Wer bezüglich Israel und Palästina immer noch auf eine Zweistaatenlösung hofft, den wird das Betrachten eines neuen Dokumentarfilms vermutlich enttäuschen. In «Holy Redemption: Stealing Palestinian Land» («Heilige Erlösung: Palästinensisches Land stehlen») des englischsprachigen türkischen Nachrichtensenders TRT World werden die israelischen Siedlungen im Westjordanland und die gewalttätigen Taktiken beleuchtet, die angewendet werden, um palästinensisches Land zu erobern. Das Filmteam verbrachte 22 Tage im besetzten Westjordanland.
Die Siedler beanspruchen Land, indem sie sich, einem göttlichen Auftrag folgend, auf Hügeln niederlassen und die sie umgebenden Palästinenser verdrängen. Der israelische Staat unterstützt sie dabei. Doch sollte sich das einmal ändern, werden sich die radikalen Siedler nicht lebend aus dem besetzten Gebiet entfernen lassen.
Im Fokus des Films stehen die sogenannten «Hilltop Youth» («Hügeljugend»), militante und provokative Jugendliche aus der israelischen Siedlerbewegung. Sie wollen sich, wie auch andere Siedler, über das palästinensische Westjordanland und den Gazastreifen hinaus ausbreiten. Ziel der radikalsten Siedler ist es, ein biblisches «Großisrael» zu schaffen, das vom Euphrat bis zum Nil reicht. Dafür zerstören die Hilltop Youth palästinensisches Eigentum und schrecken auch nicht vor Mord zurück.
Die Dokumentation geht zu Beginn auf einen Anschlag in der palästinensischen Ortschaft Duma im Westjordanland ein, in der junge Siedler ein Haus in Brand steckten. Die Eltern der darin lebenden Familie Dawabsheh wurden dabei zusammen mit ihrem 18 Monate alten Kind Ali getötet. Der andere Sohn, Ahmad, überlebte mit Verbrennungen an mehr als der Hälfte seines Körpers.
Das Haus der Familie Dawabsheh nach dem Brandanschlag der Hilltop Youth; Bild: Zakaria Sadah RHR, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Lediglich ein Siedler wurde für dieses Verbrechen verurteilt. Sein Anwalt, Itamar Ben-Gvir, war ein Anführer der Hilltop Youth und ist gegenwärtig Minister für nationale Sicherheit (wir berichteten über Gvir). Als die Angehörigen der getöteten Familie dem Prozess beiwohnen wollten, wurden sie von Gruppen von Siedlern außerhalb des Gerichtssaals mit folgendem Sprechchor begrüßt:
«Wo ist Ali? Ali ist nicht hier. Ali ist auf dem Grill.»
Im Film wird eine Hochzeitsfeier gezeigt, die Monate nach dem Angriff stattfand, auf der tanzende Siedler auf ein Foto des ermordeten Ali einstechen, während Ben-Gvir im Hintergrund lächelt.
Michael Sfard, ein israelischer Anwalt für Menschenrechte, beschreibt die Hilltop Youth so:
«Es handelt sich um eine Gruppe von rassistischen Faschisten, die bereit sind, alles zu tun, um die jüdische Vorherrschaft offiziell durchzusetzen. (…) Banden extremer Siedler überfallen völlig ungestraft palästinensische Gemeinden. Dies ist staatlich geförderte Gewalt. Diese Gewalt wird von Gruppen ausgeübt, die man als Milizen bezeichnen könnte, Milizen des israelischen Apparats.»
Selbst Ehud Olmert, ehemaliger Premierminister Israels, macht klar:
«Die Hilltop Youth der Siedler sind gefährlich, provokativ, feindselig und gewalttätig. Und sie müssen im Zaum gehalten werden.»
Zu Wort kommt auch Daniella Weiss, eine sehr extremistische Anführerin der Siedlerbewegung (wir berichteten hier, hier und hier über sie). Sie sei seit dem Sechstagekrieg von 1967 an der Errichtung von Siedlungen beteiligt, sagt sie im Interview.
