Hat Alfred Herrhausen, der am 30. November 1989 ermordete Vorstandssprecher der Deutschen Bank, sein Todesurteil selbst unterschrieben? Hat er dies mit seinen 1989 geäußerten Lösungsvorschlägen zum Problem der verschuldeten Entwicklungsländer (dem sogenannten Herrhausen-Plan) getan, indem er damit die tatsächlichen Herrscher dieser Welt gegen sich aufgebracht hat? Und haben diese wiederum einfach nichts unternommen, als die von ihnen gesteuerten Geheimdienste von den Plänen eines Anschlags auf Herrhausen erfuhren?
Der Journalist und Dokumentarfilmer Dirk Pohlmann betrachtet dies zumindest als einen Hintergrund für das Sprengstoffattentat auf den Deutsche Bank-Manager. Dieses hat mutmaßlich eine als «3. RAF-Generation» bezeichnete Gruppe ausgeführt. Pohlmann ist sich nach ausführlichen Recherchen weitgehend sicher, dass tatsächlich diese Gruppe die Tat ausführte, wie er am Dienstag in Berlin erklärte.
Dirk Pohlmann am 2. Juli in Berlin (Foto: Tilo Gräser)
Aber er ist sich auch sicher, dass es im Interesse jener geschah, denen nicht nur Herrhausens Vorschläge für einen faireren Umgang mit den Entwicklungsländern zu weit gingen. Der Dokumentarfilmer sprach im Rudolf-Steiner-Haus in Berlin zum Thema «Politische Morde und der Tiefe Staat – Von Kennedy bis Herrhausen».
Eingeladen hatte zu dem Vortrag der Kulturkreis Pankow. Pohlman arbeitet derzeit an einem Buch über den Mord an Herrhausen von 1989 und andere ähnliche Fälle. Es soll unter dem Titel «Im Auftrag der Eliten – Der Fall Herrhausen und andere politische Morde» Ende des Jahres im Westend Verlag erscheinen.
Der Chefbanker Herrhausen wollte nicht nur Schuldenerleichterungen für Mexiko und andere Entwicklungsländer, samt eines «gewissen Mindestmaßes an Voraus-Vertrauen» sowie Chancen einer eigenen Entwicklung für diese Länder. Er schlug dies 1989 vielmehr auch für die zunehmend in wirtschaftliche Schwierigkeiten gekommenen staatssozialistischen Länder Ost- und Mitteleuropas vor, unter anderem durch Gründung einer Europäischen Entwicklungsbank.
Er sah außerdem Chancen für eine langfristige Kooperation in Gesamteuropa, die nicht nur der deutschen Wirtschaft nutzen sollte. Herrhausen wollte laut Pohlmann dabei den deutschen Standortvorteil, also die guten Kontakte nach Mittel- und Osteuropa nutzen.
Panik in den USA
Doch in den USA habe die Entwicklung Panik hervorgerufen, ebenso bei den Regierenden in Großbritannien und Frankreich. Das vergrößerte Deutschland wurde als großer Nutznießer des Zusammenbruchs des sozialistischen Lagers angesehen. Zugleich habe man laut Pohlmann in Washington befürchtet, dass Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) versuchen würde, gemeinsam mit Moskau Ostmitteleuropa neu zu ordnen.
Außerdem seien die Vorschläge des damaligen Bundesaußenministers Hans-Dietrich Genscher (FDP) für eine gesamteuropäische Sicherheits- und Friedensordnung, unter Einbeziehung der Sowjetunion, als Gefahr für die US-Vorherrschaft über Europa gesehen worden. Das erinnert an die «Ur-Angst» der US-Eliten vor einem Zusammenschluss von deutschem Kapital und deutschen Technologien mit russischen Rohstoffen und russischer Arbeitskraft. Diese Angst hatte unter anderem der geopolitische Analytiker George Friedman 2015 beschrieben.
