Armes Deutschland und armer Journalismus – das gilt angesichts der Tatsache, dass jemand wie Gabriele Krone-Schmalz als «Putin-Versteherin» diffamiert wird. Und es gilt auch angesichts der Tatsache, dass sie bis heute bei ihren Vorträgen ein hohes Maß an Zustimmung und stehenden Beifall bekommt.
Um nicht missverstanden zu werden: Das hat die erfahrene Journalistin und Publizistin verdient. Aber das, was sie tut, ist eigentlich etwas Selbstverständliches für Journalisten: Beobachten, analysieren, berichten, beschreiben, beide Seiten beachten und die Leser selber denken lassen. Es lässt sich auf eine einfache Formel bringen: Sagen, was ist.
Doch das ist im deutschsprachigen Journalismus leider längst nicht mehr selbstverständlich, gerade beim wichtigsten Thema von Krone-Schmalz, dem Verhältnis zu Russland. Und so füllt sie die Räume und Säle, in denen sie auftritt, und erfüllt ein weit verbreitetes Bedürfnis nach differenzierten Informationen und Sichtweisen.
Das geschah ein weiteres Mal am Sonntag im Berliner «Sprechsaal», wo die Journalistin und frühere Moskau-Korrespondentin der ARD über das Thema «Verstehen heißt nicht Verständnis haben – Frieden mit Russland & der Welt» sprach. Wie sie das macht, das zeigt den Unterschied zu vielen ihrer Berufskollegen, die bis heute nach ihr kamen und aus oder über Russland berichten.
Prof. Gabriele Krone-Schmalz am 6. Oktober im Berliner Sprechsaal (Foto: Tilo Gräser)
Die Rechtsanwältin Karolin Ahrens hatte die Veranstaltung organisiert und Krone-Schmalz eingeladen. Diese ging auf verschiedene Aspekte des Themas ein, von der Chronologie der Ereignisse über die Geschichte der Ukraine und eine Bestandsaufnahme der Lage bis hin zu den Interessen der am Konflikt und Krieg beteiligten Seiten. Sie machte das in ihrer gewohnt sachlichen und prägnanten Art, auch mit Blick auf die Medien und deren Sprache.
Umgewidmete Begriffe
So beschrieb sie am Beispiel der sie selbst betreffenden Beschreibung «Russlandversteher», wie Begrifflichkeiten umgewidmet werden.
«Das war zu Zeiten der neuen deutschen Ostpolitik Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts in Regierungskreisen eher etwas Positives. Heute wird ‹Russlandversteher› abschätzig gebraucht und dient dazu, das, was derjenige sagt, von vornherein undiskutabel zu machen.»
Als anderes Beispiel dafür nannte sie den Begriff «Querdenker», der einst unter anderem in Stellenausschreibungen als Qualitätsmerkmal gegolten habe. Das habe sich heute auch verändert, stellte sie mit Blick auf die Tatsache fest, dass auch dieses Wort in das Arsenal der Diffamierungen aufgenommen wurde.
Was Krone-Schmalz zum Ukraine-Krieg, dessen Vorgeschichte und Hintergründe sowie den Interessen der Beteiligten vortrug, war nicht neu. Das ist in ihren Büchern ebenso nachzulesen wie in ihren bisherigen Vorträgen sowie Berichten dazu nachzuhören und nachzulesen.
Dazu gehört auch ihr Hinweis am Sonntag, dass ihre kritische Sicht auf den US-geführten Westen nichts mit «Antiamerikanismus» zu tun habe und ihr Blick auf Russland nicht unkritisch sei. Doch so sind die Zeiten, dass jemand wie die erfahrene Journalistin und Publizistin das hervorheben muss, auch wenn jene, die sie falsch wiedergeben wollen, das ignorieren.
Es gehe ihr darum, sich «nicht von vorgeschobenen humanitären oder moralischem Deckmäntelchen die Sicht verstellen zu lassen». Sie bemühe sich, «so gut es geht zu verstehen, im Sinne von begreifen». Etwas zu verstehen und zu begreifen, müsse nicht automatisch «Verständnis haben» bedeuten.
Das wäre den kriegstreibenden «Lohnschreibern» (Patrik Baab) der etablierten Medien ins Stammbuch zu schreiben, die sich auch bei diesem Vortrag von Krone-Schmalz nicht blicken ließen. Sie hätten auch lernen können, wie man Interessen auf den Grund geht und hinterfragt, was Politiker auf der Bühne von sich geben.
Aufgegebene Diplomatie
Im Zusammenhang mit der Ukraine und deren Geschichte verwies die Journalistin auf die Aussagen des Politikwissenschaftlers Nikolai Petro, der in seinem Buch «The Tragedy of Ukraine» auf die Wurzeln des aktuellen Konflikts eingeht. Die gewaltsamen Auseinandersetzungen um die ukrainische Identität würden mindestens bis in die letzten 150 Jahre zurückreichen.
