Wenn ich so in meine Nachrichten-Kanäle schaue, dann frag ich mich manchmal: Freuen wir uns eigentlich an den schlechten Meldungen mehr als an den guten? Die schlechten haben den Vorteil, dass sie einen in Vorahnungen und kombiniertem Halbwissen über Verhängnisse bestätigen. Womit man sich wenigstens auf der richtigen Seite der Wahrnehmung wähnen darf. – Auch der Masochismus verteilt seine Ritterschläge.
Von den guten Nachrichten hingegen vermögen nur die wenigsten einen mehrfachen Filter zu passieren: Gelogen und geblufft, also eine zur Lüge gesteigerte Ente? Eine besonders schillernde Ente namens Deep Fake vielleicht? Die Annäherung eines U-Boots auf schleichsamem Tauchgang? Der ganz banale Versuch des Darstellers, sich in Szene zu setzen? – Die Wahrheit hat es schwer, gerade gegen ihre Verfechter.
Auf halbem Weg zu solchem Abweisen begegnet uns Maria: Eine junge Frau aus irgendeinem jüdischen Dorf, einem örtlichen Handwerker versprochen, kaum 18 Jahre alt, bekommt hohen Besuch, sehr hohen. Der «trat bei ihr ein», und dies gleich mit der Tür ins Haus: «Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir!»
Ein Engel sei es gewesen, berichtet später der Evangelist Lukas, noch dazu einer der obersten, Gabriel. Offenbar kam er in Menschengestalt, denn sein Auftreten scheint das Mädchen weniger beeindruckt zu haben als seine Worte: die «brachten sie aus der Fassung», wie das «sie erschrak» der gängigen Übersetzungen wiederzugeben wäre.
Eine richtig gute Nachricht? Für einen selber? Persönlich? Kann das sein? Ist dem zu trauen? Ich stelle diese Frage nicht rhetorisch, sondern ich weiss, dass kaum etwas alte Wunden so schmerzlich anrührt wie eine heilende Hand. Warum weint ein Obdachloser, wenn er an einen gedeckten Tisch geführt wird? – Eben darum.
Maria begegnet uns auf halbem Weg. Die zweite Hälfte des Weges, die zurückweisende, geht sie nicht. Die überaus anerkennenden Worte «Der Herr ist mir dir» sind ihr alles andere als vertraut und rauben ihr zunächst die Fassung, aber gleich darauf «machte sie sich Gedanken, was dieser Gruss bedeute». Ihr Filter für eine gute Nachricht war heftig, aber sie machte daraus keinen abwehrenden Schlagstock.
Die gute Nachricht erhält eine zweite Chance, und der Engel hebt erneut an zu sprechen: «Ängste dich nicht, Maria, denn Gnade hast du gefunden bei Gott.» Eine folgenreiche Gottesbegegnung bahnt sich an, an deren Ende wir zunächst das neugierig-ergebene Bekenntnis finden: «Mir geschehe nach deinem Wort»; Lukas 1, Vers 38.
In den Vereinigten Staaten gibt es sogenannte «Halfway Homes», Eingliederungsstätten für sozial oder psychisch labile Menschen, wo diese wieder zu einem selbständigen Leben angeleitet werden. Der halbe Weg ist schon zurückgelegt; für die zweite Hälfte gibt es Unterstützung.
Der halbe Weg ist zurückgelegt: So manchem Druck hat man widerstanden und unter Gleichgesinnten neuen Mut geschöpft. Man hört auch von guten Entwicklungen, von gerichtlichen Erfolgen da und dort, und hat viele fremde Menschen als näher erlebt denn bisherige Angehörige.
Für die zweite Hälfte nun wird einem Hand gereicht. Mit Erzählungen wie jener über Maria.
Genau zu ihr wollte der Engel: in eben jenes Dorf zu genau diesem Mädchen, in genau dieses Haus. Zu eben diesem Mann, der sich auf der Arbeit hat verleumden lassen müssen, zu genau der Frau, deren Kinder sie abgeschrieben haben wegen ihrer verqueren Ideen, zu eben dem Schüler, der einfach nur froh ist, wieder einen Tag heil überstanden zu haben.
«Ängste dich nicht, Maria! Denn Gnade hast du gefunden bei Gott.»
Neun Monate dauerte es dann noch, bis ihr das Ganze wundersam beglaubigt wurde. Wie lange dauert es, Gottes Wirken handfest im eigenen Leben zu erfahren? Manchmal geht es überraschend schnell.
«Wenn die Stunden sich gefunden,
bricht die Hilf mit Macht herein;
um dein Grämen zu beschämen,
wird es unversehens sein.»
Johann Daniel Herrnschmidt (1704)
************
Wort zum Sonntag vom 26. November 2023: Aufarbeitung plus
Lothar Mack war als Gemeindepfarrer und bei verschiedenen Hilfswerken und Redaktionen tätig. Sein kritischer Blick auf Kirche und Zeitgeschehen hat ihn in die Selbständigkeit geführt. Er sammelt und ermutigt Gleichgesinnte über Artikel und Begegnungen und ruft in Gottesdiensten und an Kundgebungen zu eigenständigem gläubigem Denken auf.