Europa steht zunehmend komplexen Krisen gegenüber, und ein Bericht des ehemaligen finnischen Präsidenten Sauli Niinistö von dieser Woche warnt, dass die EU zu zögerlich auf wachsende Bedrohungen reagiert. Der Bericht, der auf Ersuchen von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erstellt wurde, legt nahe, dass die EU ihre Militärausgaben erheblich erhöhen und 20 Prozent des jährlichen Budgets von etwa einer Billion Euro in die Verteidigung und Krisenvorsorge investieren sollte.
«Bedrohungen enden nicht an unseren Grenzen. Sie greifen in alle vernetzten Sektoren unserer Wirtschaft ein», mahnte Niinistö und unterstrich, dass die EU ihre eigene Sicherheit proaktiv sichern müsse, statt auf internationale Unterstützung zu vertrauen. Angesichts der anstehenden US-Wahlen warnt Niinistö, dass die EU ohne ein klares Engagement für die eigene Verteidigung kaum erwarten könne, dass andere Länder – insbesondere die USA – diese Aufgaben für sie übernehmen.
Der Bericht hebt die anhaltende Verwundbarkeit Europas gegenüber grenzüberschreitenden Bedrohungen hervor und nennt die «Pandemie», den Krieg in der Ukraine und extreme Wetterlagen als Warnsignale. Trotz steigender nationaler Verteidigungsausgaben und einem vorgeschlagenen europäischen Verteidigungsfonds von 1,5 Milliarden Euro fehlt der EU jedoch eine umfassende Koordination und institutionelle Struktur für grenzübergreifende Krisenszenarien. Niinistö betont die Notwendigkeit eines Plans zur Verteidigung im Falle eines Angriffs gegen ein Mitgliedsland und fordert zudem eine langfristige Strategie zur Sicherung der Souveränität und territorialen Integrität aller 27 Mitgliedsstaaten.
Die Reaktion auf die Situation in der Ukraine hat gemäß dem Bericht verdeutlicht, wie dringend Europa seine Verteidigungs- und Krisenbewältigungsfähigkeiten ausbauen muss. Laut der EU-Kommission erfordern diese Investitionen eine zusätzliche Finanzierung von etwa 50 Milliarden Euro über die kommenden zehn Jahre.
Ein zentrales Element des Berichts ist die Idee, die EU-Geheimdienststrukturen schrittweise zu stärken. Zwar stößt die Idee eines europaweiten Nachrichtendienstes auf Bedenken, da viele nationale Behörden ihre Souveränität in Sicherheitsfragen bewahren wollen, jedoch ist die Zusammenarbeit angesichts wachsender Bedrohungen von innen und außen unverzichtbar. Die EU hat bereits 2022 einen Ausbau ihrer Analysekapazitäten beschlossen, und von der Leyen bestätigte diese Woche in einer Pressekonferenz, dass der Aufbau eines europäischen Nachrichtendienstes angesichts der gemeinsamen Bedrohungslage «im Interesse aller» sei (wir berichteten).
Die bevorstehenden US-Wahlen könnten die europäischen Sicherheitsanstrengungen weiter beeinflussen. Die Aussicht, dass ein potenzieller republikanischer Wahlsieg – mit Donald Trump als Favorit – die amerikanische Unterstützung für die Ukraine und möglicherweise auch die NATO-Verpflichtungen reduzieren könnte, hat in Europa Besorgnis ausgelöst. In diesem Zusammenhang sei der Bericht laut Niinistö ein entscheidender «Weckruf» für die EU, den Vereinigten Staaten und anderen Verbündeten ein klares Signal zu senden, dass Europa seine Sicherheitslast zunehmend selbst tragen kann.
Dennoch zeigt sich, dass die EU in vielen Bereichen weiterhin stark von nationalen Interessen geprägt ist. Trotz gestiegener Verteidigungsausgaben erfolgt der Großteil der Investitionen in Rüstungsgüter – etwa 82 Prozent – nach wie vor auf nationaler Ebene und nur knapp ein Fünftel in gemeinschaftlich finanzierten Projekten. Eine stärkere Zusammenarbeit und gemeinsame Investitionen seien, so Niinistö, der Schlüssel, um strategische Schwachstellen zu überwinden und Europa als ernsthaften Verteidigungspartner zu etablieren.
Für Niinistö steht fest, dass die EU-Mitgliedstaaten schneller und enger zusammenarbeiten müssen, um die Resilienz der Union zu stärken. Dabei sei klar, dass einige der vorgeschlagenen Maßnahmen zwischen den Mitgliedstaaten umstritten bleiben werden. Daher empfiehlt der Bericht, dass auch neue, flexible Initiativen ins Leben gerufen werden, die willige Mitgliedsstaaten in die Lage versetzen, rascher auf Krisen zu reagieren und Fortschritte bei der Krisenvorsorge zu erzielen.
Mit der Betonung auf gemeinsamen Einsatz und langfristige Planung hofft der Bericht, dass die EU ihre Bürger besser schützt und internationale Partner durch ihre Bereitschaft zur Eigenverantwortung überzeugt.
Kommentar Transition News
Aus heutiger Sicht ist es noch schwierig zu beurteilen, ob dieser Bericht Wirkung entfalten wird oder ob er in Brüssel in irgendeiner Schublade verschwindet. Was auffällt:
Von demokratischer Mitbestimmung ist kaum die Rede. Werden weitere Kompetenzen von den EU-Mitgliedern an die EU delegiert, dann führt das fast zwingend zu einem Abbau von Demokratie, denn das Demokratiedefizit in der EU hat mit deren Ausbau zu- und nicht abgenommen. So lange die Kommission und der Europäische Rat die entscheidenden Gremien sind und nicht das Parlament, besteht insofern ein Demokratiedefizit, als diese beiden Institutionen aus von den nationalen Exekutiven delegierten Mitgliedern respektive aus den Staats- und Regierungschefs selber bestehen.
Und zu guter Letzt ist viel von Vorbereitung auf Katastrophen und Krieg die Rede, aber wenig von Vermittlung, Friedensförderung und Konfliktlösung. Es ist auch unklar, was dieses Maßnahmenpaket für neutrale EU-Mitglieder, die es immer noch gibt, bedeuten würde.