Die konservative Regierung des griechischen Ministerpräsidenten Mitsotakis hat im Laufe der Jahre einige Negativrekorde aufgestellt. Darüber berichtet die Plattform in.gr.
Die ständige Zurückdrängung von Migranten durch griechische Behörden in Zusammenarbeit mit der EU-Grenzschutzagentur Frontex (pushbacks), die im Juni 2023 in der tödlichsten Schiffskatastrophe seit fast einem Jahrzehnt gipfelte, ist nur der bekannteste Aspekt davon.
Griechenland, nicht Ungarn oder Polen, ist derzeit das Land mit dem schlechtesten Ranking in der EU in Bezug auf Pressefreiheit. Damit ist Hellas im Vergleich zum letzten Jahr um nicht weniger als 38 Plätze abgerutscht und belegt in Europa den letzten Platz. Hellas ist weltweit rangmässig mit Platz 108 von 180 in der Nähe von Sambia, Mali und Brasilien angesiedelt. Die vielgescholtenen Ungarn befinden sich auf Platz 85 und die Polen auf Platz 66.
Nur einen Tag bevor das Europäische Parlament über die Rechtsstaatlichkeit debattieren sollte, wurde das Land vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen der tödlichen Schüsse auf einen syrischen Flüchtling durch die griechische Küstenwache im Jahr 2014 verurteilt.
Die anhaltende Straffreiheit für die Ermordung des altgedienten Kriminalreporters Giorgos Karaïvaz am helllichten Tag im Jahr 2021 ist ein weiterer erschreckender Beweis dafür, wie gefährlich es für Journalisten geworden ist. Karaïvaz hatte sich auf das organisierte Verbrechen spezialisiert. Kurz vor den letztjährigen Wahlen wurden zwar zwei Personen wegen der Ermordung festgenommen, aber es wurde noch kein Prozess eröffnet.
Plötzliche Verschlechterung bei der Rechtsstaatlichkeit
In ihrem Bericht über die Rechtsstaatlichkeit in der EU 2023 erwähnt die Europäische Kommission auch, dass Drohungen und Angriffe auf Journalisten in Griechenland weiterhin ein ernstes Problem darstellen.
Weshalb diese plötzliche Verschlechterung? In den 90er-Jahren sind Presse und Fernsehen regelmässig buchstäblich über die Regierung hergefallen. Diese Zeiten sind vorbei. Nur einige kleine, lokale Fernseh- oder Radiostationen wie Alert.gr versuchen noch, kritische Beiträge zu bringen und gut recherchierte Kritik zu üben.
Woher kommt diese Bedrohung? Es gibt in Griechenland ein korruptes Geflecht zwischen Presse, Staat und Grossunternehmern. Es ist eng und funktioniert so: Gefällige, tendenziöse Berichterstattung gegen Geld, viel Geld – sei es, dass der Staat Medienunternehmen kapitalisiert, sei es, dass ein einzelner Journalist Geld von Grossunternehmern annimmt.
Das ist ein verbreitetes Geschäftsmodell und es wurde in der Coronazeit noch ausgeweitet. Unter diesem Vorwand schüttete die Regierung massenhaft Geld aus – vor allem an die omnipräsenten privaten Fernsehkanäle.
Der Berichterstatter der «Reporter ohne Grenzen» wies darauf hin, dass die Regierung nicht in der Lage oder nicht willens sei, die Journalisten wirksam zu schützen. Es gibt Drohungen gegen Medienschaffende und Belästigungen durch Überwachung mittels Spionagesoftware.
Während der Corornazeit verstarb der bekannte Journalist Georgios Trangas. Er hatte sich als «Stimme des Volkes» profiliert, als ein Journalist, der die Dinge beim Namen nannte – seit den 80er-Jahren mischte er bei allen Themen mit. Für die Finanzkrise machte er Deutschland verantwortlich, indem er zum Beispiel Angela Merkel auf besonders widerwärtige Art mit Hitler verglich. In der Coronakrise hatte er aber mit der Kritik an den überzogenen Massnahmen und am Impfzwang einen Punkt.
