Die Gespräche zwischen den USA und Russland über ein Ende des Krieges in der Ukraine sowie über eine Wiederaufnahme normaler Beziehungen sorgen für Aufsehen und Unruhe. Die führenden Kräfte in der Europäischen Union (EU) sind anscheinend besorgt: Sie reagieren wie besessen davon, den bisherigen Konfrontations- und Kriegskurs gegen Russland fortzusetzen.
Das zeigte sich unter anderem Mitte Februar auf der Münchner Sicherheitskonferenz in den abweisenden Reaktionen von EU-Politikern auf die Aussagen der US-Vertreter wie Vizepräsident James D. Vance für eine Friedenslösung und Kurskorrekturen. Inzwischen beschloss die EU-Kommission neue Sanktionen gegen Russland und kündigte weitere Milliardenzahlungen für die Ukraine an, wie gemeldet wurde.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und weitere westliche Politiker fuhren nach Kiew, «um die Ukraine in diesem entscheidenden Moment zu stärken». Von der Leyen behauptete erneut wider alle Fakten, Russland wolle die Kapitulation der Ukraine und danach «auch andere Länder angreifen». Es stehe «nicht nur das Schicksal der Ukraine auf dem Spiel», sondern auch «das Schicksal Europas».
EU-Ratspräsident António Costa erklärte demnach in Kiew, die militärische Unterstützung der Ukraine und die eigene «Verteidigungsbereitschaft» solle verstärkt werden. Und nachdem die bisherige Bundesregierung mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) ebenfalls mehr Waffen und Geld für Kiew und für die eigene Aufrüstung forderte, machte am Tag nach der Bundestagswahl am Sonntag Wahlsieger CDU auf der Plattform X klar, was mit ihr folgen wird:
«Die Ukraine muss den Krieg gewinnen!»
Zuvor hatte sich Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz in München wie auch Baerbock dafür ausgesprochen, die «Taurus»-Marschflugkörper doch noch an Kiew zu liefern, mit denen Ziele in der Tiefe Russlands angegriffen werden können. Das deutet darauf hin, dass die von zahlreichen Experten geäußerte Erkenntnis, dass der Krieg in der Ukraine zu Ende geht und Kiew nicht gewinnen wird, noch nicht in der EU-Führung und den meisten Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten angekommen ist.
«Der Krieg ist vorbei»
Doch «der Krieg in der Ukraine ist vorbei» wurde unlängst selbst in den Räumen des EU-Parlaments in Brüssel festgestellt. Der renommierte US-Ökonom Jeffrey Sachs erklärte das am 19. Februar bei einem Vortrag vor EU-Parlamentariern, zu dem ihn der BSW-Abgeordnete und ehemalige hochrangige UN-Diplomat Michael von der Schulenburg eingeladen hatte.
Sachs kritisierte deutlich die bisherige US-Politik, aber ebenso die Politik der EU. Er sprach sich für mehr europäische Eigenständigkeit und Souveränität gegenüber den USA und für mehr diplomatische Bemühungen der EU um einen Frieden in der Ukraine und mit Russland aus.
Die USA seien für alle Kriege in der Welt seit dem Ende des Kalten Krieges 1990/91 verantwortlich, erklärte der Ökonom, vom Irak, Jugoslawien 1999 über den Nahost-Konflikt und Syrien bis nach Afrika mit Sudan, Somalia und Libyen. Ausgangspunkt dessen sei, dass die USA seit dem Untergang der Sowjetunion 1991 die Welt allein beherrschen und dabei auf niemand anders mehr Rücksicht nehmen wollen, auch nicht auf internationale Verpflichtungen, das Völkerrecht oder UN-Vorgaben.
Sachs hat viele der betroffenen Länder beraten und besucht, bis hin zur untergehenden Sowjetunion und danach Russland. Zudem hat er nach seinen Worten enge Kontakte zu den führenden Kreisen des Westens, insbesondere den USA. Deshalb seien seine Aussagen und Informationen «nicht aus zweiter Hand», erklärte er in Brüssel.
«Cheney, Wolfowitz und viele andere Namen, die Sie inzwischen kennen werden, glaubten buchstäblich, dass dies jetzt eine Welt der USA ist und wir tun werden, was wir wollen. Wir werden die ehemalige Sowjetunion wegräumen. Wir werden alle verbliebenen Verbündeten ausschalten. Länder wie der Irak, Syrien und so weiter werden verschwinden.»
Das sei die Linie der US-Außenpolitik «im Wesentlichen seit 33 Jahren», für die Europa einen «hohen Preis» zahle, indem es auf eine eigenständige Außenpolitik verzichtete:
«Keine Stimme, keine Einheit, keine Klarheit, keine europäischen Interessen, nur US-amerikanische Loyalität.»
Zur Strategie einer US-dominierten unipolaren Welt gehört laut Sachs die ungebremste NATO-Osterweiterung, 1994 von US-Präsident William Clinton abgesegnet. Er erinnerte an die dokumentierten westlichen Zusagen an Moskau, dass die Auflösung der Warschauer Vertragsorganisation nicht ausgenutzt und die NATO sich «keinen Zentimeter nach Osten» ausdehnen werde. Doch schon 1994 sei beschlossen worden, das US-geführte Bündnis bis zur Ukraine auszuweiten.