Als sie am Nachmittag des ersten Kriegstages die Sirenen gehört habe und sie sich mit anderen in Schutzräume begeben sollte, habe sie verstanden, «dass es Gottes Wort war, das seinem Volk, und mir als Teil der Juden, sagte, dass wir nicht genug für die Erlösung des Landes Israel getan haben». Auf die Frage, was geschehen würde, sollten die Politiker beschließen, sie zum Gehen zu zwingen, antwortet Weiss unmissverständlich:
«Wir haben hier 250 neue jüdische Gemeinden gebaut. In diesen Gemeinden lebt eine halbe Million Juden, und es kommen ständig neue hinzu. Und in den östlichen Vierteln Jerusalems leben weitere 350.000 Juden. Wir nähern uns also der Ein-Millionen-Grenze, wir werden zwei Millionen sein. Es besteht keine Chance, einen palästinensischen Staat zu gründen.»
Der Anwalt Sfard stellt fest, dass der israelische Krieg gegen die Palästinenser neben demjenigen in Gaza eine zweite Front im Westjordanland hat. Dieser Krieg werde ebenso unerbittlich und gewalttätig geführt wie in Gaza. Er werde von der internationalen und nationalen Öffentlichkeit zwar nicht wahrgenommen, aber «was sich im Westjordanland abspielt, ist wirklich entsetzlich». Die Siedler würden dort sogar mit Uniform und Waffen der israelischen Armee (IDF) Gewalt ausüben. Im Film sieht man, wie diese Siedler selbst weinende Kinder wegschleppen.
Uniformierte Siedler schleppen palästinensische Kinder weg; Quelle: TRT World, «Holy Redemption: Stealing Palestinian Land»
Unterstützt werden die radikalen Siedler auch von Abgeordneten der Knesset, dem israelischen Parlament, die auch selbst Siedler oder sogar deren Führer sind. Ein Siedler ist auch Tzvi Sukkot, Mitglied der Partei «Der religiöse Zionismus» (HaTzionut HaDatit). Über die Gewalt der Siedler sagt er:
«Manche sehen das als etwas Schlechtes an. Ich sehe nichts Falsches daran. Das ist mein Standpunkt, und es ist auch der Standpunkt der Mehrheit der in Judäa und Samaria lebenden Juden.»
Nadav Weimen ist Mitglied der NGO Breaking the Silence (BtS). Deren Ziel ist es nach eigenen Angaben, «die israelische Öffentlichkeit mit der Realität des täglichen Lebens in den besetzten Gebieten zu konfrontieren». Er erklärt, Sukkot sei ein rechtsextremer Hilltop Youth gewesen. Er erachte es als «verrückt», dass er Parlamentsmitglied wurde. Hagit Ofran vom Settlement Watch Projekt der Organisation Peace Now findet es «beschämend». Sukkot sei radikal und gewalttätig und beteilige sich an der Einschüchterung von Palästinensern. Olmert meint:
«Dies ist ein natürliches Produkt der Allianz zwischen Bibi Netanjahu und den messianischen Gruppen.»
Sukkot lebt in Yitzhar im Westjordanland, laut TRT World «eine Bastion des messianischen Zionismus in seiner extremsten Form». In der Nähe gibt es palästinensische Dörfer, die aufgrund der dauernden Siedler-Angriffe von Yitzhar aus «so ruhig wie Geisterstädte» seien. Die IDF sei dort überall und schütze die Siedler. In der Doku wird ein Soldat gezeigt, der offenbar auf einen Palästinenser schiesst und nach dem Treffer jubelt und «du Hurensohn» sagt. Um was es geht, macht Daniella Weiss klar:
«Die Grenzen des jüdischen Staates sind die Grenzen, die Abraham von Gott versprochen wurden, vom Euphrat bis zum Nil.» Das umfasse Teile von «Syrien und von vielen, vielen Ländern. Wir haben unsere Bibel, das ist das einzige Dokument, das zählt. Wir wollen versuchen, es soweit wie möglich Hand in Hand mit den Ländern der Welt zu tun. Aber wenn die Länder zu streng mit uns sind, haben wir einige liberale Maßnahmen, nach denen wir leben».
