«Ohne die finanzielle und materielle Unterstützung durch die USA könnte die Ukraine in diesem Krieg nicht bestehen.» Das stellt der ehemalige Bundeswehr-General Harald Kujat in einem aktuellen Interview mit dem Schweizer Magazin Zeitgeschehen im Fokus klar.
«Hinzu kommt, dass die amerikanischen Streitkräfte entscheidenden Anteil an der Kriegsführung der Ukraine haben.»
Der Ex-General weist daraufhin, dass die ukrainischen Operationen von US-amerikanischen, britischen und ukrainischen Offizieren gemeinsam in der «Security Assistance Group-Ukraine», einem US-Stab in Wiesbaden, also auf deutschem Boden, geplant werden. Dort hätten die US-Offiziere einen frontalen Durchbruch der ukrainischen Truppen durch die russischen Linien vorgesehen, der aber so nicht umgesetzt worden sei. Zudem sei verlangt worden, die «Gegenoffensive» deutlich eher zu beginnen als dann erst im Juni 2023.
Kujat war unter anderem Generalinspekteur der Bundeswehr und Vorsitzender des Nato-Militärausschusses sowie des Nato-Russland-Rates. Seinen Erkenntnissen nach kommt es bei der US-amerikanisch-ukrainischen Kooperation immer wieder zu Missverständnissen und Irritationen. Die Zusammenarbeit werde ergänzt, indem ukrainische Militärs an westlichen Waffensystemen ausgebildet und trainiert werden.
Erinnerung an Vietnam
Er sagt, dass laut Medienberichten der Befehlshaber des US-amerikanischen Ukraine-Stabes, Generalleutnant Antonio Aguto, nach der gescheiterten «Gegenoffensive» mit einem Beraterteam dauerhaft nach Kiews abkommandiert wurde. Dort solle der US-General den ukrainischen Befehlshabern «über die Schulter schauen». Kujat dazu:
«Es ist leicht vorhersehbar, dass die Beratermission wachsen wird. Das erinnert sehr an den Beginn des Vietnamkrieges.»
Aguto solle einen Strategiewechsel («hold and build») der ukrainischen Truppen durchsetzen, die in die Defensive gehen und die Frontlinie halten sollen («hold»). Gleichzeitig sollen den Berichten nach neue Soldaten rekrutiert, ausgebildet und mit westlichen Waffen versorgt werden («build»).
Der ehemalige Bundeswehr-General hält es für fraglich, ob der Strategiewechsel die strategische Lage zugunsten Kiews ändern kann. Er verweist darauf, dass die russischen Truppen bereits mit Angriffen an der Frontlinie begonnen haben und diese «sicherlich» fortsetzen, «bis Russland seine strategischen Ziele erreicht hat».
Kujat macht auch darauf aufmerksam, dass der Kiewer Präsident Wolodymyr Selenskyj nach seinem Blitzbesuch in den USA im Dezember in Wiesbaden Station machte. Dort habe er den US-Ukraine-Stab besucht und mutmasslich mit US-General Aguto gesprochen.
Modell Korea?
Der Strategiewechsel sei erfolgt, weil aus US-Sicht klar geworden sei, dass das Kiewer Ziel, das gesamte ukrainische Territorium in den Grenzen von 1991 zurückzuerobern, unrealistisch ist.
«Das bedeutet weiterhin, den Konflikt entsprechend dem Frontverlauf einzufrieren und in die Defensive zu gehen, um die grossen Verluste zu reduzieren.»
Als Vorbild diene die Teilung Koreas am 38. Breitengrad nach dem dortigen Krieg in den 1950er Jahren. Kujat sieht aber «grosse Unterschiede» zur Korea-Lösung, wo alle beteiligten Seiten – China, die USA und indirekt die UdSSR – ein Ende des Krieges gewollt hätten. «Das ist hier nicht der Fall», fügt er mit Blick auf die Ukraine hinzu.
Er wirft dem Westen vor, im Fall der Ukraine die Politik zugunsten der angestrebten militärischen Lösung suspendiert zu haben.
«Auch in einem legitimen Verteidigungskrieg darf die Politik nicht suspendiert werden, sondern muss bestrebt sein, den Krieg zu akzeptablen politischen Bedingungen zu beenden. Am Ende eines Krieges gibt es immer ein politisches Ergebnis.»
Bisher hätten sowohl Russland als auch die USA «alles unternommen, um eine direkte Konfrontation zu verhindern», so Kujat. Er warnt vor einer Ausweitung des Krieges, je länger dieser dauere. Und er widerspricht Behauptungen westlicher Politiker, dass Russland nach einem militärischen Sieg in der Ukraine, andere Staaten, auch Nato-Mitglieder, angreifen könnte.
«Die russischen Streitkräfte sind jetzt wesentlich stärker als vor dem Krieg, aber nach meiner Meinung nicht stark genug, um die Nato in einem konventionellen, auf Europa begrenzten Krieg zu besiegen. Andererseits ist jedoch auch die Nato nicht stark genug, um Russland unter den derzeitigen Bedingungen eine konventionelle Niederlage zufügen zu können.»
Kujat warnt aber auch, dass möglicherweise eine der beiden Seiten die Lage anders einschätzen könnte und eine solche Fehleinschätzung «katastrophale Konsequenzen für den europäischen Kontinent» haben würde. Er hält aber eine solche Entwicklung für «unwahrscheinlich», wie er sagt.
**********************
Unterstützen Sie uns mit einem individuellen Betrag oder einem Spenden-Abo. Damit leisten Sie einen wichtigen Beitrag für unsere journalistische Unabhängigkeit. Wir existieren als Medium nur dank Ihnen, liebe Leserinnen und Leser. Vielen Dank!
Oder kaufen Sie unser Jahrbuch 2022 (mehr Infos hier) mit unseren besten Texten im Webshop:
Kommentare