Doch nach dem Mord an Herrhausen und dem Attentat auf Oskar Lafontaine (SPD) im April 1990, der den Herrhausen-Plan befürwortete, ließ Kohl, der mit dem Banken-Chef befreundet war, entsprechende Projekte fallen und fügte sich den US-Vorstellungen in Bezug auf die deutsche Einheit. Dieses geopolitische Gefüge ist für den renommierten Dokumentarfilmer Pohlmann der Rahmen und der Hintergrund, um zu verstehen, warum und in welchem Interesse Morde wie der an Herrhausen geschehen sind und noch immer geschehen. Das sei lange Zeit nicht beachtet und nicht verstanden worden, auch von ihm selbst nicht, gestand er bei seinem Vortrag ein.
Zu den Hintergründen politischer Morde gehört nach seinen Worten das, was inzwischen als «Tiefer Staat» bezeichnet wird. Der Begriff tauchte erstmals im Zusammenhang mit Ereignissen in der Türkei Ende der 1990er Jahre auf und wurde durch Gerichtsprozesse gegen Militärs und Geheimdienstmitarbeiter bekannt.
Pohlmann verwies dabei auf den US-amerikanischen Politikwissenschaftler Peter Dale Scott, der sich in mehreren Büchern mit dem «Tiefen Staat» in den USA auseinandergesetzt hat. Scott erklärte in einem Aufsatz, er setze den Begriff mit einem «tiefen politischen System» gleich, «eines, das gewöhnlich auf Entscheidungs- und Durchsetzungsverfahren außerhalb wie auch innerhalb des von Gesetz und Gesellschaft öffentlich sanktionierten Bereichs zurückgreift».
Dies geschehe durch ein Zusammenspiel von Behörden aus dem staatlichen Macht- und Sicherheitsapparat sowie dem Wall-Street-Komplex aus Banken und Anwaltskanzleien. Es handele sich dabei um Leute, die sich als die wahren Beschützer der nationalen Interessen sähen, unabhängig von den wechselnden gewählten Politikern in der Regierung, erklärte Pohlmann dazu.
Die wahre Macht
Es gebe sogar eine «CIA innerhalb der CIA», sagte er und verwies dabei auf Erkenntnisse des US-Journalisten Robert Parry. Es handele sich dabei um Personen im Geheimdienst, «die glauben, die strategischen Bedürfnisse der Vereinigten Staaten besser zu kennen als ihre gewählten Führer».
Pohlmann führte in seinem etwa dreistündigen Exkurs in das Geschehen hinter der politischen Bühne zahlreiche Beispiele dafür an, wie der «Tiefe Staat» jene ins Visier nimmt und notfalls auch beseitigen lässt, die dessen Kreise und Interessen stören. Diese reichten vom 1961 ermordeten zweiten UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld, offiziell bei einem Flugzeugabsturz im Kongo ums Leben gekommen, über den ebenfalls 1962 mit einem Flugzeug abgestürzten italienischen Öl-Manager Enrico Mattei und den 1978 angeblich von Linksterroristen ermordeten italienischen Politiker Aldo Moro bis zum 1963 ermordeten US-Präsidenten John F. Kennedy sowie dem 1989 ermordeten Bank-Chef Herrhausen.
Das Muster, das Pohlmann in seinem Vortrag mit zahlreichen Details beschrieben hat, scheint immer das gleiche zu sein: Menschen in führenden Positionen in Politik und Wirtschaft stellen aus unterschiedlichen Motiven die bisherigen Spielregeln des etablierten Systems in Frage. Damit geraten sie in Widerspruch mit den Vertretern dieses Systems und deren Interessen. Trotz aller Warnungen halten sie an ihren Kurs auf Veränderung fest – um das am Ende mit ihrem Leben zu bezahlen.
