E-Mails und ein geheimes Briefing-Dokument decken auf, dass das US-Spionagetechnikunternehmen Palantir die PR-Firma Topham Guerin angeheuert hat, um Influencer zu bezahlen, damit diese das kritische Good Law Project in den sozialen Medien angreifen. Darauf macht das Magazin The Exposé aufmerksam.
Hintergrund ist der 330-Millionen-Pfund-Vertrag zwischen Palantir und der britischen Regierung zur Verarbeitung von Millionen von Patientendaten des Nationalen Gesundheitsdienstes England (National Health Service, NHS), der Ende November abgeschlossen wurde. Nach einem «offenen und wettbewerbsorientierten Ausschreibungsverfahren» sei der Auftrag für das Digitalisierungsprojekt vergeben worden.
Palantir führt dabei eine Firmengruppe an, die von Amazon und Microsoft unterstützt wird und zu der auch die US-Beratungsgesellschaft Accenture gehört. Letztere ist neben Microsoft, der Impfallianz Gavi und der Rockefeller-Stiftung einer der Gründungspartner der ID2020-Allianz sowie an der WEF-Initiative «Known Traveller Digital Identity» beteiligt.
Ab Frühjahr 2024 wird also im englischen Gesundheitsdienst eine neue Software eingeführt, um Informationen zu vereinen, die derzeit in separaten NHS-Systemen gespeichert sind. Mit dieser sogenannten «Federated Data Platform» (FDP) wolle man «einige der grossen Herausforderungen bewältigen, vor denen das Gesundheitswesen nach der Pandemie steht».
Ziel sei eine bessere Versorgung der Patienten. Unter anderem wolle man auf diesem Wege Wartelisten abbauen und zur Entlastung der Krankenhäuser beitragen. Der Datenschutz sei gewährleistet und die Software werde auch nicht für den Zugriff auf Daten zu Forschungszwecken verwendet. In der Pressenotiz des NHS heisst es:
«Kein Unternehmen, das an der Federated Data Platform beteiligt ist, kann ohne ausdrückliche Genehmigung des NHS auf Gesundheits- und Pflegedaten zugreifen. Alle Daten innerhalb der Plattform stehen unter der Kontrolle des NHS.»
Das Good Law Project hatte dennoch Bedenken gegen die Vergabe geäussert und angekündigt, rechtliche Schritte wegen der ihrer Meinung nach mangelnden Sicherheitsvorkehrungen bei der Verwendung von Patientendaten durch den NHS einzuleiten. Palantir arbeite bekanntermassen weltweit eng mit Nachrichtendiensten und militärischen Organisationen zusammen, wie der CIA oder dem britischen Verteidigungsministerium.
Sie sind aber nicht die einzigen Kritiker, die Fragen zum Vertrag mit Palantir gestellt haben. NHS-Patienten, Parlamentsabgeordnete verschiedener Parteien, Bürgerrechtsgruppen und viele andere Organisationen wie die British Medical Association hätten dies ebenfalls getan, wie The Guardian berichtet.
Im Dezember enthüllte die gemeinnützige Organisation, die von der New York Times als «britischer Governance-Watchdog» bezeichnet wurde, durch E-Mails und einen vertraulichen Projektplan die Online-Angriffe. Der Tech-Gigant Palantir hatte die PR-Firma Topham Guerin angeheuert, um über eine weitere Marketingagentur Influencer zu bezahlen, die das Good Law Project in den sozialen Medien angreifen sollten.
In den E-Mails sei zunächst eine Kampagne beschrieben worden, «die darauf abzielt, Fehlinformationen in Bezug auf einige kürzlich in der britischen Presse verbreitete Datenschutzbedenken aufzuklären». Diejenigen, die ihr Interesse bekundet – und ihre «Honorarvorstellungen» genannt – hatten, hätten anschliessend ein Exemplar des Briefing-Dokuments erhalten.
In diesen Instruktionen sei dann ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass allein das Good Law Project das Ziel war. Der Grund: «Sie verbreiten die Befürchtung, dass durch die Auftragsvergabe private Patientendaten im gesamten Vereinigten Königreich gefährdet sein könnten.» Die Auftraggeber seien vertraulich zu behandeln und Palantir dürfe nicht genannt werden.
Der Plan flog jedoch auf, weil eine kontaktierte Influencerin, Dr. Julia Patterson, sich an das Good Law Project wandte. Ein erstaunlicher Anfängerfehler der Marketingagenturen. Patterson ist nämlich die Gründerin und Geschäftsführerin von EveryDoctor, einer von Ärzten geleiteten Kampagnenorganisation, die bereits zuvor mit dem Good Law Project zusammengearbeitet hatte.
«In einer Zeit, in der das Vertrauen der Öffentlichkeit in Politiker und in die Medien im Allgemeinen sehr gering ist, ist es nicht gerade brillant, wenn man herausfindet, dass eine Kampagne durchgeführt wird, bei der Leute dafür bezahlt werden, bestimmte Botschaften im Namen eines Unternehmens zu verbreiten, das einen bedeutenden, riesigen Regierungsauftrag erhalten hat», urteilt Patterson.
