In Georgien herrscht derzeit große politische Spannung. Kürzlich verabschiedete das Parlament trotz massiver öffentlicher Proteste ein umstrittenes Gesetz, das NGOs und Medien verpflichtet, allfällige ausländische Finanzierung offenzulegen (wir haben hier und hier darüber berichtet).
Nun steht ein weiteres umstrittenes Gesetz zur Debatte: Ein Vorschlag, der die Propagierung gleichgeschlechtlicher Beziehungen verbieten soll, ähnlich dem russischen Vorbild. Kritiker befürchten, dass dieses Gesetz die Ambitionen Georgiens auf einen EU-Beitritt gefährden könnte.
Die Regierungspartei «Georgischer Traum» hat angekündigt, ein Gesetz zum «Schutz von Minderjährigen und Familienwerten» ins Parlament einzubringen. Parlamentspräsident Schalwa Papuaschwili erklärte, dass das Gesetz die Propaganda gleichgeschlechtlicher Beziehungen in Bildungseinrichtungen und Fernsehsendungen einschränken soll.
Das Gesetzespaket umfasst mehrere Maßnahmen, darunter ein Verbot der Registrierung gleichgeschlechtlicher Ehen und der Adoption durch homosexuelle Paare. Auch Geschlechtsumwandlungen und die Änderung des Geschlechts in offiziellen Dokumenten sollen verboten werden. Zudem wird in Bildungseinrichtungen und im Fernsehen die Propaganda von LGBT-Themen untersagt. Auch Versammlungen und Pride-Paraden werden illegal, sollte die Vorlage Gesetzeskraft erlangen.
Das neue Gesetzesvorhaben weist klare Parallelen zu russischen Gesetzen auf, insbesondere dem russischen Gesetz gegen «homosexuelle Propaganda», das 2013 unter dem Vorwand des Kinderschutzes verabschiedet wurde. Dieses Gesetz verbietet jegliche Darstellung nichttraditioneller Beziehungen und wurde 2022 weiter verschärft, um die Sichtbarkeit der LGBTQ-Community in Russland nahezu vollständig zu beseitigen.
Die Opposition hat sich bisher noch nicht klar zu dem neuen Gesetz geäußert, doch es wird erwartet, dass die Regierungspartei genügend Stimmen im Parlament hat, um das Gesetz durchzusetzen. Die Reaktionen in der georgischen Gesellschaft sind gemischt. Während ein Teil der Bevölkerung die konservative Wende unterstützt, gibt es massive Proteste und Bedenken hinsichtlich der Verletzung von Menschenrechten und demokratischen Prinzipien.
Seit der Regierungsübernahme im Jahr 2012 verfolgte die Partei «Georgischer Traum» zunächst eine liberale, prowestliche Agenda. Das Land hat sich denn auch wirtschaftlich und politisch gut entwickelt. Die georgische Gesellschaft ist zwar nach wie vor konservativ geprägt, aber insbesondere jüngere und urban geprägte Menschen sind von einer gewissen Weltoffenheit und Neugier geprägt. Sie möchten deshalb nicht mehr auf die seit einigen Jahren geltende Visumsfreiheit für die Schengenzone und den EU-Annäherungsprozess verzichten.
Georgien ist seit Dezember offiziell EU-Beitrittskandidat, und mehr als 80 Prozent der Bevölkerung unterstützen diesen Kurs laut Umfragen. Auch der Gebrauch der russischen Sprache ist auf dem Rückzug. Junge Menschen sind des Russischen kaum mehr mächtig und sprechen stattdessen Englisch.
In den letzten zwei Jahren, also genau seit Kriegsausbruch in der Ukraine, hat die Regierung jedoch ihre Rhetorik und Politik deutlich in eine antiwestliche und antiliberale Richtung verändert. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in den aktuellen Gesetzesinitiativen wider. Was könnte dahinterstecken?
Georgische Experten und politische Beobachter sehen in den neuen Gesetzesinitiativen einen Versuch, den konservativen Teil der Bevölkerung zu mobilisieren und zu besänftigen. Dies könnte mit den im Herbst anstehenden Wahlen in Zusammenhang stehen.
