Da haben wir sie wieder: die alte Spannung zwischen dem Unfrieden in der Welt und den Verheißungen von Frieden, wie man sie von diversen Bibelstellen her kennt. Vom berüchtigten «Friede auf Erden» aus der Weihnachtsgeschichte will ich jetzt gar nicht reden; auf diese Fehlinterpretation war ich andernorts schon eingegangen.
Ich denke eher an das Jesuswort von «Meinen Frieden gebe ich euch» (Johannes 14,27) und seine schaurigen Weissagungen «von Kriegen und Kriegsgerüchten» aus den sogenannten Endzeitreden (Matthäus 24,6). Letztere würden sich sogar steigern und immer bedrängender werden. Und trotzdem sagt Jesus auf seine Weise Frieden zu. Wie geht das zusammen? Geht das überhaupt zusammen?
Die Aktualität dieser Worte ist offenkundig. Keiner weiß, was aus den laufenden Kriegen noch wird oder welches Land morgen zusätzlich in den Schlagzeilen auftaucht. Wenn wir nicht bewusst gegensteuern, geraten wir dabei rasch von angstvoller Beklemmung in lethargisches Schweigen, aufgefangen nur noch vom Spinnennetz staatlich kontrollierter «Sicherheit».
Bewusst gegensteuern. Wie denn? Wenn ein Jesuswort etwas bedeuten soll, dann muss es sich bewähren; auch und gerade angesichts von augenscheinlich Gegenläufigem: von realen Kriegen, von wirklicher Beklemmung.
Die «Kriege und Kriegsgerüchte» sind offenbar unausweichlich. «Ein Volk wird sich gegen das andere erheben, (…) auch Hungersnöte werden ausbrechen und Erdbeben hier und da stattfinden», fährt Jesus fort. Seit und eh und je haben Bibelgelehrte versucht, ihre eigene Zeit in diesen Prophezeiungen festzumachen. Die entsprechenden Kapitel aus der Offenbarung des Johannes und der zweiten Hälfte des Danielbuches bieten dazu reichlich Nahrung und Anlass. Welches Ereignis, welches Reich, welcher Herrscher mag mit dieser oder doch eher jener Andeutung gemeint sein?
Ich spreche mich nicht gegen diese Anläufe aus. Ihnen gemeinsam ist aber die Gefahr, dass sie Forscher wie Leser, also wohlmeinende Gläubige, zu Analytikern eines Fahrplans degradieren. Aus dem allgemeinen «Man kann da halt nichts machen» wird dann rasch ein positiv-fatalistisches «Wir dürfen Gottes Wegen nicht in die Quere kommen. Das Böse ist darin offenbar vorgesehen». Aber zuschauen und ihm damit freien Lauf gewähren, das machte uns zu seinen Helfern.
Auf der persönlichen Seite heißt es: «Meinen Frieden gebe ich euch», sagt Jesus. − «Ja, gerne. Dann weiß ich mich wenigstens auf Nummer Sicher und komme an dem üblen Treiben und der verdeckten Panik vorbei.» Die Schlagseite hier ist die von Quietismus und Biedermeier: Der Seelenfrieden verleiht ein Gefühl der Erhabenheit, gewissermaßen eine christliche Coolness, die um sich herum eine trauliche Gegenwelt von Gläubigkeit ausbreitet.
Eines haben beide Haltungen gemeinsam: Sie machen aus dem lebendigen Zeugen der Wahrheit und der Liebe einen Zuschauer der Unwahrheit und des Bösen. Das kann’s ja nicht sein. Christlicher Glaube als Verführung zur Passivität nach außen wie nach innen? Er wird mitunter so verstanden und gelebt, ja.
Ich behaupte, er ist anders gemeint. Dass wir Öl in unseren Lampen haben sollen, mahnt Jesus; oder außerhalb vom Bild gesprochen: «Wachet aber allezeit und betet, dass ihr stark werdet, zu entfliehen diesem allen, was geschehen soll»; Lukas 21,36. Den damaligen Gelehrten wirft er sogar vor, «über die Zeichen der Zeit (…) nicht urteilen» zu können (Matthäus 16,3). Es reicht also nicht, ein Geschehen nur passiv zu beobachten. Gefragt ist dessen aktive Einschätzung, um dafür gewappnet zu sein und Folgerungen zu ziehen.
Der Leser ahnt es schon: Auch jener zugesprochene Frieden hat nur sehr bedingt zu tun mit zurückgezogener gläubiger Friedlichkeit. Das angeführte Wort lautet im Zusammenhang:
«Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht so, wie die Welt gibt, gebe ich euch. Euer Herz erschrecke nicht und verzage nicht!» (Johannes 14,27)
Die Zusage «meinen Frieden gebe ich euch» wäre noch deutlicher zu übersetzen mit «meinen Frieden, den von mir her, gebe ich euch», und zwar anders als man das zu kennen meint, ergänzt Jesus; anders vor allem in der Art und Weise, wie er gegeben wird. Denn die kann zunächst erschrecken.
Um es kurz zu machen: Jener Frieden kommt erst nach massiv Gegenläufigem. Bei den Jüngern von Jesus war es dessen bevorstehende Kreuzigung, heutzutage und hierzulande sind es unsere je eigenen Erfahrungen von Ohnmacht. «Da kann man nichts machen» dürfte noch zu deren gelinderen Formen gehören. Die härteren kann jeder aus seinem eigenen Gemüt ergänzen.
Dann, in dieser Lage, den Namen des Einen anrufen, Ihm Sein Wort vom Frieden vorhalten und eben nicht wegsacken in vermeintlicher Ohnmacht, sondern den verdichteten Seufzer als Gebet gelten lassen, und Ihm danken für bisherige Bewahrung − «dann wird der Friede Gottes, der höher ist als aller Verstand, eure Herzen und euer ganzes Denken in Christus Jesus bewahren» (Philipper 4,6).
Rückzug in Rechtgläubigkeit macht mich zum Zuschauer. Standhalten für jenen Frieden nach dem Schrecken, über ihn hinaus, verleiht mir Souveränität: ganz persönlich und als wachen Blick für das Geschehen. Weniger muss nicht sein.
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Wort zum Sonntag vom 8. Juni 2025: Wo brennt’s denn − endlich?
Lothar Mack war als Gemeindepfarrer und bei verschiedenen Hilfswerken und Redaktionen tätig. Sein kritischer Blick auf Kirche und Zeitgeschehen hat ihn in die Selbständigkeit geführt. Er sammelt und ermutigt Gleichgesinnte über Artikel und Begegnungen und ruft in Gottesdiensten und an Kundgebungen zu eigenständigem gläubigem Denken auf. Sein Telegram-Kanal lautet StimmeundWort.
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