Wie gehen wir um mit den vielen Meldungen über schlimme Dinge? Man solle sie «teilen, teilen, teilen», heißt in den Kanälen. Ein «Must read» ist oft das Minimum, wenn einer etwas unters Volk bringen will, gefolgt von amerikanischem Grusel-Vokabular à la «shocking», «disturbing», «graphic».
Ja, wir gehen wir damit um? Führt das meiste von dem, was als Aufklärung gedacht war, einen hinaus übers wohlinformierte Zuschauertum? Der wohlerschlagene Zuschauer jedenfalls würde keinen Finger mehr rühren für eine bessere Welt; seine vielzitierte Bewusstseinsstufe dürfte eher nach unten führen denn nach oben.
Die Spannung steigt noch, wenn sich Meldungen und Entwicklungen zu einem bedrohlichen Ganzen zusammenreimen. Man ahnt dann um das sich abzeichnende Verhängnis und weiß sich ihm gegenüber umso ohnmächtiger. Impf-Ausweis in Österreich, «E-ID» in der Schweiz, Demokratieverachtung in Deutschland, «Zukunftspakt» bei der UNO − die Wogen könnten über einem zusammenschlagen. Tun sie mitunter auch.
Aktivwerden im persönlichen Umfeld wird einem dann gerne angeraten; die Dinge nicht zu groß werden lassen, sie auf das soweit «Händelbare» herunterbrechen, am einen und anderen Protest teilnehmen, … Ja, man setzt damit gute Zeichen und verliert nicht ganz den Atem. Aber je reflektierter jemand ist, desto härter spürt er die Last auf seinen Schultern.
«Solange (…) noch geschimpft wird, ist es nicht schlimm», erklärte ein Berliner dem Schweizer Kaufmann Konrad Warner − ein Pseudonym − im Kriegsjahr 1943. Berufliche und persönliche Gründe hatten ihn in der immer schwerer bombardierten deutschen Hauptstadt ausharren lassen. Seine Erlebnisse brachte er bereits im Jahr darauf bei einem Schweizer Verlag heraus. Sein Besucher fuhr fort:
«Das Schimpfen ist meist ein Zeichen von Ohnmacht. Viel ärger sind die anderen dran, die alles in sich hineinfressen müssen, die nicht wagen dürfen, ein lautes Wort zu sprechen und die durch ihre Einsicht in die wahren Verhältnisse der Welt wissen können, was geschehen wird. Sie leiden schon Jahre vor dem Zusammenbruch, doch sie müssen Rücksicht nehmen, sie haben Stellung, Frau und Kind, die sie erhalten müssen. Und schliesslich will keiner im Konzentrationslager enden.»
Ohnmacht ist das Stichwort. Ausgeliefert fühlen sich auch heute viele Menschen, ausgeliefert den angedeuteten «Entwicklungen» und ihren Machthabern. Ausgeliefert und gebunden vor dem Richter und mit der Aussicht auf eine schwere lebensverändernde Strafe, alleingelassen von allen − stand Jesus vor Pilatus.
Das erste Verhör hat er schon hinter sich. Der Hass einer verblendeten Führerschaft treibt ihn seinem Verhängnis entgegen, das Ende ist bereits absehbar. Er aber schweigt. Mit diesem Akt der Würde kann ein Pilatus nicht umgehen, der sich durch die Anklage der jüdischen Priesterschaft selber in die Enge getrieben weiß. Er muß seine Autorität deutlich machen:
«Redest du nicht mit mir? Weißt du nicht, dass ich Macht habe, dich loszugeben, und Macht habe, dich zu kreuzigen?» Johannes 19,10
Die Antwort von Jesus ist verblüffend klar und knapp:
«Du hättest keine Macht über mich, wenn es dir nicht von oben gegeben wäre. Darum hat, der mich dir überantwortet hat, größere Sünde.» Johannes 19,11
Über dem, der mit seiner Macht prahlt, steht ein Größerer, und zwar unabhängig davon, ob der Gernegroß ihn anerkennt, «an ihn glaubt», oder nicht. Er hätte keine Macht, wenn sie ihnen nicht gegeben wäre, gegeben zur Bewährung, auf Bewährung.
«Wie benutzt ihr die, ihr Herren und Damen auf den Thronen? Welches Recht sprecht ihr? Sprecht ihr Recht? Eure Macht ist eine verliehene. Ihr werdet darüber Rechenschaft zu geben haben!» Und wie verhalten wir uns, wenn diese Macht missbraucht wird, wenn sie sich zum umfassenden Kontroll- und Kriegswahn steigert, wenn Unschuldige zu ihren Opfern werden?
Am besten ganz ähnlich wie jenes Justizopfer von damals: so lange wie möglich aufrecht mahnend, Verantwortung einfordernd. Mit dieser Ausrichtung laufen landauf, landab Petitionen, Kundgebungen und Märsche. Mit dieser Klarheit dürfen wir wie heute Sonntag zum Beispiel vor Rüstungsbetrieben unsere Stimme erheben und den Würgegriff elektronischer Ausweise anprangern.
Je aktiver einer das Böse betreibt, desto verantwortlicher ist er. Ein Pilatus konnte nach dem willfährigen Urteilsspruch versuchen, seine Hände in Unschuld zu waschen. «Größere Sünde» jedoch hatte derjenige, der es so weit hatte kommen lassen. Das persönliche Remedium ist die Reue, das gesellschaftliche ist das Strafrecht, ihr überzeitliches wäre die Erlösung durch Jesus, durch Seinen stellvertretenden Tod.
Bis dahin fallen viele, viel zu viele Menschen den bösen Umtrieben hiesiger Macht zum Opfer. Der Glaube an diesen Einen Überwinder möge und wird ihnen die Kraft geben zum klaren Wort und aufrechten Blick, wenn es ganz drauf ankommt, so dass wir «in dem allen weit überwinden durch den, der uns geliebt hat»; Römer 8,37
************
Wort zum Sonntag vom 22. September 2024: Klagen gehört dazu, aber …
Lothar Mack war als Gemeindepfarrer und bei verschiedenen Hilfswerken und Redaktionen tätig. Sein kritischer Blick auf Kirche und Zeitgeschehen hat ihn in die Selbständigkeit geführt. Er sammelt und ermutigt Gleichgesinnte über Artikel und Begegnungen und ruft in Gottesdiensten und an Kundgebungen zu eigenständigem gläubigem Denken auf. Sein Telegram-Kanal lautet StimmeundWort.
Kommentare