Gleichzeitig gibt es starke internationale Kritik, insbesondere aus den USA und der EU, die bereits Sanktionen wie die Aberkennung des EU-Kandidatenstatus und andere Maßnahmen wie das Überdenken des visumsfreien Reiseverkehrs gegen Georgien in Betracht ziehen.
Die Kritiker aus den USA und der EU werfen der Regierung vor, sich wieder verstärkt Moskau anzunähern, was viele Menschen im Land ablehnen. Dies zeigt sich auch in den Massendemos, bei denen häufig EU-Flaggen geschwenkt werden.
Die georgische Regierung fürchtet hingegen, von den USA und der NATO in den Stellvertreterkrieg Ukraine-Russland hineingezogen zu werden. Ministerpräsident Irakli Kobachidse wies zum Beispiel darauf hin, dass der US-Kongress Parallelen zwischen Georgien und dem Maidan in der Ukraine gezogen habe.
In der Tat ist es seltsam, dass westliche Politiker an den Demonstrationen gegen die georgische Regierung in Tiflis teilnahmen und erwarten, dass dies die dortige Regierung einfach hinnimmt und nicht als Einmischung in die inneren Angelegenheiten brandmarkt.
Auch scheinen die Demonstrationen logistisch professionell aufgezogen, was an spontanen Aktionen gegen ein bestimmtes Gesetz zweifeln lässt. Hauptgegnerin im Land ist Präsidentin Salome Surabaschwili. Sie ist französische Staatsbürgerin und machte ihre ganze Karriere im diplomatischen Dienst Frankreichs. Ihre ganze Laufbahn ist mit der NATO, der EU und den USA verbunden. Sie kann im Herbst nochmals für eine Amtsperiode kandidieren. Ihre Befugnisse sind allerdings begrenzt.
Grundsätzlich ist eine Politik, wie sie Georgien in den letzten 12 Jahren verfolgt hat – marktwirtschaftliche Reformen, politische Öffnung und vorsichtige Annäherung an die EU – nicht falsch. Aber die Regierung hat wohl nach dem Februar 2022 richtig erkannt, dass politische Weichenstellungen vermieden werden müssen, die der mächtige Nachbar Russland als Bedrohung auffasst oder auffassen kann, wie das in der Ukraine geschehen ist.
Ob die USA und die NATO tatsächlich planen, über Georgien eine zweite Front gegen Russland aufzubauen wie einige Beobachter vermuten, darüber lässt sich nur spekulieren. Vor diesem Hintergrund ist der Erlass des Transparenzgesetzes verständlich, zumal es sich auf ein amerikanisches Vorbild stützt.
Was daran undemokratisch ist, erschließt sich dem neutralen Beobachter nicht. Sicher ist eine gewisse Missbrauchsgefahr gegeben, wenn die Transparenz zur Schikanierung von missliebigen NGOs und Meinungsäusserungen benutzt wird, aber im Gesetz ist das nicht angelegt.
Etwas anders verhält es sich mit dem Anti-LGBT-Gesetz. Unabhängig davon, wie man dazu steht, scheint der Effekt im Moment vor allem wahlkampftaktischer Natur zu sein. Das Vorhaben dürfte zwar bei der konservativen Klientel punkten, aber gleichzeitig scheint es auch die politischen Spannungen unnötig weiter zu verschärfen.
Georgien steht vor einer entscheidenden Phase. Die Regierung steht vor den Wahlen im Herbst unter starkem Druck, sowohl von konservativen Wählern im Inland als auch von internationalen Akteuren. Die kommenden Monate und die bevorstehenden Wahlen werden zeigen, welchen Kurs Georgien in Zukunft einschlagen wird.
Dieses kleine, faszinierende Land im Kaukasus zu führen, scheint sehr anspruchsvoll zu sein. Sicher sind westlicher Druck und Vorwürfe, die auch die Leitmedien übernommen haben, nicht hilfreich.
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