Völlig unbeachtet vom Mainstream – wenn auch wahrscheinlich nicht vom deutschen Geheimdienst – fand in Weimar vom 4. bis 6. Oktober das ausverkaufte Festival «Musik & Wort» statt. Veranstaltet wurde es bereits zum zweiten Mal vom Kabarettisten Uli Masuth, der auch die künstlerische Leitung innehat – seine Frau Almut unterstützt bei der Organisation. Ziel des Festivals ist es, einen analogen «Begegnungsraum für Musik und Wort in Freiheit» zu schaffen: «Denn Freiheit braucht Nähe und Austausch. Genau wie Kunst und Kultur».
Doch die offiziellen Stellen der ehemaligen deutschen Kulturhauptstadt, in der einst Schiller und Goethe wirkten, schienen fest die Augen davor zu verschließen, was für Ausnahmekünstler und -redner auf der Bühne des Schießhaus Weimar standen – kein Vertreter der Stadt oder der lokalen Medien war vor Ort. Durch die Bogenform des historischen Gebäudes – es wurde vor über 200 Jahren von Johann Wolfgang von Goethe konzipiert – fühlten sich die rund 500 Festivalbesucher schon beim Näherkommen herzlichst umarmt und empfangen.
Insofern gab es wohl kaum einen passenderen Ort für dieses Ereignis, bei dem über 40 Künstler und Redner auftraten, die sonst auf der «schwarzen Liste stehen, weil sie sich gegen die politischen Maßnahmen ausgesprochen haben», wie es die Geigerin Marta Murvai ausdrückte. Sie spielte die Violinsonate in A-Moll von Robert Schumann sowie die Es-Dur Sonate für Violine und Klavier von Richard Strauß und wurde dabei vom Pianisten Veit Wiesler begleitet. Wiesler war jahrelang Studienleiter der Opernschule an der Hochschule für Musik in Weimar und schrieb 2021 einen 90-seitigen offenen Brief an den Präsidenten der Musikhochschule, um diesen zu einem offenen Dialog über Impfdruck und Corona-Maßnahmen zu bewegen – allerdings ohne Erfolg – kurz danach konnte Wiesler seinen Traumjob nicht mehr ausüben.
Segelturns, Klangwelten und Alleingänge
Die Qualität des musikalischen Angebots des Festivals war außergewöhnlich und reichte von Klassik über Jazz bis zum erfrischenden Revue-Programm des Künstler-Duos «Ta’2» – vormals «Sago». Isabel Katharina Sandig und Ralf Gottesleben gaben nach «22 Monaten Berufsverbot» und Nazi-Schmierereien an der Eingangstür ihr Hinterhoftheater in Essen ab und leben inzwischen in Dänemark, «umgeben vom Meer». Dementsprechend nahmen die beiden das Publikum mit auf eine Segeltour und das emotionale Auf und Ab der vergangenen vier Jahre.
Ebenfalls in Dänemark lebt die Jazzmusikerin, Sängerin und Komponistin Johanna Borchert, die den Saal in ihre weiten Klangwelten eintauchen ließ. Mit sehnsuchtsvollen, sphärisch-träumerischen Melodien will sie an die schöpferische Vollkommenheit erinnern. Zu hören war sie auch mit der Vertonung eines Gedichts ihres Vaters, Jürgen Borchert, der versucht, Ethik in die Medizin zurückzubringen.
Tobias Morgenstern am Freitagabend beim Festival «Musik & Wort»; Foto: Sophia-Maria Antonulas
«Alleingang» heißt das Programm, das der Akkordeonist und Komponist Tobias Morgenstern in Weimar vorstellte. In seinem eigenen «Theater am Rand», das er mit einem Partner gegründet hatte, ist er inzwischen unerwünscht, wie er auf seiner Website schreibt. Beim Festival überzeugte Morgenstern mit swingenden Grooves von Bach über Liszt bis hin zu Strauß und Piazzolla sowie virtuosen Akkordeonklängen von Samba bis Jazz.
Das vielfältige musikalische Festivalprogramm begeisterte – Markus Stockhausen Group, Essence of North, Spiral-M, Gambelin, André Krengel und viele weitere waren zu hören. Alle Künstler vereint ihr ehrlicher Zugang zur Kunst, eine Ehrlichkeit, die sich in ihrem Verständnis von Freiheit widerspiegelt. Und eben dieser Grundkonsens schien in Weimar eine einmalige Verbundenheit und Energie zwischen Publikum und Künstlern herzustellen.
