Der Wirbel um den ersten Einsatz der Suizidkapsel Sarco hat das Thema Sterbehilfe in der Schweiz wieder aufs Tapet gebracht (wir berichteten). Am Wochenende hat nun die renommierte Journalistin Bettina Weber den Stand der Dinge zusammengefasst, während die ärztliche Standesorganisation FMH ihre Sicht der Dinge in einem Artikel ihres Rechtsdienstes in der aktuellen Ausgabe der Ärztezeitung ausführlich begründet. Was bedeutet das praktisch?
In der Schweiz ist die gesetzliche Lage zur Suizidhilfe eindeutig: Menschen, die das Leben beenden möchten, dürfen dies mit Hilfe eines Arztes tun, ohne zwingend an einer unheilbaren Krankheit zu leiden. Diese liberale Rechtsprechung wurde kürzlich durch das Bundesgericht erneut bekräftigt. Es stellte klar, dass auch gesunde, urteilsfähige Personen unter bestimmten Umständen Suizidhilfe in Anspruch nehmen dürfen. Man spricht hier von einem Bilanzsuizid. Das ist aber nicht das Ende vom Liede.
Es ist die ärztliche Standesorganisation FMH (Fédération des Médecins Suisses), die in ihrer Richtlinie festhält, dass Suizidhilfe für gesunde Menschen ethisch bedenklich ist. Dies zeigt sich zum Beispiel an dem jetzt durch das Bundesgericht beurteilten Fall, auf den sich sowohl Bettina Weber als auch die FMH beziehen.
Ein hochbetagtes Ehepaar beschloss, gemeinsam aus dem Leben zu scheiden, obwohl nur der Mann an einer tödlichen Krankheit litt. Der Genfer Arzt Pierre Beck verabreichte daraufhin auch der gesunden Frau die tödliche Dosis Natriumpentobarbital.
Die Konsequenzen für Ärzte wie Beck und die international bekannte Ärztin und Suizidhelferin Erika Preisig sind dramatisch. Preisig, die sich für die Legalisierung der Suizidhilfe einsetzt, sah sich über Jahre hinweg strafrechtlichen Anklagen ausgesetzt, bevor das höchste Schweizer Gericht sie von allen Vorwürfen freisprach. Beck nun ebenso.
Allerdings geraten sie in Konflikt mit ihrer Standesorganisation. Die FMH und die SAMW (Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften) halten in ihren Stellungnahmen fest, dass ihre Richtlinien zwar keinen gesetzlichen Charakter haben, sie jedoch für die Mitglieder der FMH bindend sind. Dies führt zu einer paradoxen Situation: Ärzte, die sich rechtlich korrekt verhalten und Suizidhilfe anbieten, riskieren dennoch Sanktionen innerhalb ihres Berufsstandes. Der Zürcher Rechtsprofessor Thomas Gächter weist darauf hin, dass die Nichteinhaltung der FMH-Richtlinien zwar nicht strafbar ist, jedoch Konsequenzen haben kann, die die berufliche Existenz der Ärzte bedrohen.
Die SAMW bestätigt, dass in den letzten Jahren ein Anstieg der Nachfrage nach Suizidhilfe bei gesunden Personen zu beobachten sei, betont jedoch, dass diese Thematik eine gesellschaftliche Diskussion erfordere. Während in der Schweiz der Rechtsrahmen seit vielen Jahren stabil geblieben ist, gibt es in einigen Staaten die Tendenz, Sterbehilfe immer weiter zu liberalisieren (wir berichteten), so dass die Gefahr besteht, dass Druck auf Ältere und Behinderte entstehen könnte, ihrem Leben selber ein Ende zu setzen – also dass sich eine eigentliche Suizidkultur heranbildet. Beispiele dafür sind die Niederlande und vor allem Kanada.
Die FMH-Standesordnung legt fest, dass die Hauptaufgaben von Ärztinnen und Ärzten darin bestehen, menschliches Leben zu schützen, die Gesundheit zu fördern und Krankheiten zu behandeln. Dies umfasst auch das Lindern von Leiden und das Beistehen Sterbender. Im Mai 2022 wurden die SAMW-Richtlinien zum «Umgang mit Sterben und Tod» in die Standesordnung integriert. Diese Richtlinien sollen den aktuellen gesellschaftlichen Bedürfnissen gerecht werden und bieten Rahmenbedingungen für Themen wie Selbstbestimmung, Leidensbewältigung und ärztliche Suizidhilfe.
Laut den SAMW-Richtlinien ist Suizidhilfe für gesunde Personen medizinisch und ethisch nicht vertretbar. Suizidhilfe wird nur für urteilsfähige Menschen als akzeptabel angesehen, wenn sie unter unerträglichen Symptomen einer Krankheit oder Funktionseinschränkungen leiden, deren Schwere durch eine medizinische Diagnose und Prognose belegt ist. Zudem müssen andere Behandlungsoptionen entweder gescheitert sein oder als unzumutbar abgelehnt werden.
Um sicherzustellen, dass der Wunsch nach Suizidhilfe wohlüberlegt und dauerhaft ist, fordern die Richtlinien, dass der behandelnde Arzt mindestens zwei ausführliche Gespräche im Abstand von mindestens zwei Wochen mit der betroffenen Person führt. In bestimmten Ausnahmefällen kann von dieser Regel jedoch abgewichen werden.
Und hier kommt wieder die Suizidkapsel Sarco ins Spiel. Diese Hightech-Tötungsmaschine funktioniert auch ohne Beizug eines Arztes. Es wird wohl auch das unausgesprochene Ziel der Promotoren sein, durch Druck auf die Öffentlichkeit, den Gesetzgeber und die Justiz genau das zu erreichen. Und eine breite Anwendung dieser Vergasungsmethode hätte womöglich zur Folge, dass sich genau eine solche Suizidkultur ausbreitet.
Bisher reagierten der Gesetzgeber (in der Person von Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider) und die Justiz heftig. Der fallführende Schaffhauser Staatsanwalt Peter Sticher rechnet sich wohl gute Chancen aus, des fehlenden Beizugs eines Arztes wegen die Helfershelfer des ersten Sarco-Suizides ins Recht zu fassen.
Bisher stehen die Chancen recht gut, dass die Schweiz nicht dem Beispiel der Niederlande oder Kanadas folgt.
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