Bisher waren die Jesus-Abbildungen in der Kirche zwar «allzeit bereit zum inneren Gespräch und zur Andacht», aber doch «stumm und starr». Das hat sich inzwischen geändert. Der neue Jesus tritt den Besuchern in einer «sakralen Simulation» gegenüber, und zwar auf Knopfdruck.
Der Ort hätte skurriler nicht ausfallen können: im Beichtstuhl. Dort kann er «Fähigkeiten» unter Beweis stellen, «die Seelsorger so nicht haben», schwärmt Joseph 2.0 alias Markus Schmid, sein Erschaffer, nämlich zum Beispiel «24 Stunden verfügbar» sein, erläutert er der Deutschen Welle.
Beichtstuhl. Man denkt an persönliche Gespräche, an innerste Nöte, an ein einfühlsames Gegenüber, an eine Hilfe in und aus den Verwirrungen des Lebens. Doch von dem allen rät KI-Jesus explizit ab: «Geben Sie unter keinen Umständen persönliche Informationen preis. Die Nutzung erfolgt auf eigenes Risiko. Drücken Sie den Knopf, um zu bestätigen, dass Sie dies verstanden haben und zustimmen.»
Im biblischen Original heißt es noch: «Gott schuf den Menschen nach Seinem Bilde.» In der Religion gilt dann: «Der Mensch schafft sich Gott nach seinem Bilde.» Was hier soviel bedeutet wie: auf liebliche Weise unverbindlich. Wie sich die E-Gottheit gut datenschützerisch gegen wirkliches Anteilgeben verwahrt, so geht es auch seinem Schöpfer nur darum, «dann eine Basis zu haben, auf der man dann miteinander sprechen und diskutieren kann».
«Er hat mich bestätigen können in dem, wie ich unterwegs bin», klingt das aus dem Munde einer Besucherin. Weitergehende «persönliche Informationen», das wären womöglich Dinge gewesen, für die es weniger Bestätigung, dafür aber vielleicht echte Weg-Weisung gegeben hätte. − Fehlanzeige; im System nicht vorgesehen. Die E-Gottheit wurde nicht so programmiert.
Ankommen tut sie trotzdem. «Über zwei Drittel der Jesus-Nutzer geben an, dass sie mit einer spirituellen Erfahrung aus dem Beichtstuhl kommen», berichtet der Sprecher der Deutschen Welle. Damit könnte so etwas gemeint sein wie das Votum: «Ich hab mich aufgehoben gefühlt und bin jetzt wirklich erleichtert rausgegangen.»
Welche Begegnung hat dafür stattgefunden? Welche geistliche Nahrung wurde weitergegeben? Wieviel Wahrheit durfte in das Leben einkehren? Anders gefragt: Kann der «Deus in machina», als der dieser süße E-Götze offiziell vorgestellt wird, weitergehen als in ein unverbindliches Ja-Sagen und allgemein-religiöse Rückfragen?
In der griechischen Tragödie tauchte der Deus ex machina in den Situationen auf, die als menschlich unlösbar galten. Eine sogenannte Theatermaschine ließ ihn in die Szene hinuntertauchen und sie auflösen. In Luzern verschmilzt die E-Gottheit sogar mit der Maschine, löst hingegen nichts auf. Sondern vermittelt lediglich «spirituelle Erfahrungen».
Die Pfarrerin von Rickenbach bei Winterthur nahm im Herbst 2020 ihren segnenden Roboter in Schutz. «Es ist auf gar keinen Fall ein Spaß, so würd ich das auf gar keinen Fall sehen. Es ist ernst. Es ist in der Kirche, und es ist Gottes Wort in menschlicher Sprache.» Der damalige Reporter von Tele-Züri sah das nach einer Hörprobe etwas trockener: «So klingt der Segen auf Knopfdruck: wie richtig, halt einfach aus dem Automaten.»
Wohlgefühl statt Wahrheit? Süßigkeiten statt Nahrung? Visualisierung statt Begegnung? Faszination statt Geist? Bestätigung in der Gegenwart statt Eröffnung von Zukunft? − «Die Gnostiker ersetzen die Bekehrung der Herzen durch eine Ablenkung des Gehirns»; ergänze: und des Gefühls, schreibt Eugen Rosenstock-Huessy.
Ein «Deus in machina» mag zum Denken anregen. Und hoffentlich tut er das auch: zum Denken und nicht nur zu einem gefühligen Spiritualisieren. Zugleich möchte ich ihn in Schutz nehmen: Er ist ein Kind, eine Geburt, eine Ausgeburt seiner Zeit und deren Genossen: Er legt sich nicht fest, gewährt Faszination wie Anerkennung und befriedigt die Neugierde nach einem Jenseits von Grenzen.
Mein Gott, das ist die Macht, mit der ich meine Grenzen zu überschreiten hoffe. Die können eng oder auch weit gezogen sein. Mehr Menschen in der Kirche haben wollen, neue Ideen ausprobieren, Worte durch Bytes und Bites ersetzen, zeigen, dass man sich auf einer Höhe mit der Zeit befindet − wenn Theologen keine höheren Ansprüche haben, dann werden sie Jesus Christus, den Auferstandenen, ersetzen durch ein Jesusbild «in machina» und ihre Clouds zum Götterhimmel verklären.
Wer größere Ansprüche und Bedürfnisse hat, der hält inne und füllt seine Spiritualität mit Worten wie:
«Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.»
Johannes 14, Vers 6
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Wort zum Sonntag vom 17. November 2024: Mit einer Mutter im Bunker
Lothar Mack war als Gemeindepfarrer und bei verschiedenen Hilfswerken und Redaktionen tätig. Sein kritischer Blick auf Kirche und Zeitgeschehen hat ihn in die Selbständigkeit geführt. Er sammelt und ermutigt Gleichgesinnte über Artikel und Begegnungen und ruft in Gottesdiensten und an Kundgebungen zu eigenständigem gläubigem Denken auf. Sein Telegram-Kanal lautet StimmeundWort.
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