Im Hof des ehemaligen Gefängnisses von Ebern in Unterfranken wurden am 5. April 1945 vier deutsche Soldaten standrechtlich erschossen. Die Anklage lautete auf Fahnenflucht. Den Einmarsch der Amerikaner keine Woche später haben sie nicht mehr miterlebt. Die Gedenktafel, die ihnen zu Ehren dort angebracht wurde, ziert ein Wort von Martin Luther:
«Das Recht ist ein zeitlich Ding, das zuletzt aufhören muß.
Aber das Gewissen ist ein ewig Ding, das nimmermehr stirbt.»
Im Gespräch mit einer Journalistin von Welt.de erhob der deutsche SPD-Politiker Ralf Stegner eine schwere Anklage gegen einen hochrangigen Beamten. Hans-Eckardt Sommer, der Leiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), müsse «im Rahmen der Politik, die die Bundesregierung macht − die der Bundestag macht −, im Rahmen der bestehenden Gesetze handeln». Diese zu hinterfragen verletze eine Dienstpflicht und müsse «personelle Konsequenzen» haben, erklärte Stegner.
Was gilt denn nun? Stehen allgemeine politische Setzungen über dem fragenden Gewissen des einzelnen oder sollte der verantwortlich mitdenkende einzelne eben diese Setzungen persönlich bewerten und hieraus dann Konsequenzen ziehen?
Bei seiner Rede am vergangenen Montag hatte Sommer Not und Elend der bundesdeutschen «Flüchtlingspolitik» beim Namen genannt: Man müsse selber bestimmen können, «wie und in welchem Umfang wir Flüchtlingen helfen». Die Demokratie verliere sich, wenn die selbstgeschaffenen Mißstände wie «Kriminalität, islamistischer Terror» und anderes überhand nehmen. «Verantwortliche Politik spürt, wenn der Kipp-Punkt erreicht ist. Er ist erreicht.»
Darum müsse das bisherige System abgeschafft werden; es sei verantwortungslos gegenüber den Fremden wie auch den Einheimischen. «Die innere Sicherheit und der gesellschaftliche Zusammenhalt werden aufs Spiel gesetzt», wird Sommer zitiert.
Das Gejohle von links war dem Mann sicher und folgte auf den Fuß. Besagter Stegner zweifelte an seiner «Eignung für eine solche Führungsposition», andere bekennende Linke forderten offen seinen Rücktritt.
Wie Reflexe von Ideologen ablaufen, habe ich in einem anderen Wort zum Sonntag schon dargelegt: Das hehre Ziel der Utopie steht nicht nur über der Befindlichkeit jedes einzelnen; es sticht auch dessen subjektive Wahrnehmung aus. Sommer betonte demgegenüber, man müsse sich «aus alten Denkschemata befreien».
Eine erste Summe aus diesem Streit zieht Boris Reitschuster, wenn er schreibt, dass die «größte Bedrohung» offenbar von dem ausgehe, «der den Vorhang zur Seite zieht», denn in Deutschland habe sich «eine bizarre Phobie vor der Wahrheit entwickelt».
Eine andere Summe scheint mir noch grundlegender zu sein, nämlich die Frage: Stehen zu verbindlichem Recht erklärte Verordnungen und Gesetze über dem Gewissen derer, die sie befolgen sollen, oder bleibt Letzteres «ein ewig Ding» über allen menschlichen Geboten und Verboten?
Der Gesetzgeber aus Vor-Stegner-Zeiten hatte diese Frage recht eindeutig entschieden. Wenn nämlich das einem Beamten «aufgetragene Verhalten die Würde des Menschen verletzt oder strafbar oder ordnungswidrig ist», muss es nicht ausgeführt werden. Denn: «Beamtinnen und Beamte tragen für die Rechtmäßigkeit ihrer dienstlichen Handlungen die volle persönliche Verantwortung», steht im Bundesbeamtengesetz.
Mitdenken im Dienst ist also nicht nur kein «Grenzübertritt» (O-Ton Stegner), sondern explizit geboten. Auf der juristischen Ebene mögen dem andere genauer nachgehen; auf der menschlichen Ebene mahnen die Opfer früherer Ideologien, selber wach zu bleiben und dem eigenen Gewissen eine Stimme zu geben.
«Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen», heißt das für den Gläubigen (Apostelgeschichte 5,29).
Dem unruhigen Gewissen folgen, heißt das für jeden verantwortlich Mitempfindenden.
Mögliche irdische Konsequenzen daraus sind «ein zeitlich Ding». Die Rechenschaft über das eigene Verhalten aber «ist ein ewig Ding». Wohl dem Vorgesetzten, wohl dem Staat, wohl der Kirche, die solche Diener in ihren Reihen wissen dürfen.
Denn «der Fortschritt kommt von denen, die sich auf etwas festnageln lassen; ziemlich oft an ein Kreuz» (Eugen Rosenstock-Huessy).
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Wort zum Sonntag vom 30. März 2025: Wenn Richter dichtmachen
Lothar Mack war als Gemeindepfarrer und bei verschiedenen Hilfswerken und Redaktionen tätig. Sein kritischer Blick auf Kirche und Zeitgeschehen hat ihn in die Selbständigkeit geführt. Er sammelt und ermutigt Gleichgesinnte über Artikel und Begegnungen und ruft in Gottesdiensten und an Kundgebungen zu eigenständigem gläubigem Denken auf. Sein Telegram-Kanal lautet StimmeundWort.
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