Am 24. November 2024 fand in Rumänien die erste Runde der Präsidentenwahl statt. Der bislang als Außenseiter geltende ultranationalistische Kandidat Călin Georgescu gewann völlig überraschend die erste Runde. Daraufhin wurde eine Nachzählung der Ergebnisse angeordnet, wobei die Briefwahlstimmen aus dem Ausland nicht erneut nachgezählt wurden. Die Ergebnisse wurden bestätigt. Eine Woche später folgten die Parlamentswahlen, bei denen die pro-europäischen und NATO-orientierten Parteien ihren Einfluss und ihre Mehrheit behaupten konnten.
Doch die überraschendsten Entwicklungen folgten eine Woche später: Der rumänische Oberste Gerichtshof annullierte am letzten Freitag die Präsidentenwahl. Dies geschah nach der Veröffentlichung von Geheimdienstinformationen, wonach Georgescu von einer Kampagne auf Tiktok profitiert habe, die gegen das rumänische Wahlgesetz verstoße. Der Geheimdienst behauptete, dass Russland hinter dem Beeinflussungsversuch stecke, ohne aber konkrete Beweise für die mutmaßliche russische Einmischung vorzulegen.
Noch am Donnerstag hatten die Richter Anträge zur Annullierung der Wahl abgelehnt, einen Tag später änderten sie ihre Meinung. Diese Widersprüchlichkeiten erzeugen den Eindruck, dass hinter den Kulissen um die richtige Strategie im Umgang mit dem unerwünschten Kandidaten gerungen wurde – oder dass es Beeinflussungsversuche aus dem Westen gab. Oder beides.
Sollten die Behörden Georgescu von der Wahlwiederholung ausschließen, nähme die Glaubwürdigkeit der noch jungen rumänischen Demokratie zusätzlichen Schaden, wie die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) am Samstag schrieb.
George Simion, der Chef der ultranationalistischen Partei AUR, die Georgescu portiert hatte, sprach von einem «Staatsstreich». Aber auch die liberale Kandidatin Elena Lasconi, die es ebenso wie Georgescu in die Stichwahl geschafft hatte, verurteilte die Annullierung der Wahl aufs Schärfste. Der rumänische Staat habe die Demokratie mit Füßen getreten, erklärte die Politikerin.
Am Dienstag dieser Woche, nur wenige Tage nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, gaben die pro-europäischen und NATO-freundlichen Parteien des Landes bekannt, sich auf die Bildung einer neuen Regierung geeinigt zu haben. Die Parteien in der Koalition – die sozialdemokratische PSD, die liberale PNL sowie die USR –zeichnen sich durch ihre pro-westliche Haltung aus. Dieses Bündnis ist in seiner Struktur den sich abzeichnenden Regierungskoalitionen in Österreich ähnlich und versucht, sich der wachsenden nationalistischen Bewegung in Rumänien zu erwehren.
Ziel der neuen Regierung ist es, die angebliche «nationalistische Bedrohung für Rumänien» zu bekämpfen und die Stabilität des Landes in der NATO und der EU zu wahren. Bereits nach Bekanntgabe der Koalition am Dienstag wurde von den Parteien verkündet, dass sie in der kommenden Präsidentschaftswahl einen einzigen gemeinsamen Kandidaten aufstellen wollen. Der genaue Zeitpunkt der Wahlwiederholung bleibt jedoch unklar. Laut dem Gericht könnte die Wahl frühestens in sechs bis sieben Monaten stattfinden – also irgendwann im Jahr 2025.
Der amtierende Staatspräsident, der Siebenbürger Sachse Klaus Werner Johannis kündigte an, bis zur Wahlwiederholung im Amt zu bleiben.
George Simion, der Vorsitzende der ultranationalistischen Partei AUR des Präsidentschaftskandidaten Georgescu, hat gegen die Aufhebung der Wahl Berufung eingelegt. Unterstützer von Georgescu, dem abgewählten Präsidentenkandidaten, sehen sich außerdem politischer Einschüchterung ausgesetzt. Zuletzt wurden sogar Hausdurchsuchungen bei dessen Unterstützern durchgeführt. Georgescu selbst hat sich inzwischen in den sozialen Medien zu Wort gemeldet und warnt vor den Folgen der politischen Entwicklungen in Rumänien.
Ein politischer Richtungsentscheid in Rumänien hätte nicht nur innenpolitische Bedeutung, sondern auch strategische. Rumänien grenzt ans Schwarze Meer und verfügt mit seiner Grenze zur Ukraine über große strategische Bedeutung im Machtpoker zwischen dem Westen und der Ukraine. Wichtige Versorgungsrouten verlaufen über rumänisches Gebiet und in der Nähe der Hafenstadt Constanza entsteht die größte NATO-Basis Europas.
Georgescu hat sich im Wahlkampf dafür eingesetzt, jegliche Unterstützung für die Ukraine einzustellen. Würde Georgescu Präsident, dann wäre Polen das einzige NATO-Land mit einer sicheren Versorgungsroute in die Ukraine, nachdem schon Ungarn und die Slowakei aus dem Reigen der Unterstützer ausgeschieden sind (wir berichteten).
Kommentare