Gleich unterhalb Yitzhar liegt die Ortschaft Huwara. Am 26. Februar 2023 wurden dort Medienberichten zufolge 35 Häuser und 90 Autos von rund 400 Siedlern in Brand gesteckt. Ein Palästinenser wurde dabei getötet. Ein hochrangiger israelischer Beamter habe zur Auslöschung des Dorfes aufgerufen, so der Medienbericht.
Huwara nach dem Angriff der Siedler, Februar 2023; Quelle: TRT World, «Holy Redemption: Stealing Palestinian Land».
Im Film wird auch auf die Strategie der Außenposten eingegangen, duch die Israel das Völkerrecht und sogar das nationale Recht umgeht. Im Gegensatz zu den Siedlungen sind Außenposten in Israel nämlich illegal. Durch kleine Siedlungen und Schikanen gegenüber Palästinensern werden damit neue Gebiete besetzt. Israel toleriert die Aussenposten oft und deren Armee schützt sie. Sie werden vom Staat mit Wasser und Strom versorgt. Nachträglich werden manche von ihnen legalisiert.
Die Dokumentation zeigt zudem israelische Siedler, die militärisch ausgebildet werden, um die Palästinenser in der Umgebung zu terrorisieren. Man sieht, wie Siedler nachts in das Dorf Surif gehen, um Palästinenser zu schikanieren und einzuschüchtern und sie zu zwingen, ihr Land zu verlassen. Als Meier Simcha, ein Hilltop Youth, gefragt wird, ob er bereit sei, für sein Anliegen zu töten, antwortet er:
«Blut und Land kommen zusammen. Wenn wir töten müssen, dann werden wir töten.» Die Bilder vom zerstörten Gaza würden ihn «glücklich» machen. «Der Gerechte wird sich freuen, wenn er die Vergeltung sieht. Er wird seine Füße im Blut der Gottlosen waschen.»
Sfard zufolge ist die Strafverfolgung von Siedlern rein «kosmetisch», ein «Theater». Die Regierung wolle damit sagen können, dass sie etwas gegen die Gewalt unternehme. Es sei aber nicht ihre Absicht, tatsächlich etwas dagegen zu tun. Deshalb würden die meisten Kunden des Siedler-Anwalts Nati Rom mit nicht einmal einem «Klaps auf die Finger» davonkommen. Sollte er gezwungen werden, das besetzte Gebiet zu verlassen, so würde Rom wie folgt reagieren:
«Ich werde mit allem kämpfen, was ich habe, um diese Entscheidung zu stoppen. Diese dumme Entscheidung wird mehr Blut bringen. Mehr Menschen werden wegen dieser dummen Entscheidungen getötet werden.»
Der Rabbi Mordechai Schmidt findet:
«Die Tora sagt in der Mitzwa, dass wir hier sein und diesen Ort aufbauen müssen. Ich denke, dass sie (die Palästinenser) nach Ägypten gehen sollten, (nach) Jordanien, Libanon, Iran, Sudan, Katar, in viele Länder. Warum sind sie in Israel geblieben?»
Daniella Weiss ergänzt, einige von ihnen seien aus Ägypten gekommen und könnten dorthin zurückkehren. Manche seien «Freunde von Erdogan». Einige könnten nach Großbritannien gehen, andere nach Nordamerika, Südamerika, Indonesien, «das größte islamische Land». «Aber nicht hier, das ist nicht möglich.»
Nadav Weimen von Breaking the Silence war ein «Spotter», also ein «Aufklärer» innerhalb der Einheit der Scharfschützen. Seine Aufgabe sei es gewesen, das Ziel auszumachen. Er bereut manches, das er in der IDF getan hat:
«Ich habe Dinge getan, die man als demokratischer Bürger meiner Meinung nach nicht tun sollte. Ich kann nicht wiedergutmachen, was ich getan habe. Aber ich kann versuchen, das zu ändern, was jetzt passiert.»
Eine besondere Siedlung mit militanten Juden befindet sich innerhalb der Stadt Hebron. 230.000 Palästinenser leben dort. Laut Weimen auch 650 Siedler. Die meisten davon würden zur religiös-zionistischen Kahane-Bewegung gehören. Diese basiert auf den Ansichten von Meir Kahane, dem Gründer der Jewish Defense League und der Kach-Partei. Im Grunde würden sie an die jüdische Vorherrschaft glauben, so Weimen.