Ein ebenfalls eindrückliches Beispiel dafür präsentierte Pohlmann mit dem Fall des 1962 ebenfalls mit einem Flugzeug abgestürzten Managers des italienischen Ölkonzerns ENI, Enrico Mattei. Dieser habe sich mit seinem Geschäftsmodell, die Herkunftsländer stärker als bis dahin üblich an den Einnahmen aus ihren Rohstoffen zu beteiligen, mit den US-Ölkonzernen angelegt.
Mattei sei ein erfolgreicher und effektiver Manager gewesen, aber einer mit sozialem Gewissen, ähnlich wie der spätere Deutsche Bank-Chef Herrhausen. Laut einem deklassifizierten Dokument der CIA, das Pohlmann zeigte, beschwerten sich die Chefs der US-Ölkonzerne beim Geheimdienst, dass der ENI-Chef «ein noch größerer Schurke als die Sowjetunion» sei.
Mattei habe sich für eine aktive Friedenspolitik eingesetzt und einen Handel mit der Sowjetunion über preiswerte Rohstoffe für Italien ausgehandelt. Was der italienischen Wirtschaft nutzte, wurde laut Pohlmann dem erfolgreichen Manager zum Verhängnis.
Strategie der Spannung
Ähnliches gilt für den christdemokratischen Politiker Aldo Moro, der einen «historischen Kompromiss» mit den italienischen Kommunisten anstrebte. Auch das passte nicht in die Interessen der herrschenden Kreise, allen voran denen der USA. Inzwischen gibt es Belege, dass die CIA mit Hilfe des «Gladio»-Netzwerks die «Strategie der Spannung» in Italien umsetzte, um durch blutige Attentate vermeintlicher Linksterroristen der «Roten Brigaden» die gesellschaftliche Stimmung im Land gegen die Kommunisten zu wenden.
Auch der Mord an US-Präsident John F. Kennedy 1963 gehörte zu den Beispielen, die Pohlmann anführte. Er ging auf eine Reihe von Details ein, die die offizielle These vom Einzeltäter Lee Harvey Oswald widerlegen und darauf hindeuten, dass es ein Mordkomplott gegeben haben könnte. Außerdem verwies er auf die Hintergründe von Personen, die in dem Zusammenhang eine Rolle spielen, von CIA-Chef Allen Dulles über den CIA-Gegenspionagechef James Jesus Angleton bis hin zum Barbesitzer Jack Ruby, der schließlich Oswald erschossen hat.
Daraus ergibt sich ein Mosaik an Konflikten, die Kennedy nach seinem Amtsantritt 1961 auslöste, weil er sich in zahlreichen Bereichen weigerte, das fortzuführen, was bis dahin in der Innen- und Außenpolitik der USA üblich war. So beim geheimen Krieg gegen Kuba, den er nicht zu einem offenen werden lassen wollte, bei der Aufhebung der Rassentrennung an den US-Universitäten, bei der Rolle der Zentralbank Fed und ebenso beim Verhältnis zur Sowjetunion, das der junge Präsident aus dem Kalten Krieg herausführen wollte.
Kennedy hatte sich mit verschiedenen mächtigen Kreisen seines Landes angelegt, einschließlich der Mafia und der Israel-Lobby, die laut Pohlmann zu dieser Zeit massiv den israelischen Wunsch nach einer Atombombe unterstützte. Auch dem widersetzte sich der junge Präsident, wie der Journalist deutlich machte.
Der ermordete US-Präsident sorgte in den Monaten vor seinem Tod für Aufsehen, als er sich für ein Ende der Blockkonfrontation und die Zusammenarbeit mit der Sowjetunion einsetzte. In einer Rede vom Juni 1963 vor der American University in Washington, beschrieb er, welchen Frieden er anstrebte:
«Es geht hier nicht um eine Pax Americana, die der Welt durch amerikanische Kriegswaffen aufgezwungen wird. (...) Ich spreche von echtem Frieden, von der Art Frieden, die das Leben auf der Erde lebenswert macht, von der Art Frieden, durch die Menschen und Nationen wachsen, hoffen und für ihre Kinder die Grundlage einer besseren Zukunft legen können. Ich spreche nicht nur vom Frieden für Amerikaner, sondern von Frieden für alle Männer und Frauen.»