Langfristiges US-Projekt
Damit sei ein langfristiges Projekt der herrschenden US-Kreise umgesetzt worden, «das vor 30 Jahren» begann, unabhängig davon, wer jeweils Präsident ist. Zbigniew Brzezinski habe die Strategie in seinem Buch «The Grand Chessboard» (Deutsch: «Die einzige Weltmacht») beschrieben:
«Das sind nicht nur die Gedanken von Herrn Brzezinski. Das ist die Präsentation der Entscheidungen der Regierung der Vereinigten Staaten, die der Öffentlichkeit erklärt werden – so funktionieren diese Bücher. Und das Buch beschreibt die Osterweiterung Europas und der NATO als gleichzeitige Ereignisse.»
Der Ökonom sagte auch, «wir hatten 30 Jahre lang eine kontinuierliche Regierung, bis vielleicht gestern», die das Langzeitprojekt gegen Russland verfolgt habe. Bei diesem seien die Ukraine und Georgien der Schlüssel gewesen. Die US-Strategie habe auf den britischen Empire-Vorstellungen aufgebaut, auf der Vorstellung, das «Möchtegern-Britische Empire» zu sein.
Deshalb seien die britischen Vorstellungen unter Lord Palmerston im 19. Jahrhundert, Russland mit Hilfe der Schwarzmeer-Anrainerstaaten Ukraine, Rumänien, Bulgarien, Türkei und Georgien im Schwarzen Meer zu blockieren und zu neutralisieren, von den USA fortgesetzt worden. «Von Clinton über Bush zu Obama zu Trump zu Biden hat sich nicht viel geändert», so Sachs.
«Vielleicht sind sie Schritt für Schritt schlechter geworden. Biden war meiner Meinung nach der Schlimmste.»
Joseph Biden sei „in den letzten Jahren nicht bei Verstand“ gewesen. Das sei im politischen System der USA verdeckt worden, weil es ein „System der täglichen Medienmanipulation“ und ein „PR-System“ sei. Deshalb sei es möglich gewesen, dass jemand den Präsidenten darstellen könne, der dazu eigentlich nicht in der Lage war.
Moskaus «Njet» ignoriert
Die NATO-Osterweiterung, die 1999 mit Ungarn, Polen und Tschechien begann, sei 2004 mit sieben weiteren Ländern, einschließlich des Baltikums, fortgesetzt worden:
«Dies war ein völliger Verstoß gegen die mit der deutschen Wiedervereinigung vereinbarte Nachkriegsordnung. Im Wesentlichen handelte es sich um einen grundlegenden Betrug oder Verrat der USA an einer kooperativen Vereinbarung, denn sie glauben an die Unipolarität.»
Und obwohl Russlands Präsident Wladimir Putin 2007 auf der Münchner Sicherheitskonferenz vor den Folgen warnte und einen Stopp forderte, hätten die USA 2008 die NATO um Georgien und die Ukraine erweitern wollen. Sachs erinnerte daran, dass der damalige US-Botschafter in Moskau, William Burns, Washington darauf hinwies, dass Russlands «Njet» zu den Plänen auch «Njet», also «Nein», bedeute.
Er betonte, dass Russland «keinerlei territoriale Interessen oder Pläne in der Ukraine» gehabt habe, was er aus Gesprächen in Russland in der damaligen Zeit wisse. «Die Vorstellung, Putin würde das russische Reich wieder aufbauen, ist kindische Propaganda», fügte er hinzu.
Doch die US-Führung habe beschlossen, Putin durch einen Regimewechsel zu stürzen. Davon hätten die USA etwa einhundert weltweit organisiert, «das ist der Job der CIA». Es werde nicht mit der anderen Seite verhandelt, sondern versucht, sie zu stürzen, «am besten heimlich» und notfalls auch offen, immer mit der Schuldzuweisung an das Opfer, das der «Aggressor» oder gar der neue «Hitler» sei.
«Das ist das einzige Modell der Außenpolitik, das wir jemals von unseren Massenmedien hören. Und die Massenmedien wiederholen es vollständig, weil sie vollständig von der US-Regierung beeinflusst werden.»
Der Ökonom ging auch auf die Ereignisse in der Ukraine wie die sogenannte Maidan-Revolution und die Folgen ein und erklärte, dass diese von den USA finanziert worden seien. Es sei eine organisierte Operation gewesen und auch «kein Geheimnis, außer für die Bürger Europas und der Vereinigten Staaten. Alle anderen verstehen es ganz klar».
«Keine klugen Leute»
Es habe in der Folgezeit in der US-Politik, egal in welcher Partei, «keine einzige Stimme für Frieden» gegeben. Als der russische Präsident Putin im Dezember 2021 zwei Entwürfe für Sicherheitsabkommen mit der EU und mit den USA vorgelegt habe, habe er Bidens Nationalen Sicherheitsberater, Jake Sullivan, gebeten, öffentlich zu erklären, dass die NATO die Ukraine nie aufnehmen würde. Das habe Sullivan zwar bestätigt, aber die öffentliche Erklärung dazu abgelehnt.