Derzeit will der NHS angeblich untersuchen, ob der US-amerikanische Datenanalyseriese mit der verdeckten Influencer-Kampagne gegen die Bedingungen seines Vertrags zum Betrieb der Datenplattform verstossen hat. Das Good Law Project teilte mit, Palantir sei verpflichtet gewesen, eine vorherige Genehmigung für seine «Werbekampagne» und für ein solches Briefing einzuholen, habe dies aber «versäumt».
Der Vertrag zwischen dem NHS und Palantir wurde übrigens am selben Tag der Publikation der fragwürdigen E-Mails veröffentlicht. Allerdings handelte es sich um eine stark geschwärzte Version, in der wesentliche Teile des Inhalts unkenntlich gemacht wurden, darunter die meisten Informationen unter der Überschrift «Schutz personenbezogener Daten».
Den NHS-Deal hat Palantir strategisch vorbereitet
Palantir-CEO Alex Karp fühlte sich durch die Auftragsvergabe geehrt und sagte: «Das baut auf unserer Rolle auf, die wir bei der Bereitstellung des Covid-19-Impfstoffs gespielt haben.» Der Gründer des Unternehmens, der Milliardär Peter Thiel, hatte dagegen früher behauptet, der NHS mache die Menschen krank und deren Sympathie für den Gesundheitsdienst gleiche dem «Stockholm-Syndrom».
Die Beziehung des US-Datenspezialisten zum britischen Gesundheitssystem ist indes tatsächlich schon etwas älter. Seit 2020 hat Palantir laut Bloomberg mehr als 37 Millionen Pfund durch Verträge mit dem NHS und dem Ministerium für Gesundheit und Soziales erhalten.
Palantir habe erstmals im Jahr 2020 einen NHS-Vertrag bekommen – ohne Ausschreibung –, wie die Medienplattform Open Democracy berichtet. Damals ging es darum, die Einführung des Covid-19-«Impfstoffs» zu verwalten. Gesundheitsminister Matt Hancock habe besondere ministerielle Befugnisse genutzt, um die Vorschriften zur Wahrung der Vertraulichkeit von Patientendaten zu umgehen und dem Unternehmen die Verarbeitung dieser Daten zu ermöglichen. Später habe Palantir einen weiteren, weder veröffentlichten noch ausgeschriebenen Auftrag erhalten.
Anfang 2023 seien dann laut Open Democracy hunderte von NHS-Krankenhäusern praktisch angewiesen worden, vertrauliche Krankenakten an Palantir weiterzugeben. In einem Schreiben habe der Finanzchef des Gesundheitsdienstes, Julian Kelly, die Kliniken angewiesen, bis Ende März mit dem Hochladen von Patientendaten in eine neue zentrale Datenbank zu beginnen, die die Foundry-Software von Palantir verwendet.
Die neue Datenbank mit dem Namen «Faster Data Flows» sammele täglich Informationen über Krankenhauspatienten – einschliesslich ihrer Geburtsdaten, Postleitzahlen und detaillierter Krankengeschichten –, die zuvor von den einzelnen Einrichtungen aufbewahrt und weniger häufig weitergegeben wurden. Ein Pilotprojekt dazu sei bereits 2022 gestartet worden.
Mit Blick auf die geplante Federated Data Platform habe ein Beamter des Gesundheitsministeriums damals erklärt, dass derjenige, der den Auftrag erhalte, die Daten von Foundry in das neue FDP-System migrieren müsse. Entsprechend habe es Bedenken gegeben, dass die Einführung von Palantirs Foundry in Krankenhäusern Anfang 2023 – während des Ausschreibungsverfahrens – Thiels Unternehmen einen Vorteil verschaffen würde. Das lässt sich kaum von der Hand weisen.
Doch das ist noch nicht alles. Palantir hat auch eine «schwach regulierte Drehtür» im NHS ausgenutzt, wie Open Democracy ergänzt. Mindestens drei ehemalige Datenexperten des NHS habe man abgeworben, um den «Must-Win»-Auftrag zu erhalten.
Eine der jüngsten Neueinstellungen, Indra Joshi, war Leiterin der Abteilung für künstliche Intelligenz beim NHS und half bei der Einführung des Covid-19-Datenspeichers – dem ersten NHS-Projekt, das Foundry nutzte. Im April 2022 verliess sie den Gesundheitsdienst und wechselte zu Palantir.
Harjeet Dhaliwal, der zuvor stellvertretender Direktor für Datendienste beim NHS England war, kam später im selben Jahr zum Unternehmen. Die beiden schliessen sich bei Palantir Paul Howells an, der vorher ein nationales Datenprogramm für den NHS Wales leitete.
Ein Global Player mit Militär- und Geheimdiensthintergrund überlässt nichts dem Zufall. Daten bedeuten Geld und Macht, alle Beteiligten an Projekten zur Digitalisierung im Gesundheitswesen wissen das – auch die politischen Entscheider. Skrupellose Massnahmen gegen lästige Nörgler wie das Good Law Project sind mit Sicherheit keine Seltenheit. Ob die Untersuchung des NHS gegen Palantir irgendein Ergebnis haben wird, darf bezweifelt werden.
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