Im EU-Parlament brodelt es. Die Kritik an EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen wächst. Wie Euractiv und die Berliner Zeitung berichten, haben Abgeordnete der EVP, der EKR, der Patrioten für Europa und der Fraktion Europa der souveränen Nationen ausreichend Unterstützung für einen Antrag gesammelt, um von der Leyen zu Fall zu bringen (hier und hier).
Der EU-Chefin werfen die Parlamentarier mangelnde Transparenz vor, vor allem das jüngste Pfizergate-Urteil des obersten EU-Gerichts erregt die Gemüter. Dabei geht es um einen Deal über 1,8 Milliarden Impfstoffdosen im Wert von 35 Milliarden Euro, den von der Leyen im Frühjahr 2021 mittels privater Textnachrichten mit Pfizer-Chef Albert Bourla ausgehandelt hat (wir berichteten).
Die EU-Kommission hatte sich geweigert, diese Nachrichten zu veröffentlichen. Doch Mitte Mai entschied das Gericht, das Argument der Kommission, die Nachrichten seien «nicht auffindbar», sei rechtlich unbegründet und nicht glaubwürdig. Damit entsprachen die Richter der Klage der New York Times, die eine Herausgabe der Nachrichten gefordert hatte.
Die Kritik an von der Leyen geht über das Pfizergate hinaus. Mitglieder des Rechtsausschusses des EU-Parlaments haben Parlamentspräsidentin Roberta Metsola aufgerufen, die Kommission zu verklagen. Der Grund: Von der Leyen habe das Parlament umgangen, als sie beschloss, einen 150 Milliarden Euro-Kredit aufzunehmen, um ihre Aufrüstungspläne zu finanzieren (wir berichteten hier und hier).
Laut der Berliner Zeitung, die sich in ihrem Bericht auf die Financial Times (FT) beruft, könnte das Misstrauensvotum bereits im kommenden Monat stattfinden. Auch wenn von der Leyen die Abstimmung überstehen dürfte, könnte sie gezwungen sein, politischen Gegnern sowohl von links als auch von rechts größere Zugeständnisse zu machen, um ihre Position zu sichern.
«Die Initiative dient im Kern der Wahrung von Transparenz und der Sicherstellung eines fairen und echten demokratischen Prozesses», sagte der rumänische EU-Abgeordnete Gheorghe Piperea gegenüber der Financial Times. Der Politiker hatte den Antrag am Donnerstag eingebracht, nachdem dieser über die erforderlichen 72 Unterstützungsunterschriften hinaus Zustimmung erhalten hatte. Insgesamt unterzeichneten 74 Abgeordnete den Antrag.
Die Hürde zur Einleitung eines Misstrauensvotums im EU-Parlament sei niedrig, teilt die Berliner Zeitung mit. Für eine tatsächliche Absetzung der Kommission wäre jedoch eine Zweidrittelmehrheit der anwesenden Abgeordneten nötig. Insgesamt zähle das Europäische Parlament 720 Mitglieder, rund 401 von ihnen stimmten vor knapp einem Jahr für von der Leyens Wiederwahl. Seitdem habe sie jedoch politischen Rückhalt verloren.
Auch Piperea räumte ein, dass die Erfolgschancen des Misstrauensvotums gering seien. Dennoch sei die Abstimmung «eine wichtige Gelegenheit für konstruktive und fundierte Kritik an Präsidentin von der Leyen». Sie zwinge die Kommission, auf Bedenken einzugehen und Stellung zu beziehen, so der rumänische Politiker.
Euractiv informierte in diesem Zusammenhang, dass die EU-Verbündeten der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni (Europäische Konservative und Reformer/EKR) sich noch uneins seien über den Versuch, die Kommission von Ursula von der Leyen zu stürzen. 31 der 79 Abgeordneten dieser Fraktion hätten den Misstrauensantrag mitunterzeichnet, der zu einer Abstimmung im Plenum führen könnte, um die Kommission zu Fall zu bringen – obwohl eine solche Abstimmung wahrscheinlich erfolglos wäre.
Zudem lässt das EU-affine Portal wissen, Meloni habe in Brüssel eng mit von der Leyen zusammengearbeitet, und ihr Verbündeter Raffaele Fitto bekleide einen der höchsten Posten in der Kommission. Auch weist Euractiv darauf hin, dass der Antrag zu einem Zeitpunkt komme, an dem von der Leyen den Zorn der sozialdemokratischen und liberalen Europaabgeordneten auf sich gezogen habe, die sie für eine zweite Amtszeit an der Spitze der Kommission unterstützten.
Doch diese seien nun verärgert, weil die EU-Exekutive ein neues Anti-Greenwashing-Gesetz zu Fall bringen wolle, gerade als die Europaabgeordneten und die EU-Regierungen es nach langwierigen Verhandlungen fertiggestellt hatten. Mit diesem Gesetz wollte die EU Verbraucher vor unlauterer Werbung mit Umwelt-Versprechen schützen. Jetzt wurde das Regelwerk kurz vor dessen Beschluss abgeräumt.