Das habe mit den unterschiedlichen Entwicklungen im Westen sowie im Süden und Osten des Landes zu tun und habe auch in der Zeit der Sowjetunion nicht aufgehört. Krone-Schmalz sieht es als «grundlegenden ukrainischen Fehler» an, dem Land keine föderale Struktur gegeben zu haben, auch nicht nach den offenen Autonomiebestrebungen in der Ostukraine ab 2014.
«Auf die fehlende staatliche Kontinuität der Ukraine hinzuweisen, hat überhaupt nichts damit zu tun, der Ukraine ihr Existenzrecht abzusprechen. Ganz und gar nicht. Es hat allerdings eine Menge damit zu tun, tragfähige politische Lösungen zu finden.»
Für solche Lösungen müsse die Geschichte berücksichtigt werden, betonte sie mit Blick auf die «harte politische Arbeit, in dieser hochgradig komplizierten Gemengelage eine friedliche Lösung für das Zusammenleben zu finden». Das werde auch durch die geopolitischen Interessen der anderen Akteure wie USA, EU und Russland erschwert.
Die vor allem vom Westen geforderte Entweder-oder-Entscheidung Kiews 2013 zwischen der möglichen EU-Mitgliedschaft und der Bindung an Russland habe zu einer «Selbstmordökonomie» geführt, zitierte die Journalistin den Experten Petro. Sie ging auch darauf ein, dass die westlich angestrebte Isolation Russlands in der Welt gescheitert sei, wovon unter anderem in wenigen Tag der BRICS-Gipfel im russischen Kasan zeuge.
Ebenso beklagte sie, dass mit der neuen EU-Außenbevollmächtigten Kaja Kallas eine «Scharfmacherin» mit dem Amt betraut wurde, «statt nach jemandem Ausschau zu halten, der noch weiß, wie Diplomatie geht». Es sei tragisch, wie das «ursprünglich recht gute Verhältnis zwischen EU und Russland» nach der Osterweiterung der EU «nicht verbessert, sondern nachhaltig ruiniert» worden sei.
Notwendiger Perspektivenwechsel
Krone-Schmalz bezeichnete es in dem Zusammenhang als notwendig, die russischen Sicherheitsinteressen und -ängste ebenso ernst zu nehmen wie die anderer Länder in Ost- und Mitteleuropa. Erstere seien vor allem durch die NATO-Osterweiterung missachtet und im Westen ins Lächerliche gezogen worden.
Bei diesen und anderen Aspekten forderte die Publizistin ihre Zuhörer immer wieder auf, die russische Perspektive einzunehmen, um zu verstehen, wie Moskau darauf blickt. Sie erinnerte auch daran, dass Russland elf Militärstützpunkte im Ausland hat, die USA dagegen mehr als 800 in mehr als 70 Ländern der Welt.
«Und dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob eine Bedrohung tatsächlich gegeben ist oder nur als solche wahrgenommen wird. Das reicht, um die Grundlage eines friedlichen Nebeneinanders oder gar Miteinanders zu zerstören.»
Krone-Schmalz beschrieb außerdem, wie aus dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der mit einem Friedensversprechen 2019 ins Amt kam, einer wurde, der heute glaubt, mit einem «Siegesplan» den Krieg um jeden Preis zu gewinnen. Dabei spiele die extreme Rechte in der Ukraine, die die öffentliche Debatte bestimmte und massiven Druck auf die Kiewer Politik ausübe, eine wichtige Rolle.
Sie sieht bei Selenskyjs Entscheidungen und Äußerungen «statt Ratio vor allem Panik», wozu das Bestreben gehöre, die NATO in den Krieg hineinzuziehen. Gleichzeitig werde im Westen über diesen Eskalationskurs nicht gesprochen, der dagegen nur Russland zugeschrieben werde. Die westlichen Behauptungen, Russland wolle die ganze Ukraine besetzen oder gar vernichten, seien nicht realistisch.
«Man kann Putin alles Mögliche vorwerfen, aber sicher keinen Mangel an Verstand und strategischem Denken.»
Dafür führte sie an, dass die Sowjetunion einst in der im Vergleich zur Ukraine kleinen DDR mehr als 350.000 Soldaten stationiert hatte. Doch der Vergleich passt nicht, da die sowjetischen Soldaten in dem vor 75 Jahren gegründeten zweiten deutschen Staat nicht als «Besatzungstruppen» stationiert waren, sondern als vorgeschobene Kampfeinheiten für einen möglichen Krieg mit dem Westen.
«Hochgefährliche Eskalation»
Nichtsdestotrotz gibt es keinerlei Belege für Moskauer Pläne, die Ukraine zu besetzen oder gar sich vollständig einzuverleiben, wie es immer wieder unterstellt wird. Krone-Schmalz widersprach auch den vermeintlichen Experten, die einen russischen Angriff auf NATO-Gebiet in fünf Jahren voraussagen. Dabei handele es sich «weniger um nüchterne Lageanalysen», als um Versuche, die Zustimmung in der Bevölkerung für die fortgesetzte Unterstützung Kiews zu sichern.
