Die schwedische Staatsanwaltschaft hat ihre Ermittlungen zur Sprengungen der Nord-Stream-Pipelines im September 2022 eingestellt, wurde am Mittwoch gemeldet. Im Juni 2023 hatte der Leiter der schwedischen Ermittlungen, Staatsanwalt Mats Ljungqvist, gegenüber Medien noch erklärt, dass bis zum Herbst vergangenen Jahres eine Anklage im Fall der Sprengungen an drei der vier Nord-Stream-Pipelines vorgelegt würden. Nun hiess es aus Stockholm, dass es keine schwedische Zuständigkeit in dem Fall gebe.
Für den investigativen US-Journalisten Seymour Hersh lässt sich das darauf zurückführen, «dass, wie mir gesagt wurde, einige hochrangige Beamte in beiden Ländern genau wussten, was vor sich ging». Er schreibt das in einem aktuellen Beitrag zum Nord-Stream-Anschlag und den Folgen und bezog dabei Dänemark mit ein, das ebenfalls bisher keine Ermittlungsergebnisse vorgelegt habe. Hersh betont, dass in Schweden und Dänemark bekannt gewesen sei, dass die USA schon Monate vor den Explosionen Unterwassertauchübungen in der Ostsee durchführten.
Aus seiner Sicht sind die USA für die Sprengungen verantwortlich, was er in mehreren Beiträgen mit Aussagen aus Geheimdienstkreisen belegte. Der renommierte Journalist schreibt in seinem am Dienstag veröffentlichten Beitrag, die Sabotage in der Ostsee sei das «Ergebnis einer langjährigen US-Politik, einen Keil zwischen Russland und Westeuropa zu treiben». Im Februar 2023 hatte er das erste Mal über die ihm bekanntgewordenen Hintergründe geschrieben.
Mit dem Anschlag habe US-Präsident Joseph Biden «ein Signal der Entschlossenheit» an den russischen Präsidenten Wladimir Putin senden wollen. In seinem Beitrag verweist Hersh auf eine Lektion, die der Biden-Regierung Anfang 2022 entweder «nicht bekannt oder uninteressant» für sie gewesen sei, als die Krise um die Ukraine drohte, zu eskalieren.
Ignorierte Lektionen
Der Journalist erinnert dabei an «eine Geschichte aus dem Kalten Krieg, die mir von jemandem erzählt wurde, der in die Geschichte der frühen Tage der amerikanischen Intervention in Vietnam eingeweiht war». Dabei geht es nach seinen Worten um die «Politik der Eindämmung», mit der die USA verhindern wollten, dass sich der von ihnen gefürchtete Kommunismus in Asien und anderswo ausbreitete.
Dabei habe es eine Niederlage nach der anderen gegeben: In China, wo die Nationalisten unter Tschiang Kai-Schek unterstützt wurden und verloren, in Vietnam, wo die von den USA unterstützten Franzosen vertrieben wurden. Dort wurde der Krieg gegen die Kommunisten selbst fortgeführt:
«Wir glauben zu verstehen, was in den folgenden neunzehn Jahren geschah, als Amerika seinen Eindämmungskrieg führte, aber das tun wir meistens nicht.»
Die Folge waren der Tod von Millionen Vietnamesen und von mehr als 58’000 US-Amerikanern sowie die krachende Niederlage am 30. April 1975 im südvietnamesischen Saigon. Auch in den Nachbarstaaten Kambodscha und Laos, ebenfalls von den USA barbarisch bombardiert, hätten die Kommunisten die Macht übernommen.
«Und was geschah dann? Wir verloren einen Krieg, nahmen ihn achselzuckend hin und zogen weiter.»
Hersh erinnert an die Folgen für die betroffenen Länder, so die Terrorherrschaft der Roten Khmer in Kambodscha und die kommunistischen Säuberungen in Südvietnam. Doch heute sei das konsolidierte Vietnam nicht mehr kommunistisch und ein wichtiges Tourismus-Ziel für US-Amerikaner und Europäer. Das treffe ebenso für Kambodscha zu, während das weiterhin kommunistische Laos sich modernisiere und ein wichtiger Handelspartner Chinas sei.
Das Fazit von Hersh:
«Alles, wofür Amerika gekämpft, gestorben und getötet hat, war innerhalb weniger Monate verschwunden. So viel zur Eindämmung.»
Drohung statt Diplomatie
Diese Lektion habe die Biden-Regierung ignoriert, so der Journalist, als klar schien, dass Putin Russland notfalls in einen Krieg in der Ukraine führen würde. Zu den Ursachen zählt er, dass der derzeitige US-Präsident «während seiner gesamten politischen Laufbahn ein entschiedener Gegner Russlands und davor des sowjetischen Kommunismus» gewesen sei und «insbesondere Putin» verachte.
