Daß die niedrigste aller Geistestätigkeiten die arithmetische sei,
wird dadurch belegt, daß sie die einzige ist,
welche auch durch eine Maschine ausgeführt werden kann.
Arthur Schopenhauer
Liebe Leserinnen und Leser
Schon seit längerer Zeit treibt mich ein Thema um, das nun Hermann Ploppa in seinem aktuellen Artikel aufgreift: Es geht um die «betrogene Generation». Gemeint ist hier die sogenannte Generation Z, zu der die Jahrgänge ab Mitte der Neunziger Jahre bis 2009 gehören. «Diese Generation Z hat absolut keine Chance, ohne fette Erbschaft ein eigenes Vermögen zu bilden. Ihre Aufstiegschancen sind lausig», schreibt Ploppa.
Ich selbst gehöre der vorherigen Generation an, der sogenannten Generation Y (Jahrgänge 1981 bis 1995) und kann aus eigener Erfahrung sagen, dass vieles von dem, was Ploppa beschreibt, auch auf diese Generation zutrifft. Vielleicht noch nicht so flächendeckend und teilweise gedämpft, aber dennoch.
Dabei ist es wichtig, zu verstehen, dass es nicht darum geht, die Generationen gegeneinander auszuspielen. Im Gegenteil: Ein Verständnis für die großen Zusammenhänge sollte im besten Fall zu einem besseren Verständnis für die je spezifischen Probleme führen und zu mehr Zusammenhalt. Leider ist heutzutage aber eher das Gegenteil der Fall, wie Ploppa am Beispiel eines wirklich haarsträubenden Interviews aufzeigt, das einer einzigen Verhöhnung und Beschimpfung der jüngeren Generation gleichkommt.
Die «Rechtsanwältin, Wirtschaftsmediatorin und Expertin für Arbeit und Wandel» Susanne Nickel wird mit den Worten zitiert:
«Die jüngste Generation am Arbeitsmarkt stimmt mit den Füßen ab, weil sie sehr genau weiß, wie wichtig sie für Deutschland ist. Und Unternehmen und Führungskräfte buckeln vor ihnen. Sie werfen ihnen viele Incentives oder Anreize wie iPads und Smartphones nach und werden dabei schamlos ausgenutzt.»
Ich muss gestehen: Da musste ich mir erstmal die Augen reiben und schauen, ob ich richtig gelesen habe. Unternehmen und Führungskräfte werden also von jungen Arbeitnehmern «schamlos ausgenutzt»? Mehr Verdrehung der Realität geht wohl nicht.
Auch wenn es sich dabei «nur» um anekdotische Evidenz handelt, kann ich Ihnen sagen, dass ich – von wenigen positiven Ausnahmen abgesehen – an den meisten Orten, an denen ich in unterschiedlichen Rollen gearbeitet habe, Verhältnisse vorgefunden habe, in denen insbesondere junge Leute schamlos ausgenutzt werden. Das gilt für Universitäten, Verlage, Theater, kleine und große Unternehmen.
Hier einige Stichworte: Unbezahlte Praktika, befristete Verträge oder Kettenverträge, Minijobs statt Festanstellung, unbezahlte Überstunden, permanente Erreichbarkeit, ausbleibende Lohnzahlungen, psychologischer Druck bis ins Privatleben und die Familienplanung hinein, Androhung von Kündigung und/oder schlechtem Zeugnis, Mobbing und regelrechter Psychoterror etc.
Gleichzeitig sind an vielen Orten offenbar die Ressourcen vorhanden, um selbst bei schlecht bezahlten Bullshit-Jobs ein Bewerbungstheater zu veranstalten, als handele es sich um eine Professur für Quantenphysik. (Klar, denn die sogenannten HR-Abteilungen müssen ja irgendwie ihre Existenz rechtfertigen.) Nicht selten sind es außerdem die Unternehmen, die sich bei den Bewerbern nicht mehr melden oder sich höchst unprofessionell und unhöflich verhalten. Und nicht etwa umgekehrt, wie es die Dame im Interview behauptet (Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel).
Hermann Ploppa fasst die Perfidie hinter dieser Verdrehung folgendermaßen zusammen:
«Für jeden Babyboomer kann man dann zwei Generation Z-Youngster einstellen. Natürlich ohne die lästigen Kosten für deren existenzielle Absicherung. Mit lausigen Zeitverträgen. Ohne Aufstiegschancen. Und dann sind da auch keine lästigen Babyboomer mehr, die den jungen Leuten sagen, dass es früher mal besser war und dass man als abhängig Beschäftigter auch gesetzlich garantierte Rechte hat. Eingeschüchterte Geschichtslosigkeit ist der ideale Nährboden für die weitere Entrechtung.»
Es geht also wie gesagt keineswegs um eine weitere gesellschaftliche Spaltung – eine Spaltung der Generationen in dem Fall. Vielmehr braucht es auf allen Seiten mehr Bewusstsein darüber, dass es nicht das Ziel sein kann, sich selbst irgendwie durchzuwursteln und die anderen im Regen stehen zu lassen. Am Ende bleibt nämlich fast jeder auf der Strecke, spätestens dann, wenn all die Jobs, in denen sich ohnehin schon viele Menschen wie Maschinen verhalten, tatsächlich von Maschinen – sprich KI – übernommen werden. Ploppa meint:
«Anstatt dass Junge und Alte sich kloppen, lohnt es viel eher, gemeinsam den Tatsachen ins Auge zu schauen.»
Dass es durchaus auch anders geht, zeigt unser Interview mit der Unternehmerin Sabine Langer. Sie gehört dem Vorstand der Genossenschaft «Menschlich Wirtschaften» an und bietet ein Orientierungsprogramm in Form eines Wanderjahrs für Jugendliche an. Sie sagt:
«Wir hoffen und wünschen uns, dass die jungen Leute durch die Vielzahl der Praxisorte ihre Berufung finden. Und dass sie sehr viel gerader und selbstbewusster aus diesem Jahr gehen und wissen, in welche Richtung sie ihren Weg im Leben nehmen können. Dabei ist uns die Freiheit der jungen Leute wichtig.»
Das sollte es sein, was wir jungen Menschen – aber auch uns selbst – zugestehen sollten. Und nicht etwa einen schlecht bezahlten «Job» im Hamsterrad. Ein solcher macht nämlich nicht nur unglücklich, sondern auch anfällig für allerlei Aufputschmittel wie zum Beispiel Energydrinks. Und diese sind laut einer neuen Metaanalyse mit einem verdoppelten Suizid-Risiko assoziiert, und zwar bereits beim Konsum von nur einer Dose pro Monat.
In diesem Sinne: Seien wir freundlich zueinander und ziehen wir keine voreiligen Schlüsse über das Verhalten und die Befindlichkeiten einer anderen Generation. Letztendlich geht es darum, zusammenzuarbeiten und sich gegenseitig zu unterstützen.
Apropos gegenseitige Unterstützung: Wir möchten Ihnen ganz herzlich für die bereits eingegangenen Zahlungen danken, die infolge unseres dringenden Aufrufs zu verzeichnen sind! Wir sind zuversichtlich, dass wir auch diesmal unser Ziel erreichen, das da heißt: Ihnen weiterhin kritischen und unabhängigen Journalismus bieten zu können.
Herzliche Grüße
Susanne Schmieden
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Herzlichen Dank an alle, die Transition News treu unterstützen und damit unsere Arbeit und Unabhängigkeit erst ermöglichen!