Israelische Soldaten beschützen Siedler im palästinensischen Hebron; Quelle: TRT World, «Holy Redemption: Stealing Palestinian Land»
Die ehemalige IDF-Soldatin Tal Sagi hat in Hebron gedient. Sie habe nichts anderes gekannt als das Siedler-Narrativ, mit dem sie aufgewachsen sei, erklärt sie. Die Siedlung in Hebron werde durch Zäune und die IDF geschützt. Erst viele Jahre später habe sie erkannt, dass dies nicht normal sei und dass es eine palästinensische Stadt sei. Eine Straße sei für Palästinenser geschlossen. Sie dürften nicht einmal durch die Vordertür ihrer Häuser gehen und diese Straße betreten. Und das seit Jahren.
Das Team von TRT World begibt sich dann nach Masafer Yatta im südlichen Westjordanland, wo sich mehrere Siedlungen und nicht genehmigte Außenposten befinden. Weimen zufolge gibt es in dieser Region viel Siedler-Gewalt. Die Palästinenser würden dort eine Genehmigung der Zivilverwaltung benötigen, einer Abteilung der IDF, um Infrastrukturen zu bauen oder sogar neue Wassersysteme auszuheben.
Da es jedoch keine Baugenehmigungen gebe, würden viele palästinensische Bauten als illegal betrachtet und zerstört. Die Zivilverwaltung habe in dem Gebiet Wassersysteme und Toiletten zerstört und die Palästinenser gezwungen, mit nicht einmal dem Nötigsten zu leben. Man wolle die Bewohner dazu bringen, zu gehen.
Zanuta, ein ehemaliges palästinensisches Höhlendorf mit etwa 200 bis 300 Einwohnern, habe unter dauernden Siedlerangriffen und Abrissen durch die Zivilverwaltung gelitten. Obwohl die Gemeinschaft seit über einem Jahrhundert in dem Dorf lebte, sei sie vor anderthalb Monaten gezwungen worden, es zu verlassen, erklärt Weimen.
Dem Team wird dann von einer Einheit von Siedlern in Uniform, die als Agmar bekannt ist, nicht erlaubt, weiterzufilmen. Einer der Männer hat auf der Uniform ein Abzeichen, auf dem ein Davidstern neben einem Totenkopf zu sehen ist. Am nächsten Morgen habe eine zionistische, siedlerfreundliche Organisation das entsprechende Video in die sozialen Medien gestellt und Weimen als Verräter bezeichnet, so TRT World.
Abzeichen auf der Uniform der Siedler-Einheit Agmar; Quelle: TRT World, «Holy Redemption: Stealing Palestinian Land»
Am Schluss der Dokumentation berichtet die Filmcrew über eine geschlossene Konferenz, die von israelischen Siedlerorganisationen nahe der Grenze zum Gazastreifen abgehalten wurde. Ziel des Treffens sei es gewesen, die ersten jüdischen Familien auszuwählen, die sich trotz der anhaltenden Bombardierung und des Leids der Palästinenser in Gaza in eben diesem Küstenstreifen niederlassen sollen. Der türkische Sender war das einzige Medium, das eingeladen war. Anwesend war auch Danielle Weiss. Nach der Konferenz haben sich die ausgewählten Familien bei Dunkelheit auf eine Bootstour vor der Küste Gazas begeben, um die Bombardierung und ihre erhoffte künftige Heimat zu betrachten. Weiss verkündet:
«Das Ziel der Siedlungsbewegung ist es, so nah wie möglich an Gaza heranzukommen, um Gaza genau zu beobachten und zu verstehen, dass Gaza von nun an vollständig jüdisch sein wird!»
Und Son Har-Melech, Knesset-Abgeordnete der Partei «Jüdische Stärke» (Otzma Jehudit), ergänzt:
«So Gott will, wird das israelische Volk siegen! Wir werden die Siedlung Zion und die Siedlung des israelischen Volkes in Gaza errichten und erleben.»
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