Was für ein liebenswerter Funke! Wenn der zündet, kann ein befreites Leuchten durch das Land ziehen. Man radelt abends gegen 9 durch den Ort, und von ganz verschiedener Seite hallen einem die gleichen vertrauten wie kraftvollen Stimmen entgegen: «Nein, meine Söhne geb ich nicht».
Die Idee war fix geboren vorgestern Freitag, irgendwo in München. Das Team vom Lebensmut-Kanal, einer privaten Selbsthilfe-Initiative, war sich bald einig, dass auf diese Weise ein markantes Zeichen zu setzen wäre:
Jeden Abend um 21 Uhr soll landauf, landab dieses Friedenslied von Reinhard Mey erklingen, gut hörbar draußen im Freien.
Wer sich noch nie unter eine Demo gemischt hat − hier kann er sich selber kundtun. Wer sich kaum je an ein Mikrofon wagen würde − den Lautsprecher ein bißchen höher einstellen, das könnte machbar sein. Wer sich selber nicht als sangesstark einschätzt − dieses Lied darf über die Lippen kommen.
Singen und zugleich Angst haben, das funktioniert nicht, hörte man den guten Streiter Karl Hilz selig immer wieder sagen. Beides gleichzeitig bringt die Psyche nicht zustande. Da ist die Wahl leicht getroffen.
Widmen wir uns also ein wenig dem Beipackzettel dieser Fünf-Minuten-Kur. Anzuwenden sei sie
- bei latenten wie akuten Phobien
- als Antidepressivum nach überhöhtem Medienkonsum
- als Krampflöser bei chronischer Distanzeritis
- als Purgativ bei Verstopfungen des Gefühlslebens sowie
- als Adjuvans für den Transport vitalisierender Hormone männlicher wie weiblicher Provenienz.
Nach den ersten Feldversuchen beurteilen die Forscher die unmittelbaren Wirkungen dieser Therapie überraschend einmütig. Festgestellt wurden strahlende Augen, aufrechte Rücken, freie Blicke zum Gegenüber und ein zunehmender Sozialdrang: Mit der Dauer der Anwendung erweiterten sich die monopersonalen Laut-Strukturen hin zu penta-, hexa- und mehrfachduplogonalen Klangverbänden.
Nicht verschwiegen werden sollten aber auch adverse Reaktionen des vielerorts noch sehr empfindsamen gesellschaftlichen Immunsystems. Die waren aber stets nur von kurzer Dauer. Gegen-Gesänge und -Gegröhle konnten rasch unterbunden werden. Mehrmals verwandelten sich die Proklamanden dafür zu Wandermusikern, andernorts überstrahlten ihre frohen Gesichter die herandrängenden harten Masken. Immer wieder wurden die oberen Knöpfe von Uniformen gelöst, und der multiforme Mensch darunter begann locker zu atmen.
Alles in allem erwies sich dieses einfache Mittel bereits in den Vorstudien als äußerst wirksam gegen multiresistente Kriegerseelen, und zwar sowohl in fremder als auch in eigener Brust. Von mehreren Orten wird berichtet, jenes eine Lied habe sich zur tonangebenden regionalen Atmosphäre ausgeweitet − ein Wetterphänomen der neuen Art.
So ist das nun einmal: Gutes, das von Herzen kommt, das wirkt zurück − auf einen selber und auf andere. Aber es sollte auch ausgesprochen werden, gerne auch ausgesungen. Von eben diesem Wechsel leben die Psalmen und sprechen ihre Beter. Sie rufen sich das zu, wovon sie weit innen überzeugt sind, das sie nun aber festmachen wollen. Das klingt dann zum Beispiel so:
«Ich will den HERRN loben allezeit; sein Lob soll immerdar in meinem Munde sein.
Meine Seele soll sich rühmen des HERRN, dass es die Elenden hören und sich freuen.
Preiset mit mir den HERRN und lasst uns miteinander seinen Namen erhöhen!» Psalm 34,2-4
Biblische Zusammenhänge bewahrheiten sich grundlegend im alltäglichen Leben, so wie anders herum jede Lebenserscheinung und -erfahrung sich im Bibelwort verdichtet findet.
Die Liebe zu den eigenen Kindern steckt tief drin im Herzen. Von außen droht ihnen Gefahr. Also muss diese Liebe hinausgerufen werden aus dem Innersten, mitten hinein in die Feindesluft − bei einem selber wie bei anderen. Wir singen den aufkeimenden eigenen Ohnmachtsgefühlen ebenso zuwider wie den ausgewachsenen fremden Machtgelüsten. Und prägen damit Atmosphäre: von der freien Stimme zum freien Blick zur gebundenen Angst.
Das Mey-Singen gegen den Merz, noch im April begonnen, hat das Potential zu münden in den immer wiederkehrenden Ruf des Beters:
«Meine Lippen und meine Seele, die du erlöst hast, sollen fröhlich sein und dir lobsingen.» Psalm 71,23
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Wort zum Sonntag vom 20. April 2025: Einer für alle, ein für allemal
Lothar Mack war als Gemeindepfarrer und bei verschiedenen Hilfswerken und Redaktionen tätig. Sein kritischer Blick auf Kirche und Zeitgeschehen hat ihn in die Selbständigkeit geführt. Er sammelt und ermutigt Gleichgesinnte über Artikel und Begegnungen und ruft in Gottesdiensten und an Kundgebungen zu eigenständigem gläubigem Denken auf. Sein Telegram-Kanal lautet StimmeundWort.
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