Einen neuen Einblick in das menschenverachtende Denken der Verantwortlichen in Israel gibt der US-amerikanische Journalist Seymour Hersh mit einem neuen Beitrag, den er am Freitag veröffentlichte. Er berichtet darin über Informationen, die er von US-amerikanischen und israelischen Insidern unter anderem zu dem israelischen Angriff auf das Al-Shifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt bekommen hat.
Unter dem Krankenhaus sollte sich nach israelischen Angaben eine Kommandozentrale der palästinensisch-islamischen Organisation Hamas befunden haben. Bei der Erstürmung am 14. November wurden aber weder die vermuteten 200 Hamas-Kämpfer noch ernsthafte Belege für ihre Anwesenheit gefunden (wir berichteten hier und hier).
Laut Hersh hat das israelische Militär in dem Krankenhaus nach einer Reihe der israelischen Geiseln gesucht, die die Hamas bei ihrem Angriff auf Israel am 7. Oktober genommen hat. Er zeigt sich verblüfft über «die anhaltende Unfähigkeit der Biden-Administration und der israelischen Regierung unter Premierminister Benjamin Netanjahu, die Wahrheit zu sagen».
Er schreibt erneut davon, dass Militär und Geheimdienste Israels von einem Tunnelnetz samt Kommandobunker der Hamas unter dem Al-Shifa-Krankenhaus ausgehen. Dort sollen einige der Geiseln versteckt worden sein, hätten die israelischen Geheimdienste vermutet. Sie hätten das Tunnelsystem sogar kartographiert.
Von Israel gebauter Bunker?
Hersh gibt die Aussagen US-amerikanischer und israelischer Informanten dazu wieder, deutet aber mit keinem Wort Zweifel daran an. Dagegen hatte am Donnerstag der Journalist Ali Abunimah in einem Beitrag auf dem Portal Electronic Intifada (EI) darauf hingewiesen, dass Israel das Tunnelnetz unter dem Krankenhaus in den 1980er Jahren selbst gebaut hat.
Darüber hat das israelfreundliche Onlinemagazin Tablet bereits 2014 berichtet, wie Abunimah schreibt. Demnach hat auch die israelische Zeitung Haaretz schon 2009 darüber berichtet.
Der EI-Autor erinnert zudem daran, dass Israel 2021 behauptet hatte, bei den damaligen Angriffen auf Gaza das Tunnelsystem unter dem Krankenhaus zerstört zu haben. Er schreibt:
«Doch nun, da es das Krankenhaus erneut belagert und angreift, erwartet Israel von der Welt, dass sie glaubt, die Hamas würde ihre Hauptkommandozentrale an genau dem Ort belassen, an dem sie sich laut israelischen und amerikanischen Zeitungen seit Jahren befindet und von dem Israel 2021 behauptete, er sei weitgehend zerstört worden.»
Angesichts der Neigung Israels zu lügen, könne es durchaus sein, dass es eine unterirdische Anlage «entdeckt» habe, die Israel selbst gebaut hat, so Abunimah. Er sieht darin einen Versuch der israelischen Führung, der Welt eine Rechtfertigung ihrer Anschuldigungen und völkerrechtswidrigen Politik zu präsentieren.
Angeblich Spuren der Geiseln
Solche Informationen sind bei Hersh leider nicht zu lesen. Er schreibt, der israelische Geheimdienst habe erfahren, dass die Geiseln bereits vor dem Angriff aus dem Krankenhaus nach Süden evakuiert worden seien. Das sei gemeinsam mit den palästinensischen Zivilisten geschehen, die vor den fortgesetzten israelischen Bombenangriffen von Häusern, Wohnkomplexen und Bürogebäuden geflohen seien. Die massiven, rücksichtslosen Angriffe erfolgen, weil laut dem US-Journalisten «seit Jahren vermutet» wird, dass sie Eingänge zum Hamas-Tunnelsystem haben.
