Die Journalisten schreiben alle einander ab.
Ein Mitglied der Schweizer Teletext-Geschäftsleitung Mitte der 80er Jahre
Liebe Leserinnen und Leser
Heute habe ich einen Artikel über eine Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) publiziert, die zeigt, dass sich in der Schweiz über 75 Prozent der befragten Medienschaffenden als «ganz links» oder «eher links» bezeichnen. In der Gesamtbevölkerung ordnen sich lediglich ein Drittel der Menschen politisch links ein.
Mich begleitet und beschäftigt dieses Thema seit etwa 40 Jahren in unterschiedlichem Ausmaß. Ich studierte unter anderem Medienwissenschaften und absolvierte Mitte der 80er Jahre ein entsprechendes Praktikum beim Teletext im schweizerischen Biel. Das Medium war neu, die Redaktion jung. Der Teletext ist heute der Dinosaurier unter den elektronischen Medien, mit dem Unterschied, dass es ihn immer noch gibt. Über die Austastlücke bei der Übertragung eines Bildinhaltes werden so im kultigem Pixel-Design der 80er Jahre kleine Meldungen übertragen.
Die Redaktion war in Biel, weil man in dieser zweisprachigen Stadt einfach deutsch- und französischsprachige Redaktionen unter einem Dach vereinen konnte. Biel war damals die linkeste Stadt in der Schweiz. Dementsprechend war ich, ein Praktikant aus bürgerlichem Hause, ein Außenseiter in einer sehr linken Redaktion. Äußerlich gab man sich lässig und tolerant, aber der Meinungskorridor war schmal. In den Büros wurde geraucht und interessant waren die Nachschichten: Da bereiteten wir den nächsten Tag vor und wenn nichts mehr Weltbewegendes über den Telex reinkam, wurde die Weissweinflasche entkorkt. Und es blieb meist nicht bei einer Flasche.
Spiegelverkehrt zur lockeren Arbeitsatmosphäre waren die Diskussionen. Abweichende Stimmen wurden meist abgeblockt oder blieben unkommentiert im Raum stehen. Es gab damals in den meisten Schweizer Redaktionen noch eine große Vielfalt. Den Medien ging es, obwohl die Verlage schlecht geführt waren, gut. Es gab auch noch die «innere Pressefreiheit», bei der sich der Verlag nicht in die inhaltlichen Belange der Redaktionen einmischte.
Die älteren Redaktoren, mutig, hochgebildet, diskussionsfreudig und aus dem Bildungsbürgertum kommend, waren noch da, aber es wurden weniger. Ersetzt wurden sie langsam und unmerklich durch diejenigen, die heute die Schweizer Medien prägen: Gesucht waren aus einem urbanen Umfeld stammende Akademiker vorwiegend geisteswissenschaftlicher Prägung, politisch links, grün und areligiös. Das bedeutet: für einen starken Sozialstaat, für stärkere Umverteilung und für eine Umweltpolitik, die sich nicht marktwirtschaftlicher Mittel wie Lenkungsabgaben bedient, sondern die sich an Geboten und Verboten orientiert.
Wirtschaftsliberale Ansichten waren noch bis zu einem gewissen Grad in Ordnung, was aber gar nicht gefragt war, sind Anwärter mit wertkonservativen Ansichten, Verfechter von traditionellen Familien und religiöse Menschen. Ist es vielleicht auch dieser enge Meinungskorridor und das Fehlen von Grundsatzdiskussionen «über Gott und die Welt», die es ermöglichten, dass in diesem Umfeld die Stimmung von einer pazifistischen Grundhaltung in den 80er Jahren zum heutigen kriegerischen Grundkonsens umschlagen konnte?
Zusätzlich zeichnete sich schon damals ab, dass die Werbung in elektronische Kanäle abfließen könnte. Ich schrieb damals anhand eines Videotex-Projektes eine entsprechende Seminararbeit, die zu diesen Schlüssen kam. Videotex kann vereinfacht als Vorläufer des Internets bezeichnet werden. Verlage, die in diesem Bereich stark investieren, könnten wachsen, andere würden leiden, schrieb ich. Die Verleger investierten aber lieber in neue Druckmaschinen und gerieten darob in finanzielle Nöte. Was folgte, war eine Pressekonzentration, die seinesgleichen sucht. Und mittlerweile sind die Leute, die damals am Anfang ihrer Karriere standen, in die Chefetagen vorgedrungen. Dort ist der Meinungskorridor etwas breiter, die Einstellungen und Überzeugungen gehen aber gemäss Umfrage der ZHAW ebenfalls in die gleiche Richtung wie in den Redaktionen.
Diese Faktoren – wirtschaftliche Konzentration und eine «Inzucht» der Meinungen, der Herkunft und der Einstellungen, haben meiner Überzeugung nach zur heutigen misslichen Situation der Leitmedien geführt, die immer mehr den Kontakt zu den zwei Dritteln der Menschen verlieren, die politisch anders denken.
So wird das wahr, was mir – siehe Eingangszitat – am ersten Arbeitstag in meinem Praktikum in Biel ein Geschäftsleitungsmitglied gesagt hat. Und das eröffnet Möglichkeiten für alternative Medien wie Transition News. Bleiben Sie uns, geneigte Leserin, geneigter Leser, gewogen!
Daniel Funk