Die Schweiz hat alles bekommen, was sie wünscht!
Petros Mavromichalis, EU-Botschafter in der Schweiz

Liebe Leserinnen und Leser

Am Wochenende publizierte der Blick ein interessantes Interview mit dem EU-Botschafter in der Schweiz, Petros Mavromichalis. Der Grieche mit dem klingenden Namen nahm dabei kein Blatt vor den Mund.

Hintergrund: Die Schweizer Diplomatie und die EU haben sich Ende Dezember auf ein neues Paket von bilateralen Verträgen geeinigt. Mavromichalis machte geltend, die Schweiz habe alles erhalten, was sie gefordert habe, und er würde sich bei gewissen Parteien etwas mehr Enthusiasmus wünschen.

In einigen maßnahmenkritischen Kanälen, die ich verfolge, ging es sofort los mit Kritik: «Die ‹Warnung› dieses Griechen zeigt ganz klar, wohin die Reise mit der korrupten EU geht. Da gibt es nur eine Antwort: Nein und nochmals nein.» Und das Vertragswerk wurde als «Knebelvertrag» und «Unterwerfungsvertrag» tituliert.

Die Schweiz ist etwa so in die Verhandlungen gegangen: «Wir wollen nicht nur den Fünfer und das Weggli, sondern gleich auch noch die Bäckerei.» Das ging natürlich nicht und die Schweiz ist vor drei Jahren vom Tisch aufgestanden und hat die Tür zugeknallt. Nach einiger Zeit wurden die Verhandlungen wieder aufgenommen. Und jetzt ist das Ergebnis da und vom Bundesrat, der Landesregierung, abgesegnet. 2026 kommt es ins Parlament und dann kurz vor oder kurz nach den Wahlen von Ende 2027 findet die Volksabstimmung statt (wir berichteten hier und hier, weitere Links in den Beiträgen).

In diplomatischen Verhandlungen darf man den Fünfer, das Weggli und gleich noch die ganze Bäckerei fordern. Man darf auch aufstehen und die Tür zuknallen. Aber irgendwann muss man einen Kompromiss schließen.

Um beim Bild zu bleiben: Die Schweiz hat tatsächlich den Fünfer und das Weggli gekriegt. Aber nur die halbe Bäckerei. Ist das so schlimm? Ich glaube nicht. Und ich warne noch einmal davor, ein Verhandlungsergebnis nur deshalb in Bausch und Bogen zu verdammen, weil der Verhandlungspartner (hier die EU) unsympathisch ist.

Die Schweiz ist von EU-Ländern umgeben. Und die Beziehungen sind eng. Seit Anfang der 1990er Jahre der Binnenmarkt etabliert wurde, gibt es für die Schweiz das gleiche Dilemma: Der engen Beziehungen und der geographischen Nähe wegen hätte ein Abseitsstehen von diesem Binnenmarkt Folgen, die auch im Alltag sehr deutlich spürbar wären. Bei einem Mitmachen müssen wir uns aber an die Regeln halten, die im Binnenmarkt gelten. Und die werden nicht in Bern gemacht. Die Lösung waren bilaterale Marktzugangsabkommen. Nun entwickeln sich aber diese Regeln weiter.

Damit weiter einheitliche Regeln gelten, muss die Schweiz EU-Recht, das diese Abkommen betrifft, grundsätzlich übernehmen. Wenn sie das ablehnt – was sie darf (das ist die halbe Bäckerei) –, riskiert sie Ausgleichsmaßnahmen der EU. Diese müssen neu verhältnismäßig sein und dürfen nicht sachfremd sein. Die Verhältnismäßigkeit prüft neu ein unabhängiges Schiedsgericht, bevor sie greifen können. Heute kann die EU wenn die Schweiz nicht spurt, praktisch überall Retorsionsmaßnahmen ergreifen – was sie auch tat, zum Beispiel im Bildungs- und Forschungsbereich und bei der Aberkennung der Börsenäquivalenz.

Ein Hauptstreitpunkt der Verhandlungen war die Rolle des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Wird man sich über die Auslegung eines Abkommens nicht einig, wird die Frage einem paritätisch zusammengesetzten Schiedsgericht vorgelegt. Geht es um die Auslegung von EU-Recht, muss das Schiedsgericht den Europäischen Gerichtshof (EuGH) beiziehen, denn wenn in der Schweiz die gleichen Rechtsnormen anders interpretiert werden als in Deutschland oder Frankreich, ist das kein Binnenmarkt mehr.

Durch ein Mitmachen beim Binnenmarkt wird sehr viel Bürokratie abgebaut. Firmen müssen zum Beispiel nicht mehr für jedes Land andere Normen beachten.

Der Brexit sollte uns eine Warnung sein: Die Einwanderung nach Großbritannien hat sich verdoppelt und die Einwanderer kommen nicht mehr vornehmlich aus Europa, die Bürokratie schießt ins Kraut und das Reisen ist komplizierter geworden.

Und nun erzielt die Schweizer Diplomatie ein Verhandlungsergebnis, das deutlich besser ist als alles, was die EU Großbritannien zu gewähren bereit ist. Wir sollten es nicht vorschnell ablehnen. Und zu guter Letzt: Ich hätte mir gewünscht, dass die Schweizer Diplomatie bei den WHO-Verträgen ebenso hart verhandelt wie beim politisch umstrittenen Verhältnis zur EU.

Bleiben Sie uns, geneigte Leserin, geneigter Leser, gewogen!

Daniel Funk