Eine EU-Mitgliedschaft scheint nach wie vor eine attraktive Perspektive für europäische Länder zu sein, die der Union noch nicht angehören. Nebst der Ukraine und Moldawien befinden sich im Moment Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro und Serbien in unterschiedlichen Stadien des Beitrittsprozesses. Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei wurden eingefroren.
Zusätzliche Mitglieder stellen immer eine Herausforderung für das Funktionieren der Gemeinschaft dar. Ein Artikel auf der Plattform Achgut.com wirft nun etwas Licht auf die Pläne der EU. Eine Expertengruppe unter der Leitung der deutschen Europa-Staatsministerin Anna Lührmann und ihrer französischen Amtskollegin hat einen Bericht vorgelegt, der Reformen skizziert, die notwendig seien, um die EU für die Erweiterung vorzubereiten. Die wichtigsten Punkte des Berichts sind:
- Abkehr von der Einstimmigkeit: Um die Handlungsfähigkeit der EU mit mehr Mitgliedstaaten zu gewährleisten, wird vorgeschlagen, sich von der Einstimmigkeitsregel zugunsten qualifizierter Mehrheitsentscheidungen zu entfernen.
- Stärkung der Rechtsstaatlichkeit: Die EU soll Instrumente erhalten, um Sanktionen gegen Mitgliedstaaten zu verhängen, die gegen die europäischen Werte verstossen.
- Institutionelle Reformen: Die EU-Institutionen sollen angepasst werden, um effektiver und erweiterungsfähig zu sein, ohne die Zahl der Mitglieder im Europäischen Parlament zu erhöhen.
- Finanzpolitik: Es wird empfohlen, eine stärkere steuerpolitische Harmonisierung der Mitgliedstaaten und einen grösseren gemeinsamen EU-Haushalt zu schaffen.
- Transnationale Wahlen: Die Bedingungen für die Europawahlen sollen harmonisiert werden, um einen transnationalen Wahlraum zu schaffen.
- Digitale Werkzeuge: Digitale Instrumente und Technologien wie künstliche Intelligenz sollen genutzt werden, um den Austausch der Bürger in der EU zu fördern.
- Transparenz und Rechtschaffenheit: Ein neues Amt für Transparenz und Rechtschaffenheit wird vorgeschlagen, um die Tätigkeiten der EU-Institutionen zu überwachen.
Der Bericht betont, dass die EU in einer kritischen Phase stecke, die durch geopolitische Verschiebungen, Krisen und interne Komplexität gekennzeichnet sei. Die Erweiterung der EU wird als eine Möglichkeit gesehen, die EU in geopolitischen Angelegenheiten zu stärken. Die Reformen sollen kurzfristig und langfristig umgesetzt werden.
Dieses deutsch-französische Gemeinschaftsprojekt könnte Einfluss auf die Diskussion über die Zukunft und Erweiterung der EU haben. Die obigen Punkte zeigen, dass eine Umsetzung eine weitergehende Zentralisierung der EU und eine Stärkung ihrer Handlungsfähigkeit in verschiedenen Politikbereichen zur Folge haben könnte.
Es ist auffällig, dass das Ziel des Berichts lediglich darin zu bestehen scheint, die EU handlungs- und funktionsfähig zu halten. Ein Problem, das sich mit jedem Erweiterungs- und Reformschritt weiter akzentuiert, ist das seit längerem bekannte «Demokratiedefizit» der Union.
Die wichtigsten Institutionen sind nebst dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die EU-Kommission (eine Art Exekutive mit Mitgliedern, die von den einzelnen Ländern abgesandt werden), das direkt gewählte Europäische Parlament (Vertretung der europäischen Bürger) und der EU-Ministerrat (Vertreter der Regierungen).
Der Schwerpunkt der Macht liegt dabei eindeutig bei der Kommission und dem Ministerrat.
Wenn man bedenkt, dass Letzterer nicht angetastet wird, dann dürften erweiterte Sanktionsmöglichkeiten und mehr Mehrheitsentscheidungen die heutige Tendenz zu intransparenten Hinterzimmerdeals und zu Lobbying noch verstärken. Das Demokratiedefizit würde dabei verstärkt und nicht beseitigt.
Es fällt zum Beispiel auf, dass nicht definiert wird, was ein «Verstoss gegen die europäischen Werte» genau ist. Damit wird der Willkür Tür und Tor geöffnet. Der Hintergrund dazu ist, dass schon heute die EU-Kommission beispielsweise gegen Ungarn aufgrund seines Anti-LGBTIQ-Gesetzes ein Verfahren eröffnet hat. Es will ihr aber nicht recht gelingen, das Land auf die gewünschte Linie zu bringen.
Es braucht nicht viel Phantasie, um zu ermessen, dass künftig Sanktionen für widerspenstige Länder vorgesehen sind, die sich nicht dem links-grünen Mainstream anpassen wollen.
Ein echter Reformschritt würde darin bestehen, die ganze Machtgeometrie der EU zu verändern, zu demokratisieren und so eine wirkliche europäische Öffentlichkeit zu schaffen. Der wichtigste Schritt wäre die Umwandlung des Ministerrates in eine Länderkammer, nach dem Muster des Schweizer Ständerates. Darin wären dann zum Beispiel zwei vom jeweiligen Volk direkt gewählte Mitglieder. Zudem sollte es eine Unvereinbarkeitsklausel geben, das hiesse: Es wäre nicht mehr möglich, dass eine Person gleichzeitig in einer nationalen Regierung und auf EU-Ebene tätig ist.
Ein solcher Vorschlag würde aber die Weisheit und Bereitschaft bei den betroffenen Institutionen voraussetzen, Macht abzugeben. Und das ist – man weiss das seit Richard Wagners Opern-Tetralogie «Der Ring des Nibelungen» – etwas vom Schwierigsten.
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