Wie weiter in einem Land, das dabei ist, zum Selbstbedienungsladen korrupter Regenten und Nochnicht-Regenten zu verkommen? Man reibt sich die Augen und findet sich wieder in biblischen Zeiten. «Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an», erklärt Jesus Seinen Jüngern aller Zeiten.
Der deutsche Wahlbetrug samt Billionendrama steht bezeichnend für die abgrundtiefe Orientierungslosigkeit unserer Zeit. Sie wird auf der einen Seite überspielt mit anschwellenden Kämmen politisch überzüchteter Kampfhähne und auf der anderen Seite mit resigniertem Rückzug des Stimmviehs in ein Gehege verbliebener Vertrautheiten. Aber sie ist nicht zu leugnen.
Der dritte Weg, der einem Denker der Nachkriegszeit vorschwebte, ist noch weitgehend unbeschritten: die Hoffnung des Werner von Trott zu Solz nämlich, «daß die Liebe zum Vaterlande nicht nur in das Elend und das ursprüngliche Leben des christlichen Paria zu führen» vermag. Sondern sie möge «den Christen» gebären, «dem durch die Begegnung mit seinesgleichen das Vaterland von neuem geöffnet, durch den es in letzter Sekunde aus dem Verhängnis seines Untergangs befreit werden kann».
Solcher Pathos ist uns fremd geworden. Wir haben Kategorien des Anrufs durch solche des Aufrufs ersetzt. Wir hören weniger als wir gehört werden wollen, ob nun im «Widerstand» oder im «Mainstream». Die Taubheit ist artübergreifend geworden. Das neue Hören möge es ebenfalls werden.
Unmittelbar nach dem Krieg hatte jener Adlige auf seinem Gut Imshausen in Hessen «die wichtigsten Vertreter des ‹politischen und kulturellen Lebens› » eingeladen. In einem Beitrag zu dem Buch «Rechtes Christentum?», erschienen 2018 im Ares-Verlag, habe ich versucht, diese Anläufe in Imshausen nachzuzeichnen. Die Zitate hier entnehme ich von Trotts Aufsatz-Sammlung «Der Untergang des Vaterlandes» aus dem Jahr 1965, Seiten 7 bis 48.
In größtmöglicher Offenheit und Freimut sollten die Fragen und Nöte der Zeit zur Sprache kommen; Menschen, «von denen er annahm, dass sie noch nicht in den Kategorien der Militärregierungen dachten». Bloße Parteigänger und -vertreter hätten also keine Aufnahme gefunden.
Kampf und Aktion auf der einen Seite, konsterniertes Schweigen auf der anderen − und dazwischen das stellvertretende Hören und Sprechen in der Stille gemeinsamer Vertiefung.
Die war und ist auch nötig, «weil in unserem Land der Zugang zu den zentralen Problemen und Aufgaben der Praxis durch deren ideologische Verschalung verschlossen ist», wie es im Programm der Gesellschaft Imshausen von Ostern 1948 heißt. Die vierseitige Schrift entpuppt sich bei näherem Hinsehen als ein geistiges Schatzkästchen erster Güte. Sie umreißt für mein Dafürhalten genau das, was auch heute nottut: jenes doppelte Hören auf die Zeit und aufeinander.
Keine einfache Sache, gesteht auch von Trott. So ein Austausch ist vielmehr «eine Gefahrenzone, aus der keiner, der sich ihr wirklich aussetzt, unverändert und ohne Wunden herauskommt», sondern «wo wir bereit sind, uns auch auf Kosten unserer Vorurteile gegenseitig ernst zu nehmen und uns bewußt in jene Unsicherheit zu stellen, die unsere vorgefaßten Überzeugungen, an die wir im Grunde kaum noch glauben, nur verdecken».
Wer sich aufplustert, der ist ein «kleiner Mann», wie die Bundestagsabgeordnete Joana Cotar in ihrer Rede aus der vergangenen Woche den Merz-Sprießling tituliert hatte. Wer dagegen sich und seine Meinung riskiert um seiner Mitmenschen willen und «das Untergründig-Verbindende gerade dieser Situation» ans Licht und ins Wort kommen lässt, der spurt Zukunft vor − damit «wir nicht als Gefangene der Situation ihr Opfer werden».
Denn es müsse durchaus
«die Möglichkeit eingeräumt werden, daß in einem Volke unter besonderen historischen Voraussetzungen die Demokraten entscheidend in die Minderheit geraten könnten».
Mir mündet das in die Frage: Wo finden heute solche Begegnungen statt? Wo sind die Männer und Frauen, die gemeinsame eine solche «Keimhaltung der Seele» (Eugen Rosenstock) einnehmen, weil sie eben nicht «als Herrscher gelten» wollen, die andere niederhalten; «die ihr Vaterland nicht verlassen wollen, sondern es in seiner Verlassenheit erst lieben lernten»?
Das eingangs zitierte Jesuswort geht weiter. Jene Machthaber sind nur die Negativ-Folie dessen, was unter Seinen Nachfolgern gelten möge: dass nämlich,
«wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein, und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein».
Das besagte zweifache Hören ist dessen Voraussetzung.
*************
Wort zum Sonntag vom 15. März 2025: Leben aus dem Unerfüllten
Lothar Mack war als Gemeindepfarrer und bei verschiedenen Hilfswerken und Redaktionen tätig. Sein kritischer Blick auf Kirche und Zeitgeschehen hat ihn in die Selbständigkeit geführt. Er sammelt und ermutigt Gleichgesinnte über Artikel und Begegnungen und ruft in Gottesdiensten und an Kundgebungen zu eigenständigem gläubigem Denken auf. Sein Telegram-Kanal lautet StimmeundWort.
Kommentare