Oft sind es nur kleine Zeichen, auf die es zu achten gilt. Weil sie eine große Wirkung haben können. Bei einer Weiche werden die beiden Enden eines Schienenstranges nur um wenige Zentimeter verschoben. Aber der Zug, der dann drüberfährt, bekommt eine ganz andere Richtung.
Am Freitagabend hatte ich mich mit meiner Kollegin Wiltrud Schwetje in Spanien abgesprochen zu ihrem neuen Valencia-Artikel und ihr zusätzliche Hinweise zum Ahrtal gegeben. Gegen Mitternacht wurde ihr Beitrag freigeschaltet, und sie hat mir den Link geschickt. Also hab ich mich noch einmal eingeloggt, um die Sache gleich in meinen eigenen Telegram-Kanal aufzunehmen.
Und schon ging das Getrickse los. Es war mir nicht möglich, ihr meine neuerstellte Nachricht weiterzuleiten. Eine Fehlermeldung, wie ich sie noch nie gesehen hatte, tauchte bei Telegram auf. Es übertrug ihr meine Nachricht einfach nicht; der Link allein, das schien zu funktionieren. Ich traute dem Ganzen jedenfalls nicht mehr.
Samstagmorgen dann ihre Nachricht, dass sie nichts von mir erhalten habe. Aber auch bei ihr lief es nicht mehr rund. Das Meldeportal von kritischen spanischen Polizisten, über das die wahre Opferzahl der Flutkatastrophe erhoben werden sollte, sei offenbar im ganzen Land nicht mehr aufzurufen. Erst nach mehreren Versuchen klappte es wieder.
Zensur, Reichweitenbeschränkung, Beobachtung. Die Summe daraus soll dann nach dem Willen ihrer Erfinder eine Verunsicherung ergeben, dank der man sich «ein andermal» gut überlegt, wie weit man sich hinauswagt: was man schreibt, mit wem man sich austauscht, wieviel man doch besser zurückhält − «man kann ja nie wissen».
Schnitt. Ein Anrufer in einer Fernsehsendung fragte Robert Kennedy, ob sein Einsatz in einer Trump-Regierung für ihn nicht lebensgefährlich sei. Darauf antwortete er: «Ich bin da nicht blauäugig, aber ich kreise nicht die ganze Zeit drum herum», und: «Es gibt viel Schlimmeres als den Tod, zum Beispiel das Leben als ein Sklave und die Freiheiten zu verlieren, für die sich so viele Menschen vor uns geopfert hatten.»
Was sagt uns das? Dass es ein gutes und ein schlechtes Abwägen gibt. Kurz gesagt:
«Der eine fragt: Was kommt heraus?
Der andere: Ist’s recht?
Und danach unterscheiden sich
der Freie und der Knecht.»
Eugen Rosenstock-Huessy (in: Der Atem des Geistes, 1951)
Dem Freien geht es nicht darum, es lediglich «recht zu machen». Anstelle dieser knechtischen Gesinnung fragt er nach den Folgen seines Tuns oder Unterlassens.
Ja, was kommt dabei heraus, wenn wir zu mörderischen Machenschaften schweigen? Die Antwort muss ich hier nicht ausführen.
Was kommt heraus, wenn wir dazu nicht schweigen? Womöglich wird uns eine Rechnung präsentiert, dessen Höhe die andere Seite allein bestimmt. Kann sein. Was ebenfalls dabei herauskommt, ist eine Orientierungshilfe für andere, und sei es erst für die nächste Generation. Mit diesem Horizont dachte, schrieb und wirkte zum Beispiel ein Dietrich Bonhoeffer.
«Mag sein, dass der jüngste Tag morgen anbricht, dann wollen wir gern die Arbeit für eine bessere Zukunft aus der Hand legen, vorher aber nicht. Die Frage ist nicht, wie ich mich heroisch aus der Affäre ziehe, sondern wie eine kommende Generation weiterleben soll.»
Wer weiß schon, welches unserer eigenen kleinen Brötchen sich anderen in ein Samenkorn zurückverwandelt? «You never know who listens», singt Bruce Carroll.
«Wer im Geringsten treu ist, der ist auch im Großen treu; und wer im Geringsten ungerecht ist, der ist auch im Großen ungerecht.» Lukas 16,10
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Wort zum Sonntag vom 3. November 2024: Der falsche und der rechte Ruck
Lothar Mack war als Gemeindepfarrer und bei verschiedenen Hilfswerken und Redaktionen tätig. Sein kritischer Blick auf Kirche und Zeitgeschehen hat ihn in die Selbständigkeit geführt. Er sammelt und ermutigt Gleichgesinnte über Artikel und Begegnungen und ruft in Gottesdiensten und an Kundgebungen zu eigenständigem gläubigem Denken auf. Sein Telegram-Kanal lautet StimmeundWort.
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