Der Skandal war, dass dieser Journalist ein Vermögen von etwa 100 Millionen Euro zusammengerafft hatte. Und das wurde nicht etwa bekannt, weil Polizei oder Justiz ermittelten, sondern weil die gierige Witwe und die nicht minder gierigen Kinder sich indiskret und heftig um das Erbe gestritten haben.
Gesetze gegen «Fake News» als Problem
Ein weiteres Problem sind die in der Coronazeit erlassenen Gesetze gegen sogenannte «Fake News». Diese sind schwammig formuliert: Der Staat bestimmt demnach, was «Fake News» sind und was nicht. Damit kann der Staat praktisch überall eingreifen und die Berichterstattung über praktisch alles verbieten lassen, was ihm nicht passt. Besonders oft geschieht das bei der Berichterstattung über die Handhabung der «Pandemie» und der illegalen Grenzübertritte von Flüchtlingen in der Ostägäis.
Aber auch bei der Kritik an der Armee und der Verteidigungspolitik wird es sehr schnell heikel, denn dieser Bereich ist im Gesetz explizit erwähnt: Wer die Armee kritisiert, kann praktisch immer mit Gefängnis von bis zu drei Jahren bestraft werden.
Damit wird in Griechenland ein Grundrecht nicht nur geritzt, sondern richtig gehend in Frage gestellt und durch die derzeitige Regierung ausgehebelt. Bis zur löblichen Debatte im EU-Parlament hat das nur NGOs gestört, die sich «Pressefreiheit» auf die Fahne geschrieben haben, und nicht zum Beispiel die EU, die eine «Wertegemeinschaft» sein will. Die Gründe:
Die gesamte EU geht mit dem «Digital Services Act» (siehe hierund hier) leider in die gleiche Richtung, die Griechenland bereits beschritten hat – weg von einem selbstverständlichen, unverhandelbaren Grundrecht.
Ein weiteres Problem in Griechenland ist, dass das Land für Europa in der Ostägäis die Drecksarbeit erledigt und Flüchtlinge daran hindert, in den Schengenraum einzudringen. Dabei kann man keine Zuschauer und vor allem keine Medien gebrauchen.
Bei Ungarn und Polen, zwei Ländern, die oft bezüglich Grundrechten am Pranger stehen, verhält es sich anders. Viktor Orban leistet sich eine eigene Meinung, die oft nicht mit dem Mainstream übereinstimmt. Bei Polen ist das ähnlich. Nur wird das Land im Moment als Drehscheibe zur Ukraine gebraucht und seit dem Regierungswechsel und der neuen Regierung Tusk hat dort der Wind gedreht.
Leistung und Gegenleistung
Der Ministerpräsident dient sich, wie viele seiner Vorgänger in den letzten 200 Jahren, im Ausland als zuverlässiger Partner an. Die Flüchtlingspolitik der EU wird nicht offen kritisiert (anders als etwa beim ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban) – das schliesst aber Massnahmen im Geheimen, die dieser Politik widersprechen, nicht aus – die Familienpolitik (oder besser: Anti-Familienpolitik) wird anders als in Ungarn und Polen am links-grünen westeuropäischen Mainstream ausgerichtet, auch wenn das der griechischen Lebenswirklichkeit und den Bedürfnissen der Gesellschaft ganz und gar nicht entspricht.
Die Gegenleistung: Keine Fragen zur Innenpolitik, zur Pressefreiheit, zur Unabhängigkeit der Justiz und den Menschenrechten sowie Toleranz gegenüber dem Schuldenmachen. Aber dieser Deal funktioniert nicht immer. Zwei Beispiele:
PASOK-Chef abgehört
Im Sommer 2022 erfuhr der Chef der oppositionellen Partei PASOK, Nikos Androulakis, vom Sicherheitsdienst des Europäischen Parlaments, dass er vom griechischen Geheimdienst bespitzelt wird.
Nachdem das Abhören des Smartphones des PASOK-Chefs aufgeflogen war, traten der Geheimdienstchef und der Büroleiter des Premierministers zurück. Letzterer ist aber nicht nur Büroleiter, sondern zufällig Neffe des Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis.