Mit Blick auf das Verhältnis zur Sowjetunion sagte er unter anderem, es sei notwendig, «Konflikt nicht als unabwendbar zu betrachten, Entgegenkommen nicht als unmöglich und Kommunikation als nicht viel mehr als ein Austausch von Drohungen.» Und er stellte klar, die Atommächte müssten «Konfrontationen abwenden, bei denen ein Gegner nur die Wahl zwischen demütigendem Rückzug und Atomkrieg hat. Würde man im atomaren Zeitalter einen solchen Kurs einschlagen, wäre dies lediglich ein Beweis für den Bankrott unserer Politik – oder dafür, dass wir der ganzen Welt den kollektiven Tod wünschen».
Gefahr für das «System»
Was heute so aktuell wie damals klingt, dürfte für jene, vor deren Macht Kennedys Vorgänger Dwight D. Eisenhower in seiner Abschiedsrede gewarnt hatte, nämlich vor den Vertretern und Profiteuren des Militärisch-Industriellen Komplexes, zu viel gewesen sein. Filmregisseur Oliver Stone («JFK») schrieb 1992, «dass Kennedy im Grunde beseitigt wurde, weil er eine zu große Gefahr für das ‹System› war».
Darauf will Pohlmann in seinem Buch näher eingehen und zeigen, wie Politik und Medien den Bürgern Informationen verschweigen und so die öffentliche Meinung manipulieren. Bei seinem Vortrag nannte er als Beispiel die Vorgänge um den Abschuss eines südkoreanischen Passagierflugzeuges mit der Kennung KAL 007 1983 über sowjetischem Gebiet. Anhand zahlreicher Fakten wies er nach, dass das tragische Unglück die Folge einer gefährlichen und provozierenden Spionageaktion der USA gegen die Sowjetunion war, von denen es im Kalten Krieg mehrere gegeben habe.
Der Vortrag von Dirk Pohlmann war voller Informationen und Details zu den einzelnen Beispielen, die Stoff für mehrere Dokumentationen bieten würden. Sie lassen erahnen, welchen Umfang das Buch haben wird. Pohlmann arbeitet schon mehrere Jahre daran und es ist ihm zu wünschen, dass er ein Ende findet, auch wenn es wahrscheinlich nur ein vorläufiges sein kann.
Wer bis zu dessen Erscheinen nicht warten will, findet einiges zu den von ihm benannten Fällen politischer Morde, Geheimdienstoperationen, elitären Schattenstrukturen und geopolitischer Intrigen in dem von ihm mitherausgegebenen Magazin Free 21.
Übrigens sagte Robert J. Eaton, Ex-Vorstandsvorsitzender des Ex-Konzerns DaimlerChrysler vor 25 Jahren, am 1. Juli 1999, mit Blick auf die Folgen von 1989/90:
«Das, was wir heute ‹globalen Kapitalismus› nennen, war von der Leine gelassen und nichts konnte ihn mehr aufhalten. Das ist die Kernbotschaft meiner Ausführungen: Nichts kann den globalen Kapitalismus mehr aufhalten! Menschen, Unternehmen, selbst Regierungen können es versuchen. Sie können versuchen, ihn für ihre Interessen zu instrumentalisieren. Sie können versuchen, die mit ihm verbundenen Verpflichtungen zu begrenzen und die Sanktionen und Lasten zu vermeiden. Aber es wird ihnen nicht gelingen.»
Eaton sagte dies in Berlin beim Kolloquium «Der Kapitalismus im 21. Jahrhundert» der «Alfred Herrhausen Gesellschaft für internationalen Dialog», nachlesbar im gleichnamigen Buch, das die Gesellschaft herausgegeben hat, auf Seite 84. Dies gehört dazu, wenn bei den benannten Vorgängen und Ereignissen die alte Frage gestellt wird: Cui bono?
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