Ich begann, Social Media aufzubauen,
um den Menschen eine Stimme zu geben.
Mark Zuckerberg
Liebe Leserinnen und Leser
Sind Ihnen auch die Tränen gekommen, als Sie Mark Zuckerbergs Wendehals-Deklaration bezüglich der Meinungsfreiheit auf seinen Portalen gehört haben? Rührend, oder? Während er früher die offensichtliche Zensur leugnete und später die Regierung Biden dafür verantwortlich machte, will er nun angeblich «die Zensur auf unseren Plattformen drastisch reduzieren».
«Purer Opportunismus» ob des anstehenden Regierungswechsels wäre als Klassifizierung viel zu kurz gegriffen. Der jetzige Schachzug des Meta-Chefs ist genauso Teil einer kühl kalkulierten Business-Strategie, wie es die 180 Grad umgekehrte Praxis vorher war. Social Media sind ein höchst lukratives Geschäft. Hinzu kommt vielleicht noch ein bisschen verkorkstes Ego, weil derartig viel Einfluss und Geld sicher auch auf die Psyche schlagen. Verständlich.
«Es ist an der Zeit, zu unseren Wurzeln der freien Meinungsäußerung auf Facebook und Instagram zurückzukehren. Ich begann, Social Media aufzubauen, um den Menschen eine Stimme zu geben», sagte Zuckerberg.
Welche Wurzeln? Hat der Mann vergessen, dass er von der Überwachung, dem Ausspionieren und dem Ausverkauf sämtlicher Daten und digitaler Spuren sowie der Manipulation seiner «Kunden» lebt? Das ist knallharter Kommerz, nichts anderes. Um freie Meinungsäußerung geht es bei diesem Geschäft ganz sicher nicht, und das war auch noch nie so. Die Wurzeln von Facebook liegen in einem Projekt des US-Militärs mit dem Namen «LifeLog». Dessen Ziel war es, «ein digitales Protokoll vom Leben eines Menschen zu erstellen».
Der Richtungswechsel kommt allerdings nicht überraschend. Schon Anfang Dezember hatte Meta-Präsident Nick Clegg von «zu hoher Fehlerquote bei der Moderation» von Inhalten gesprochen. Bei der Gelegenheit erwähnte er auch, dass Mark sehr daran interessiert sei, eine aktive Rolle in den Debatten über eine amerikanische Führungsrolle im technologischen Bereich zu spielen.
Während Milliardärskollege und Big Tech-Konkurrent Elon Musk bereits seinen Posten in der kommenden Trump-Regierung in Aussicht hat, möchte Zuckerberg also nicht nur seine Haut retten – Trump hatte ihn einmal einen «Feind des Volkes» genannt und ihm lebenslange Haft angedroht –, sondern am liebsten auch mitspielen. KI-Berater ist wohl die gewünschte Funktion, wie man nach einem Treffen Trump-Zuckerberg hörte. An seine Verhaftung dachte vermutlich auch ein weiterer Multimilliardär mit eigener Social Media-Plattform, Pavel Durov, als er Zuckerberg jetzt kritisierte und gleichzeitig warnte.
Politik und Systemmedien drehen jedenfalls durch – was zu viel ist, ist zu viel. Etwas weniger Zensur und mehr Meinungsfreiheit würden die Freiheit der Bürger schwächen und seien potenziell vernichtend für die Menschenrechte. Zuckerberg setze mit dem neuen Kurs die Demokratie aufs Spiel, das sei eine «Einladung zum nächsten Völkermord», ernsthaft. Die Frage sei, ob sich die EU gegen Musk und Zuckerberg behaupten könne, Brüssel müsse jedenfalls hart durchgreifen.
Auch um die Faktenchecker macht man sich Sorgen. Für die deutsche Nachrichtenagentur dpa und die «Experten» von Correctiv, die (noch) Partner für Fact-Checking-Aktivitäten von Facebook sind, sei das ein «lukratives Geschäftsmodell». Aber möglicherweise werden die Inhalte ohne diese vermeintlichen Korrektoren ja sogar besser. Anders als Meta wollen jedoch Scholz, Faeser und die Tagesschau keine Fehler zugeben und zum Beispiel Correctiv-Falschaussagen einräumen.
Bei derlei dramatischen Befürchtungen wundert es nicht, dass der öffentliche Plausch auf X zwischen Elon Musk und Alice Weidel von 150 EU-Beamten überwacht wurde, falls es irgendwelche Rechtsverstöße geben sollte, die man ihnen ankreiden könnte. Auch der Deutsche Bundestag war wachsam. Gefunden haben dürften sie nichts. Das Ganze war eher eine Show, viel Wind wurde gemacht, aber letztlich gab es nichts als heiße Luft.
Das Anbiedern bei Donald Trump ist indes gerade in Mode. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) tut das auch, denn sie fürchtet um Spenden von über einer Milliarde Dollar. Eventuell könnte ja Elon Musk auch hier künftig aushelfen und der Organisation sowie deren größtem privaten Förderer, Bill Gates, etwas unter die Arme greifen. Nachdem Musks KI-Projekt xAI kürzlich von BlackRock & Co. sechs Milliarden eingestrichen hat, geht da vielleicht etwas.
Herzlich
Andreas Rottmann