Mitsotakis wollte sich damit herausreden, dass er davon nichts gewusst und das nie genehmigt habe. Das Ganze sei ein Fehler gewesen, aber legal, weil von einem Staatsanwalt bewilligt. Es wurde dann aber auch bekannt, dass ein griechischer Journalist vor Gericht ging, weil sein Telefon mit Spionagesoftware infiziert war.
Eva Kaili oder: Der Geldkoffer unter dem Bett
Die Probleme mit der Rechtsstaatlichkeit in Griechenland beschränken sich aber nicht auf die Regierungspartei. Das zeigt die Geschichte um die anfangs Dezember 2022 in Brüssel verhaftete Europaabgeordnete Eva Kaili. Von den Machenschaften ihres italienischen Lebensgefährten habe sie erst erfahren, als die Polizei in ihrer Wohnung unter dem Bett 750’000 Euro fand, gab die ehemalige Fernsehmoderatorin und Politikerin der Panhellenischen Sozialistischen Bewegung (PASOK) der belgischen Polizei zu Protokoll.
Es wäre «eine schmerzhafte Überraschung», wenn die Vorwürfe gegen den Lebensgefährten bestätigt würden, fügte ihr Anwalt dem Rührstück ein weiteres Kapitel an. Vollständig lautet der Name der Beschuldigten Evdoxia Kaili (griechisch Ευδοξία Εύα Καϊλή). Eva ist eine Abkürzung von Ευδοξία (lat. Evdoxia), was ungefähr übersetzt «die Rechtgläubige» heisst. Ob nun die Beschuldigte ihrem Namen gerecht wird, muss die belgische Justiz erst klären. Aber der Reihe nach:
Kaili hatte die Arbeitsbedingungen auf den Baustellen in Katar gerechtfertigt und wusste dann nicht, wie das verführerische Geld unter ihrem Bett gelandet war. Europa war empört, PASOK-Chef Androulakis handelte umgehend und schmiss Kaili aus der Partei, während das EU-Parlament ihr das Mandat als Parlaments-Vizepräsidentin entzog.
Griechenland staunte – aber aus anderen Gründen. Offenbar hatten die belgische Polizei und Justiz freie Hand, gegen die verdächtigen Politiker vorzugehen – genau wie bei anderen Verdächtigen. Die mutmasslichen Übeltäter wurden beschattet, es wurde ermittelt, und als man glaubte, genug Beweismaterial in der Hand zu haben, schnappte die Falle zu.
Der Artikel 86 der griechischen Verfassung
In Griechenland wäre Kaili vermutlich unantastbar. Schon Fernsehmoderatorinnen haben in Hellas den Status eines Stars. Tauchen nun Verdachtsmomente gegen Politiker auf, muss die Justiz den Fall an das Parlament abtreten. Politiker müssen sich in Griechenland nicht einer unabhängigen Justiz stellen. Wenn ein Fall ans Parlament abgegeben wird, dann haben Politiker genug Zeit, um Beweise zu beseitigen.
Im Parlament passiert dann meist, ausser Polittheater und Schauprozessen, bei denen die Mehrheitsverhältnisse im Parlament wichtiger sind als Beweise, gar nichts mehr. Korruptionsfälle kommen in Griechenland meist nur aufgrund von Ermittlungen im Ausland ans Tageslicht, also dann, wenn sie aufgrund von hartnäckigen Untersuchungen in der Schweiz, in Deutschland oder in den USA nicht mehr unter den Teppich gekehrt werden können.
Der Artikel 86 der griechischen Verfassung garantiert, dass Politiker ihre eigenen Richter sind. Wer Ungarn und Polen kritisiert, wer diesen beiden Ländern fehlende Rechtsstaatlichkeit vorwirft, müsste im gleichen Atemzug die komplette Erodierung der Pressefreiheit in Griechenland kritisieren und die Abschaffung des Artikels 86 der griechischen Verfassung fordern. Alles andere wirkt heuchlerisch und voreingenommen oder ist von politischen Hintergedanken geprägt.
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