Die verkündete Aufstellung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland ab 2026 bezeichnete sie als eine «hochgefährliche Eskalation», die Europa zum Schlachtfeld eines großen Krieges mache. Das sei auch aus demokratischer Perspektive höchst fragwürdig, da diese Entscheidung beim NATO-Gipfel im Juli dieses Jahres von US-Präsident Joseph Biden und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ohne jegliche vorherige gesellschaftliche und politische Debatte mitgeteilt worden sei.
Die Journalistin verwies auf eine Analyse von Wolfgang Lieb, der sich mit den Hintergründen des Vorgangs beschäftigt hat. Und sie zitierte den ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt, der bereits 1968 als SPD-Sicherheitsexperte festgestellt hatte, dass landgestützte Raketensysteme «nach Alaska, nach Grönland oder in irgendwelche Wüsten gehören, aber sicher nicht in dicht besiedelte Gebiete».
Aber Schmidt gehörte dann zu jenen, die sich 1979 für den sogenannten NATO-Doppelbeschluss stark machten, in dessen Folge Pershing II-Raketen in der BRD aufgestellt wurden, wenn auch gleichzeitig die Sowjetunion zu Verhandlungen aufgefordert wurde. Letzteres ist heute nicht mehr der Fall, wie Krone-Schmalz feststellte, die auch an die von den USA aufgekündigten Abrüstungsverträge erinnerte.
Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine hob sie hervor, dass die frühe Friedenschance durch die Verhandlungen in Istanbul im März 2022 nicht an Moskau scheiterte. Verantwortlich dafür sei das westliche Interesse, den Krieg fortzusetzen – und damit Russland zu schwächen, wie es der US-Kriegsminister Lloyd Austin im April 2022 erklärte. Die Journalstin dazu:
«Die Tragik der Ukraine bemisst sich also nicht nur im unermesslichen Leid der Menschen und in der unbeschreiblichen Zerstörung dieses Landes, sondern auch darin, dass eine intelligente Politik nach allem, was man weiß, das alles verhindern hätte können, wenn man sie denn gelassen hätte.»
Wer der Ukraine helfen wolle, müsse dafür sorgen, dass dieser Krieg endet, betonte sie. Wie in ihren Büchern und ihren vorherigen Vorträgen sprach sie sich dafür aus, sich wieder an der Ostpolitik von Willy Brandt und Egon Bahr auf der Basis von Wandel durch Annäherung zu orientieren.
Vermisster Protest
Diejenigen, die sich dafür einsetzen, dass Kriege beendet werden beziehungsweise künftige nicht mehr ausbrechen, müssten «jetzt dringend Mittel und Wege finden, wieder als gestalterische Kraft in dieser Gesellschaft zu wirken». Das werde ohne junge Menschen nicht funktionieren, stellte sie klar. Zuvor hatte sie eingestanden: «Ich begreife auch nicht, dass die Menschen bei uns nicht massenhaft auf die Straße gehen, um sich gegen die Kriegspolitik zu wehren».
«Die junge Generation, für die Frieden offenbar etwas Selbstverständliches geworden ist, ist dermaßen auf Klimawandel fixiert, dass für das Thema Krieg und Frieden offenbar kein Platz ist. Dabei sollte allen klar sein: Wenn das mit dem Frieden nicht funktioniert, schon gar angesichts der Nuklearwaffen, dann ist das mit dem Klima auch schon egal.»
Im Austausch mit dem Publikum überraschte sie mit der Aussage, dass sie derzeit die innerrussische Debatte zur Lage und auch Aussagen von prominenten Politikexperten wie Sergej Karaganow und Dmitri Trenin kaum verfolge. Von Freunden in Russland wisse sie, dass es dort eine große Enttäuschung angesichts der westlichen Politik gebe und viele versuchten, nach dem Prinzip «Business as usual» zu leben.
Gefragt nach ihrer eigenen Hoffnung auf ein «Licht am Ende des Tunnels» sagte Krone-Schmalz, dass sie versuche, sich nicht unterkriegen zu lassen und die Maßstäbe der deutschen Gesellschaft, wie dem des mündigen Bürgers, ernst zu nehmen. Dazu gehöre für sie nicht nur, den Dingen auf den Grund zu gehen und zu Erkenntnissen zu kommen, sondern, diese auch zu teilen und sich auf Auseinandersetzungen einzulassen.
«Wenn jeder Einzelne in seinem Umfeld das tut, was er meint tun zu können, und eben nicht kneift, ich glaube, dass das schon mal eine ziemlich große Wirkung hätte. Und Resignieren ist das Letzte!»
Kommentare