Es gab seit den Zeiten Bismarcks ein Axiom, wonach eine deutsche Außenpolitik ohne die Türkei nicht denkbar sei. Von Bismarck bis Merkel hat Berlin meist die Türkei bevorzugt, während Griechenland hintanstehen musste. Deutschland wollte vor allem einem Vordringen Russlands Richtung Meerengen einen Riegel schieben und verhindern, dass Russland die Handelswege Richtung Naher Osten kontrolliert.
Seit Jahrzehnten steht deshalb die deutsche Außenpolitik gegenüber der Türkei unter besonderer Beobachtung seitens Griechenlands. Nun droht ein neuer Wendepunkt: Presseberichte deuten an, dass Berlin seine zurückhaltende Rüstungspolitik gegenüber der Türkei überdenken könnte. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht Ankaras starkes Interesse am Kauf des Eurofighter-Kampfflugzeugs, das von einem europäischen Konsortium unter maßgeblicher Beteiligung Deutschlands produziert wird.
Berichten zufolge soll die Bundesregierung einer Lockerung der Rüstungsexporte an die Türkei zugestimmt haben. Eine Entscheidung, die in Griechenland auf Widerstand stößt, da das Land seit jeher Sorge vor einer militärischen Überlegenheit der Türkei hegt. Eine vertrauliche Liste des Bundeswirtschaftsministeriums, die an den Bundestag übermittelt wurde und an die Presse durchgestochen wurde, zeigt den Umfang der geplanten Exporte auf. Demnach geht es um moderne Raketen- und Torpedosysteme im Wert von 336 Millionen Euro. Das schreibt zum Beispiel Ronald Meinardus, Senior Research Fellow und Beauftragter für deutsch-griechische Forschungsvorhaben bei der Hellenischen Stiftung für Europäische und Auswärtige Politik (ELIAMEP) in der deutschsprachigen Griechenlandzeitung.
Diese Entwicklungen fallen in eine Zeit intensiver Gespräche zwischen Deutschland und der Türkei, die von einem Besuch des deutschen Kanzlers Olaf Scholz in Istanbul untermauert werden. Scholz und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan trafen sich zuletzt am Rande der UN-Generalversammlung in New York. Erdogan, der bekannt für seine diplomatischen Tauschgeschäfte ist, könnte das Migrationsthema als Druckmittel einsetzen, um Berlin zu einer Einigung beim Eurofighter-Deal zu bewegen.
Für Berlin geht es um mehr als nur den Verkauf von Kampfflugzeugen. Deutschland möchte die Türkei als Verbündeten in der Region sichern, insbesondere zur Kontrolle potenzieller Flüchtlingsströme aus dem Nahen Osten. Die Türkei hofft im Gegenzug auf Unterstützung bei der Modernisierung ihrer Luftstreitkräfte, in denen Griechenland in den letzten Jahren durch technologische Investitionen und internationale Partnerschaften an Stärke gewonnen hat.
Die Frage ist also, ob Deutschland alles gleichzeitig haben kann: die zu Bismarcks Zeiten etablierte Achse Berlin-Ankara, eine Entspannung in der Ägäis und gute Beziehungen zu Griechenland. Sollte Deutschland dem Verkauf der Eurofighter zustimmen, wäre dies jedenfalls ein harter Schlag für Athen. Das Verhältnis zwischen Griechenland und der Türkei ist seit Jahrzehnten angespannt. Neben Streitigkeiten um Territorialgewässer und den Festlandsockel in der Ägäis sind auch Fragen rund um Luftraumverletzungen und die muslimische Minderheit in Westthrakien ständige Reibungspunkte. Athen fürchtet, dass ein modernes türkisches Militär die bestehende Balance in der Region gefährden könnte. Im Moment ist es so, dass die Seefahrernation Griechenland bei der Marine gegenüber der Türkei dominiert. Bei den Bodentruppen und der Luftwaffe sieht es aber anders aus.
Dabei galt das deutsch-griechische Verhältnis zuletzt als gefestigt. Zahlreiche diplomatische Begegnungen in den letzten Jahren, wie auch die gemeinsame Hilfeleistung nach dem Erdbeben in der Türkei, schufen ein Klima der Entspannung. Athen und Ankara bemühen sich zudem um eine Verbesserung ihrer bilateralen Beziehungen, wie der bevorstehende Besuch des türkischen Außenministers Hakan Fidan in Griechenland zeigt. Eine Entscheidung Berlins zugunsten der Waffenlieferungen an die Türkei könnte jedoch das Vertrauen untergraben und den Dialog gefährden.
Hinter den Kulissen steht die Bundesregierung vor einem heiklen Dilemma. Berlin sieht sich mit der Herausforderung konfrontiert, auch das Vertrauen Griechenlands zu gewinnen, das in der deutsch-türkischen Außenpolitik oft das Nachsehen hatte. Eine Zustimmung zur Lieferung der Eurofighter könnte als einseitige Bevorzugung der Türkei ausgelegt werden und die Befürchtungen der griechischen Öffentlichkeit bestätigen, die Deutschland eine solche Neigung häufig unterstellt.
Obwohl Berlin weiterhin an einer neutralen Position festhält, könnte der Spagat zwischen der Kooperation mit Ankara und der Bewahrung der Harmonie mit Athen schwer zu bewältigen sein. Die griechische Regierung wird ihre Bedenken voraussichtlich lautstark äußern, sollte Berlin dem Verkauf zustimmen. Klar ist, dass die anhaltende Balance im östlichen Mittelmeer auch künftig durch diplomatische Weitsicht und Zurückhaltung geprägt sein muss.
Und im ganzen Kräfteparallelogramm spielen auch immer wieder die USA, die Führungsmacht innerhalb der NATO, der sowohl Deutschland wie Griechenland und die Türkei angehören, eine Hauptrolle. Es wäre nicht das erste Mal, dass griechische Interessen im Interesse der Geopolitik geopfert werden. Beim Überfall der Türkei auf Zypern im Sommer 1974 und der nachfolgenden Besetzung von einem Drittel des Landes, verfügte der damalige türkische Ministerpräsident Bülent Ecevit über das grüne Licht aus Washington, wie Erik Eberhard in einer neueren Wiener Dissertation schreibt.
Der Grund: Um sein Land aus dem Machtpoker zu nehmen und die Auseinandersetzungen zwischen Griechisch- und Türkischzyprioten zu beenden, versuchte der damalige zypriotische Präsident, Erzbischof Makarios, dem Land den Status eines Neutralen zu verleihen. Das war nicht im Interesse der NATO, und insbesondere der USA und Großbritanniens, das bis heute zwei Militärbasen auf der Insel unterhält, die strategisch günstig wie ein Flugzeugträger am Eingang zum Nahen Osten und zum Suezkanal im Mittelmeer liegt.