Zugleich habe Sullivan behauptet, es werde dennoch keinen Krieg geben. Das Fazit des Ökonomen:
«Das sind keine sehr klugen Leute. Sie reden mit sich selbst. Sie reden mit niemandem sonst. Sie spielen Spieltheorie. In der nicht-kooperativen Spieltheorie redet man nicht mit der anderen Seite.»
Sachs widersprach im EU-Parlament den verschiedenen Erklärungen, warum Russlands Präsident am 24. Februar 2022 den Einmarsch in die Ukraine befahl. Die reichen von dem Versuch, nach dem «Kabul-Modell» einen Regimewechsel in Kiew zu erreichen, bis hin zur angeblich «erbarmungslosen und brutalen Vollinvasion», um die ganze Ukraine zu besetzen. Der Ökonom erklärte zu Putins Absicht:
«Er wollte Selenskyj zwingen, über Neutralität zu verhandeln. Und das geschah innerhalb von sieben Tagen nach Beginn der Invasion. Sie sollten das verstehen, nicht die Propaganda, die darüber geschrieben wird.»
Das hänge mit der NATO-Osterweiterung und der US-amerikanischen Aufkündigung der Abrüstungs- und Rüstungskontrollverträge zu den Atomwaffen sowie den US-Abschussrampen in Polen und Rumänien zusammen. Die Frage sei gewesen, ob die USA auch Raketensysteme in der Ukraine aufstellen würden, wenn diese in der NATO sei. US-Außenminister Antony Blinken habe seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow beim Treffen im Januar 2022 dazu gesagt, die USA würden Raketensysteme aufstellen, wo immer sie wollen.
Sachs berichtete, dass er in die russisch-ukrainischen Verhandlungen in Istanbul im Frühjahr 2022 einbezogen war. Doch die Ukrainer hätten sich von einem fast abgeschlossenen Abkommen zurückgezogen – «weil die USA ihnen das gesagt haben» und der britische Premierminister Boris Johnson mit einem Besuch am 9. April 2022 in Kiew darauf drängte.
Trump will nicht Verlierer sein
Er selbst habe im Juni 2022 gemeinsam mit dem ehemaligen hochrangigen UN-Diplomaten von der Schulenburg und anderen im Vatikan ein Dokument erstellt, in dem Verhandlungen gefordert wurden. Doch «seit diesem Dokument, seit die USA die Unterhändler vom Verhandlungstisch weggelockt haben, sind etwa eine Million Ukrainer gestorben oder schwer verwundet worden».
Es handele sich um einen «reinen Stellvertreterkrieg». Doch das US-Projekt, Russland in die Knie zu zwingen, sei gescheitert. Er habe die ukrainische Führung, die er oft beraten habe, «angefleht»: «Rettet euer Leben. Rettet eure Souveränität. Rettet euer Territorium. Seid neutral. Hört nicht auf die US-Amerikaner.»
Aus Sicht des Ökonomen will US-Präsident Donald Trump den Krieg in der Ukraine beenden, weil er nicht der Verlierer sein wolle. Dabei spiele es keine Rolle, wenn die EU ihre «großartige Kriegstreiberei» weiter betreibe. Denn:
«Der Krieg ist zu Ende.»
Dabei gehe es nicht um irgendeine Moral, sondern darum, die Ukraine durch die derzeitigen Verhandlungen zu retten. An zweiter Stelle stehe Europa, so Sachs. Er habe die EU-Staats- und Regierungschefs aufgefordert, statt nach Kiew nach Moskau zu gehen und mit den russischen Regierungsvertretern zu sprechen.
Die EU mit ihren 450 Millionen Bewohnern und einer 20 Billionen Dollar schweren Wirtschaft sollte «der wichtigste Wirtschaftspartner Russlands» sein. «Wenn Europa eine angemessene Politik hätte, könnte man diesen Krieg stoppen», erklärte Sachs den EU-Parlamentariern, die ihm zuhörten.
Statt einer «Außenpolitik der Russophobie» habe die EU eine realistische Außenpolitik nötig, «die die Situation Russlands versteht, die die Situation Europas versteht, die versteht, was Amerika ist und wofür es steht». «Sie werden noch lange mit Russland zusammenleben», sagte er den Europäern, «also verhandeln Sie mit Russland».
Den Krieg fortzusetzen diene auch nicht der Sicherheit der Ukraine, die bis zu einer Millionen Opfer durch das «idiotische US-amerikanische Abenteuer» zu beklagen habe, dem die EU zugestimmt habe. In der Diskussion mit dem Publikum betonte er noch einmal, dass die EU eine Außenpolitik brauche, die versucht, beide Seiten zu verstehen und zu verhandeln. Mit Russland müsse geredet und eine Einigung gesucht werden.
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