«Es ist heute allgemein anerkannt, dass Putin die Invasion verzögert oder abgesagt hätte, wenn Aussenminister Antony Blinken ihm zugesichert hätte, dass die Ukraine nicht der NATO beitreten dürfe. Dieses Versprechen wurde jedoch nicht gegeben.»
Stattdessen habe Biden Putin zwei Wochen vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine öffentlich gewarnt, die USA würden die neu gebaute Pipeline Nord Stream 2 zerstören. Mit der sollten die russischen Gas-Lieferungen nach Deutschland ausgeweitet werden. Das billige Gas habe dazu beigetragen, dass Deutschland zur dominierenden Wirtschaft in Westeuropa wurde, so Hersh. Er erinnert: «Seit den späten 1950er Jahren waren die Vereinigten Staaten und ihre westeuropäischen Verbündeten besorgt über die politischen Auswirkungen der russischen Energie.»
Hersh wiederholt in seinem Beitrag seine Version des Anschlags auf die Gasleitungen. Danach stammt die Idee, Nord Stream 1 und 2 zu sprengen, von den US-Geheimdiensten, voran die CIA. 2021 habe man eine streng geheime CIA-Einheit gebildet, die einen Weg finden sollte, einen Wunsch von Biden zu erfüllen: «Putin eine Drohung zu präsentieren, die den russischen Präsidenten davon abhalten könnte, in den Krieg zu ziehen.»
Der US-Präsident habe die Geheimdienste überrascht, als er auf einer Pressekonferenz im Weissen Haus am 7. Februar 2022 mit der Sprengung von Nord Stream drohte. Neben ihm stand der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).
Das CIA-Team, heimlich in Norwegen einquartiert, habe weitergearbeitet und auf den Sprengbefehl aus Washington gewartet. Doch Biden habe seine Meinung in letzter Minute geändert und die Operation auf Eis gelegt. Das CIA-Team erhielt laut Hersh keine Erklärung, und die US-Bomben habe man an Ort und Stelle gelassen, «um sie zu zünden, wann immer Biden dies wünschte».
Verschleierung statt Ermittlung
Die Minen seien dann am 26. September 2022 auf Wunsch des US-Präsidenten ferngezündet worden, sechs Monate nach Beginn des Ukraine-Kriegs. Offiziell werde bis heute erklärt, dass Biden damit nichts zu tun habe. Stattdessen machte der US-Präsident gar Russland dafür verantwortlich.
Der Journalist schreibt, der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan sei «massgeblich an der Entstehung einer geheimen potenziellen Vorkriegsbedrohung für Russland beteiligt» gewesen. Umso mehr habe sich Sullivan an der «atemberaubenden» Verschleierung beteiligt. Er habe erklärt, dass die Behauptung Moskaus, die USA seien in den Bombenanschlag verwickelt, «schlichtweg falsch» sei.
Hersh erinnert auch daran, dass Schweden und Dänemark wenige Tage nach den Explosionen ankündigten, bei der Untersuchung der Explosionen zusammenzuarbeiten. Kurz danach erklärte Deutschland, es werde mit Schweden und Dänemark bei der Untersuchung zusammenarbeiten. Russland wurde dagegen von der Untersuchung ausgeschlossen und Schweden machte einen Rückzieher aus den gemeinsamen Ermittlungen – aus Gründen der nationalen Sicherheit.
Hersh verweist ebenso darauf, dass die USA seitdem «mindestens einen Versuch Russlands, eine unabhängige Untersuchung der Explosionen durch die Vereinten Nationen zu erwirken, mit einem Veto blockiert» haben. Die US-Geheimdienste hätten zusammen mit deutschen Beamten Journalisten gefördert, «die alternative Berichte über den Bombenanschlag auf die Pipeline verfassten», so die über eine Yacht, die angeblich für das risikoreiche technische Tauchen eingesetzt wurde.
Laut dem US-Journalisten gibt es keinen Hinweis darauf, dass US-Präsident Biden Experten mit einer umfassenden Untersuchung der Explosionen «beauftragt» hat. Auch kein deutscher Politiker, einschliesslich Bundeskanzler Scholz, «von dem bekannt ist, dass er Präsident Biden nahesteht», habe «irgendeinen bedeutenden Vorstoss» unternommen, um herauszufinden, wer was getan hat.
Hersh zitiert den französischen Politikwissenschaftler Emmanuel Todd, der kürzlich in einem Interview erklärte, dass «eines der grossen Ziele der amerikanischen Politik und damit der NATO darin bestand, die unvermeidliche Aussöhnung zwischen Russland und Deutschland zu verhindern». Biden hat aus Sicht des US-Journalisten die Zerstörung der Pipelines angeordnet, da in Washington befürchtet wurde, Bundeskanzler Scholz würde doch wieder russisches Erdgas als «wichtige Energiequelle für die deutsche Industrie» einführen.
«Dies wurde nicht zugelassen, und Deutschland befindet sich seitdem in wirtschaftlichen und politischen Turbulenzen.»
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