Ein israelischer Insider habe ihm berichtet, die israelischen Truppen hätten im Al-Shifa-Krankenhaus DNA-Spuren der Geiseln entdeckt. Ebenso habe man weitere Beweise für ihre Anwesenheit gefunden – «Kleidung aus israelischer Produktion, Windeln, Milchflaschen», was sicher eine Überraschung darstellt in einem solchen Krankenhaus an diesem Ort.
Zudem seien die Leichen von zwei der Geiseln in der Nähe des Krankenhauskomplexes entdeckt worden. Laut dem Insider weiss Israel jetzt, dass die gesuchten 200 Hamas-Kämpfer sich bereits nach Süden abgesetzt hätten. Sie seien wie ihre Geiseln von den Medizinern als verletzte Patienten ausstaffiert worden, um nicht von israelischen Überwachungsdrohnen aufgespürt zu werden.
Hersh schreibt, das Tunnelsystem im Gaza-Streifen habe der Hamas-Führung wie auch den Kämpfern der Qassam-Brigaden, des militärischen Flügels der Hamas, ermöglicht, versteckt zu arbeiten und abends bei ihren Familien zu sein. Es habe «Tausende von Ein- und Ausgängen zum Tunnelsystem unter Wohn- und Bürogebäuden in Gaza-Stadt» gegeben, kartografiert von den Israelis.
Das habe ihnen nicht nur ermöglicht, «viele Hamas-Brigadekommandeure und ihre Familien in ihren Betten auf eine Weise zu ermorden, die die Hamas-Führung überraschte». Die meisten der überlebenden Hamas-Militäroffiziere seien ebenfalls in den Süden geflohen.
Kriegsgesetze gezielt missachtet
Dieses Wissen habe die israelischen Kriegsplaner dazu veranlasst, so der Journalist, «die Kriegsgesetze zu missachten und alle Wohn- und Bürogebäude in Gaza-Stadt anzugreifen, von denen bekannt war, dass sie über einen Zugang zum Tunnelsystem auf Kellerebene verfügten, obwohl solche Angriffe eine grosse Zahl ziviler Todesopfer zur Folge gehabt hätten». Und:
«Dass diese Angriffe Kriegsverbrechen darstellen könnten, spielte keine Rolle.»
Durch die Bombardierung sei die Hauptgruppe der Hamas-Kämpfer im Untergrund eingeschlossen worden, so Hersh. Er berichtet auch von Geheimgesprächen zwischen der Hamas-Führung und Israel sowie den USA in Katar. Dabei gehe es darum, die Geiseln freizulassen.
Die Hamas habe sich bereit erklärt, fünfzig weibliche und ältere Geiseln freizulassen. Dafür sollen im Gegenzug Hunderte von Frauen und Mädchen im Teenageralter aus Hamas-Familien aus israelischen Gefängnissen freigelassen werden.
Krieg nun auch im Westjordan-Land?
Es habe eine Einigung dazu gegeben, aber Netanjahu habe die Hamas-Forderung nach einer fünftägigen Pause des Krieges abgelehnt. Dafür wird die israelische Regierung von den Familien der Geiseln kritisiert, deren Proteste zunehmen.
Hersh schreibt auch, zum jetzigen Zeitpunkt, «da der Krieg im Wesentlichen gewonnen ist», sei das Schicksal der eingeschlossenen Hamas-Soldaten in den Bunkern im Norden des Landes «bedrohlich». Auch die gefangenen israelischen Jungen im Teenageralter, von der Hamas ab einem Alter von fünfzehn Jahren als Soldaten betrachtet, würden Sorgen bereiten.
Unterdessen führt Israel nun auch Krieg gegen «Terroristen» im israelisch besetzten palästinensischen Westjordan-Land. Dort wurde das bevölkerungsreichste Flüchtlingslager Balata bei der Stadt Nablus angegriffen und fünf Menschen getötet, wie Medien berichten. Das Westjordan-Land wird von der palästinensischen Autonomiebehörde verwaltet und gilt nicht als Territorium der Hamas. Dort gibt es zunehmend bewaffnete Konflikte und auch Tote in Folge der fortgesetzten illegalen Besiedlung des Gebietes durch jüdische Israelis.
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