlaments steht jenem in freier militärischer Wildbahn kaum nach. In herzlosem Kalkül werden bisherige Maßstäbe von Ethik, Anstand, Menschenwürde beiseite geräumt, wenn sie dem eigenen Herrschaftsstreben im Wege stehen.
Ich muss mich gar nicht in die entsprechenden Beispiele aus Thüringen und anderswo verlieren oder ins mörderische Dickicht von Nahost eindringen wollen. Ein Geruch von Betrug und Verbrechen ist schon aus weiter Ferne wahrnehmbar. Und bewirkt eine Mischung aus hilfloser Auflehnung und wütender Ohnmacht.
So erging es zunächst einer Bekannten. Sie wandte sich schriftlich an die Geschäftsleitung ihrer Sparkasse und beschwerte sich über die Gender-Anrede, von der sie sich als Frau zurückgesetzt fühlte. Nach zweimaligem Hin und Her wurde ihr das Konto gekündigt − ohne ihr dafür einen Grund zu nennen.
Andere Freunde sind seit langem zeitkritisch unterwegs. Das scheint «nach oben» gedrungen sein. Die Stadtwerke fingierten ihnen eine hohe vierstellige Strom-Nachzahlung, und ein Nachbar verleumdete sie zusätzlich wegen angeblicher Nähe zu einer verpönten Partei. Jetzt ist der Strom gesperrt, und der Winter steht vor der Tür.
Jeder von ihnen war zunächst einmal geschockt, hat in einer zweiten Phase um eine Einordnung des Geschehens gerungen und ist jetzt dabei, Lehren draus zu ziehen; je nach dem Vorgefallenen eher persönliche, juristische und auch mediale. Man sucht wieder seinen Boden. Ja, wo ist der − nach so einer Erfahrung und an sich?
Der Gegenbegriff zu Ohnmacht lautet jedenfalls nicht Macht, sondern Souveränität, Boden-Ständigkeit im besten Sinn des Wortes. Das hatte ich im Wort zum Sonntag von der vergangenen Woche bereits hervorgehoben: Der ausgelieferte, gefangene, bereits gefolterte Jesus steht dem Befehlshaber der Römer gegenüber − und zeigt keine Anzeichen von Unterwürfigkeit.
Statt einer gebrochenen Gestalt, die vor ihrem Machthaber beschwichtigt, fleht, ausweicht, kommt einem aus den Erzählungen ein souveräner Mensch entgegen. Aber das musste erst errungen sein. In größter Verzweiflung, so wird uns berichtet, suchte er angesichts der drohenden Gefahr ein Ja zu seinem Weg. Vor seinem Gott wurde er schwach, um dann vor Menschen klar zu stehen:
Pilatus sprach zu Jesus: «Woher bist du?» Aber Jesus gab ihm keine Antwort. Da sprach Pilatus zu ihm: «Redest du nicht mit mir? Weißt du nicht, dass ich Macht habe, dich loszugeben, und Macht habe, dich zu kreuzigen?» Jesus antwortete: «Du hättest keine Macht über mich, wenn es dir nicht von oben gegeben wäre. Darum hat, der mich dir überantwortet hat, größere Sünde.» − Von da an trachtete Pilatus danach, ihn freizulassen.
Johannes 19,9-12
Das Verhalten von Jesus hat drei Kennzeichen:
- Es ist von großer innerer Sicherheit geprägt. Wann er redet, was er redet, wie er redet, darüber bestimmt weiterhin er selbst. Die eigene Würde braucht und verträgt keine Vor-Gesetzten, mögen deren Worte, Zeilen, Briefe, Bescheide noch so einschüchternd daherkommen.
- Er richtet seinem Gegenüber das aus, was dieser selber hören muss; von einer Selbst-Verteidigung keine Spur. Was brauchen selbstherrliche Buchhalter? Was brauchen Richter und auch Richterinnen mit einem noch hinter Karrieredenken verrammelten Geist? Was braucht jemand mit einer Einstellung von «die Demokratie bin ich»?
- In der Freiheit seines Geistes kann Jesus die ganze Lage in nur einem Satz zusammenfassen: «Du hättest keine Macht über mich, wenn es dir nicht von oben gegeben wäre.» Höchst zutreffend umschreibt er die Verfügungsgewalt seines Richters. Sie ist nur eine delegierte, das heißt nach Zeit und Bereich begrenzt und selber verantwortlich. Die Grenze des Systems ist damit markiert.
Auch unsere eigene Zeit stellt permanent die Machtfrage, im großen wie im kleinen. Sie gibt uns damit im Gefolge dieses Jesus Gelegenheit,
- den eigenen souveränen Stand einzunehmen und zu festigen,
- herauszuspüren, was mein Gegenüber nun braucht, und
- die Situation freimütig in Worte zu fassen.
Jesus als bloßes Beispiel reicht dafür nicht aus. Wenn es drauf ankommt, schmelzen innere Appelle und Zielvorgaben rasch dahin. Das stärkere Mittel ist die Einheit des Geistes mit Ihm, dem Auferstandenen.
«Aber vor diesem allen [den Ereignissen der Endzeit] werden sie Hand an euch legen und euch verfolgen und werden euch überantworten den Synagogen und Gefängnissen und euch vor Könige und Statthalter führen um meines Namens willen. Das wird euch widerfahren zu einem Zeugnis. So nehmt nun zu Herzen, dass ihr euch nicht sorgt, wie ihr euch verteidigen sollt. Denn ich will euch Mund und Weisheit geben, der alle eure Widersacher nicht widerstehen noch widersprechen können.» Lukas 21,12-15
Da haben wir also schwarz auf weiß: Solche Härten werden kommen, aber dort geht es nicht in erster Linie um die Abgeführten, sondern um die Ankläger selbst: ihnen «zu einem Zeugnis», und das mit Worten, denen sie «nicht widerstehen noch widersprechen können».
Einheit des Geistes also, die den eigentlich Ohnmächtigen Haltung und Worte und damit einen Boden ungeahnter Souveränität schenken. Viele Menschen haben das in den vergangenen Jahren bereits erlebt und sind nach einer Phase des Schreckens in einer Klarheit aufgetreten und weitergegangen, über die sie selber am meisten gestaunt hatten.
In solchen Zusammenhängen nun gilt das bekannte Wort:
«Und das ist es, was uns die Welt besiegen lässt: unser Glaube.» 1. Johannes 5,4
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Wort zum Sonntag vom 29. September 2024: Jesus und die Macht
Lothar Mack war als Gemeindepfarrer und bei verschiedenen Hilfswerken und Redaktionen tätig. Sein kritischer Blick auf Kirche und Zeitgeschehen hat ihn in die Selbständigkeit geführt. Er sammelt und ermutigt Gleichgesinnte über Artikel und Begegnungen und ruft in Gottesdiensten und an Kundgebungen zu eigenständigem gläubigem Denken auf. Sein Telegram-Kanal lautet StimmeundWort.
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