Im Ruhrmuseum in Essen, in der Zeche Zollverein, findet sich eine Vitrine mit einem Zwei-Liter-Einmachglas. Die Flüssigkeit drin schimmert trübe. Der Museumsführer machte mit unserer Gruppe davor Halt und hat uns das Schild daneben vorgelesen:
«Irgendetwas mußte ich doch machen.»
Quelle: Ruhr Museum, Essen
Eine Mutter hatte Wasser abgekocht und in Gläsern konserviert. Die Bombenangriffe auf die Stadt waren unerträglich geworden. Oberirdisch war schon alles zerstört. Die Flieger sind trotzdem immer wiedergekehrt; es galt ja noch, die unterirdischen Wasserleitungen aufzusprengen, über die sich die verbliebene Bevölkerung versorgt hatte.
«Irgendetwas mußte ich doch machen.» Mir hat sich das ins Gedächtnis gebrannt, dieses Blitzlicht aus dem Vernichtungskrieg. «Moral Bombing» hieß das dann später, und General Harris hat dafür seinen Ritterschlag und sein Denkmal mitten in London erhalten.
«Heiliger Krieg» heißt das im Nahen Osten, abhängig davon, welcher «Heiligkeit» man ihn grade widmet. In den oberen Sphären mögen sich da Klingen jener Worte kreuzen, die als Gebete für den jeweiligen Sieg emporgefleht werden.
Unheiliges Elend ist das hingegen von unten. Das Weck-Glas aus Essen ist dafür ein ebenso stummer wie schreiender Zeuge. Ein weiterer ist mir ein Gedicht der Schriftstellerin und damaligen Bremer Pfarrfrau Lotte Denkhaus, verfasst im Jahr 1940. Ein Jahr später übernahm sie selbständig die Gemeinde ihres Mannes, der nun Kriegsdienst leisten musste. Ihre Kinder schickte sie mit einer Hausangestellten aufs Land.
Die schweren Bombenangriffe auf Bremen ‒ ein frühes Ziel der Royal Airforce − verbrachte sie anfangs mit ihren drei Kindern im Bunker. Ein erschütternder Nachhall jener Stunden ist das «Kinderlied im Kriege», geschrieben auch stellvertretend für zahllose andere Mütter dieser Jahre.
Kinderlied im Kriege
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Horch! Alarm, Alarm!
Hab mein Kind im Arm,
weil’s erschrickt und weint.
Mond in Wolken ging verloren
Flaksoldaten an den Rohren
warten auf den Feind.
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Schlaf! Ich sing und sing,
daß du, liebes Ding,
nicht so kläglich schreist,
wenn es, Well auf Welle, brausend
über Turm und Dächer sausend
uns zu Häupten kreist.
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Draußen färbt der Tod
Erd und Himmel rot,
wie er’s niemals tat.
Gott, willst du’s heut gnädig machen,
pack ich morgen meine Sachen
und geh aus der Stadt.
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Wenn’s der Vater wüßt!
Hat dich nie geküßt.
Ob er wohl noch lebt?
Armes Kind, im Krieg geboren!
Draußen kracht’s aus allen Rohren.
Wie der Boden bebt!
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Für die Ewigkeit
bin ich nicht bereit …
Abermals schlug’s ein.
Willst du denn uns gar verderben?
Gott, wo immer Menschen sterben,
laß sie nicht allein!
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Morgen trägt der Zug,
Liebling, uns im Flug
fort, wohin er will.
Wachst du? Mußt die Augen schließen.
Doch nun hört es auf zu schießen,
wird auf einmal still …
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Wohin wir auch fliehn,
Tod wird mit uns ziehn,
wenn er uns bestimmt.
Deiner mag im sel’gen Garten
wohl ein schöner Engel warten.
Ob Gott mich aufnimmt?
Werte Herren und Damen Kriegstreiber in euren schönen Kleidern und hässlichen Worten, werte Gläubige aller Art, die ihr eure Gedanken über Gott mit dem Einen Lebendigen verwechselt: Etwa so fühlt sich Krieg an. Welche Werte wollt ihr verteidigen auf Kosten von Kinderleben und Muttertränen, von sehnsuchtsvollen Vätern?
«Weint mit den Weinenden», mahnt der Apostel. Weint auch mit denen, deren Tränen und Schreie unter Staub und Stein erstickt und verstummt sind, heute wie damals. Lasst euch von ihrer Not berühren − dann haben sie nicht umsonst gelitten. Sondern haben euch den unendlichen Wert eines Menschenlebens und der liebenden Hingabe vor Augen gestellt. Spät, aber nicht zu spät.
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Wort zum Sonntag vom 10. November 2024: You never know ...
Lothar Mack war als Gemeindepfarrer und bei verschiedenen Hilfswerken und Redaktionen tätig. Sein kritischer Blick auf Kirche und Zeitgeschehen hat ihn in die Selbständigkeit geführt. Er sammelt und ermutigt Gleichgesinnte über Artikel und Begegnungen und ruft in Gottesdiensten und an Kundgebungen zu eigenständigem gläubigem Denken auf. Sein Telegram-Kanal lautet StimmeundWort.
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