Herz und Verstand
Aber die Veranstalter wollten nicht nur Ohren, Augen und Herz, sondern auch den Verstand ansprechen. Der Philosoph Matthias Burchardt eröffnete Freitagabend das Vortragsprogramm mit einer haarscharfen und trotz allem amüsanten Analyse der vergangenen vier Jahre. Er erinnerte, dass «es die Feigheit ist, aus der der Totalitarismus wächst» und Propaganda der Tod der Demokratie sei. Denn «das Dialogische, die Reibung, ist Voraussetzung für Demokratie». Burchardt zufolge findet eine «Vermassung der Menschen» statt, selbst wenn sie allein vor dem Computer sitzen. So «entstehen Untermenschen, die sich zum Herrenmenschen aufspielen» und es komme zur «Selbstamputation in Hinblick auf die Menschlichkeit». Und er bestätigte, was viele der Anwesenden und unserer Leser wohl wissen: «Wer einmal ausgestiegen ist, der geht nicht mehr zurück.» Was es laut Burchardt braucht, sind eine «Wiederbelebung des Staates» und «echte Gemeinschaften, so wie hier».
Am Samstag stand viel Musik und eine Talkrunde mit dem Journalisten Walter van Rossum, der Rechtsanwältin Beate Bahner sowie dem Arzt und Autor Gunter Frank auf dem Programm. «Die Gesellschaft wurde trainiert, die Wirklichkeit zu vergessen», stellte Frank fest und forderte, dass die Verantwortlichen für die Corona-Verbrechen «vor unsere Gerichte» gestellt werden. Rossum hielt dagegen: «Lasst die Oberwelt sich selbst zerlegen. Das ist eine Welt, die ausstirbt». Und Bahner mahnte: «Es ist wesentlich, dass wir alle Nein sagen.»
Professor für Philosophie Michael Esfeld in Weimar: «Demokratie und Gesellschaft von unten neu aufbauen»; Foto: Sophia-Maria Antonulas
Musikalische Darbietungen wechselten sich am dritten Festivaltag mit zwei weiteren Vorträgen ab: Der Professor für Philosophie Michael Esfeld konstatierte, dass «wir nicht in einer Demokratie leben, weil die Regierung der Bevölkerung über Nacht die Grundrechte nehmen kann». Und dass es mit der Wissenschaft vorbei sei, sobald sie sich politisch instrumentalisieren lässt. Für ihn sind weder WHO, UN oder Großkonzerne das eigentliche Problem: «Nur der Staat kann Zwang ausüben. Lasst die supranationalen Organisationen reden, solange es keinen Apparat gibt, der das durchsetzt.» Esfeld forderte, bei der Regierung und dem übergriffigen Staat anzusetzen. Es brauche ein «Justizsystem von unten», das vom Staat unabhängig ist. Und er beendete seinen Vortrag mit einem Appell an die Zuhörer: «Wir müssen unsere Demokratie und Gesellschaft von unten neu aufbauen.»
Die Politikerin und Publizistin Vera Lengsfeld forderte dazu auf, «Cancel Culture» doch als das zu benennen, was es tatsächlich ist, nämlich «Sprech- und Auftrittsverbote». Und in Hinblick auf das Verbot des Magazins Compact oder die Verhaftungen rund um Heinrich XIII Prinz Reuß erinnerte sie, dass es ein Zeichen eines totalitären Regimes sei, wenn es künstlich erschaffene Feindbilder braucht. «Die Bürger sollen von der Realität abgelenkt werden, damit sie gehorchen», erklärte Lengsfeld. «Wir haben eine verdeckte Staatskrise, die von den Medien verschleiert wird.» Abschließend rief sie dazu auf, immer zu widersprechen und sich nicht die Lebenslust nehmen zu lassen, – und bekam dafür tosenden Applaus.
«Ohne die Beunruhigung durch Kunst herrscht die Ruhe des Funktionierens unumschränkt. Eine Kultur der reinen Pragmatik verliert das Bewusstsein ihrer selbst und wird zu allem fähig.»
So der Philosoph Michael Andrick Ende September in der Berliner Zeitung. Unangepasste und mutige Künstler, die feinsinnig auf die Zerstörung der Bürgerrechte reagieren, stellen die Avantgarde und werden deswegen mit Auftrittsverboten belegt. Bis zum nächsten Festival «Musik & Wort» sind sie in oft ungewöhnlichen Event-Locations zu hören und erleben.
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