Mit einem Verhandlungsvorschlag für das Ende des Krieges in der Ukraine haben sich vier bundesdeutsche Persönlichkeiten Ende August zu Wort gemeldet. Ziel ist ein gerechter und dauerhafter Frieden für das Land. Den Vorschlag hat zuerst das Schweizer Magazin Zeitgeschehen im Fokus veröffentlicht.
Die etablierten deutschsprachigen Medien verschweigen das weitgehend. Nur die österreichische Zeitung Die Presse hat bisher neben den Deutschen Wirtschaftsnachrichten darüber berichtet.
Weder Russland noch die Ukraine könnten diesen Krieg gewinnen, stellen der ehemalige Bundeswehr-Generalinspekteur Harald Kujat, der ehemalige Kanzler-Berater Horst Teltschik sowie die beiden Politikwissenschaftler Peter Brandt, Sohn von Willy Brandt, und Hajo Funke fest. Sie analysieren dabei die Vorgeschichte ebenso wie die aktuelle Lage. Auf der Grundlage entwickeln sie einen Verhandlungsvorschlag für eine Friedenslösung.
Dabei sollen die Sicherheitsinteressen aller beteiligten Länder, vor allem der Ukraine und Russlands beachtet werden, heisst es in dem Papier. Der Ukraine wird das Recht auf Selbstverteidigung zugestanden. Zugleich erinnern die vier Autoren Kiew an die «Verpflichtung – nicht zuletzt gegenüber dem eigenen Volk – Vernunft walten zu lassen, sich der Steigerung von Gewalt und Zerstörung nicht hinzugeben und die Erlangung eines gerechten und dauerhaften Friedens politisch zu befördern».
Das Bemühen um eine politische Lösung dürfe nicht aufgegeben werden. Das gelte auch für am Krieg «mittelbar» Beteiligte wie die Bundesrepublik Deutschland, «die durch das Friedensgebot des Grundgesetzes sogar besonders verpflichtet ist». Zudem habe die UN-Generalversammlung in zwei Resolutionen «friedliche Beilegung des Konfliktes zwischen der Russischen Föderation und der Ukraine durch politischen Dialog, Verhandlungen, Vermittlung und andere friedliche Mittel» gefordert.
Die vier Persönlichkeiten stellen klar:
«Je länger der Krieg dauert, desto grösser werden die ukrainischen Verluste und die Zerstörung des Landes, und desto schwieriger wird es, einen gerechten und dauerhaften Verhandlungsfrieden zu erreichen, der auch den Staaten Sicherheit gibt, die an der Seite der Ukraine stehen.»
Es drohe eine weitere Eskalation. Während weder die Ukraine noch Russland den Krieg gewinnen können, so die Autoren, steige das Risiko einer Eskalation bis zum «Äussersten»: einem militärischen Konflikt zwischen der Nato und Russland. Dazu gehöre die Gefahr eines auf Europa begrenzten Nuklearkrieges.
Es wäre «vor allem im Interesse der Ukraine, sobald wie möglich einen Waffenstillstand anzustreben». Dieser könne die Tür für Friedensverhandlungen öffnen. Diese sind aus Sicht der vier Persönlichkeiten auch deshalb weiterhin möglich, weil Russlands Präsident Wladimir Putin mehrfach die Bereitschaft dazu erklärte. Sie nennen dafür einige Beispiele für entsprechende Aussagen Putins.
«Putin war zu Verhandlungen mit der Ukraine bereit und ist es sicherlich noch – dies immer unter der Voraussetzung, dass Verhandlungen auch von der Gegenseite – also der amerikanischen, ukrainischen und westlichen Seite – gewollt werden. Hierzu hat Putin sich mehrfach positiv geäussert.»
Sie stellen ebenso klar:
«Der Krieg hätte verhindert werden können, hätte der Westen einen neutralen Status der Ukraine akzeptiert – wozu Selenski anfangs durchaus bereit war –, auf eine Nato-Mitgliedschaft verzichtet und das Minsk II-Abkommen für Minderheitenrechte der russischsprachigen Bevölkerung durchgesetzt.»
Und:
«Der Krieg hätte Anfang April 2022 beendet werden können, hätte der Westen den Abschluss der Istanbul-Verhandlungen zugelassen.»
Es liege nun «möglicherweise letztmalig» in der Verantwortung des «kollektiven Westens» und insbesondere der USA, einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen zu ermöglichen. Für beides beschreiben die vier einen konkreten Weg, der mit Hilfe der UNO gegangen und gesichert werden müsste.
Dazu gehören der Rückzug der ukrainischen Truppen wie der russischen Einheiten sowie der Einsatz einer UN-Friedenstruppe, die den Waffenstillstand überwachen soll. Auf beiden Seiten der russisch-ukrainischen Grenze solle eine entmilitarisierte Pufferzone von jeweils 50 Kilometer Breite geschaffen werden.
Zu den zahlreichen Punkten, die Ukraine betreffend, gehört unter anderem: Die Ukraine müsse ihren «permanenten Status als neutraler Staat» erklären. Sie dürfe «keinem militärischen Bündnis, einschliesslich der Nordatlantischen Allianz», beitreten. Garantiemächte sollen die Souveränität, territoriale Integrität und staatliche Unabhängigkeit des Landes gewährleisten.
Die Garantiezusagen würden aber «nicht für die Krim und Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson innerhalb der ehemaligen Verwaltungsgrenzen» gelten. Der künftige Status dieser Regionen solle in Verhandlungen «einvernehmlich vereinbart» werden. Ihre Bevölkerungen sollen über den Status der Gebiete in Abstimmungen selbst entscheiden.
Die vier Persönlichkeiten beschreiben als endgültiges Ziel eine «europäische Sicherheits- und Friedensordnung», «in der die Ukraine und Russland ihren Platz haben». Es gehe um eine «europäische Sicherheitsarchitektur, in der die geostrategische Lage der Ukraine keine Schlüsselrolle mehr für die geopolitische Rivalität der Vereinigten Staaten und Russlands spielt».
Den Weg dahin soll eine Konferenz «im KSZE-Format» ebnen, «die an die grossen Fortschritte der Charta von Paris anknüpft und diese unter Berücksichtigung der gegenwärtigen sicherheitspolitischen und strategischen Rahmenbedingungen weiterentwickelt».
**********************
Unterstützen Sie uns mit einem individuellen Betrag oder einem Spenden-Abo. Damit leisten Sie einen wichtigen Beitrag für unsere journalistische Unabhängigkeit. Wir existieren als Medium nur dank Ihnen, liebe Leserinnen und Leser. Vielen Dank!
Oder kaufen Sie unser Jahrbuch 2022 (mehr Infos hier) mit unseren besten Texten im Webshop: