Es sei wichtig, einen Völkermord als solchen zu bezeichnen, haben UN-Experten am Donnerstag auf einer Sitzung des UN-Ausschusses für die Ausübung der unveräußerlichen Rechte des palästinensischen Volkes erklärt. Laut eines entsprechenden Berichtes forderten sie alle Staaten auf, ihre Beziehungen zu Israel zu überprüfen und zu vermeiden, sich an diesem Verbrechen mitschuldig zu machen, das Israel am palästinensischen Volk in Gaza begehe.
Zu den Experten gehört Francesca Albanese, UN-Sonderberichterstatterin für die Lage der Menschenrechte in den seit 1967 besetzten palästinensischen Gebieten. Sie sprach dem Bericht zufolge während einer Informationsveranstaltung über die völkerrechtlichen Verantwortlichkeiten zur Verhinderung von Völkermord, zur Rechenschaftspflicht von Kriegsverbrechern und zur Beendigung der rechtswidrigen Besetzung Palästinas.
Albanese bezeichnete demnach sich selbst als «widerwillige Chronistin des Völkermords» und sagte, die internationale Gemeinschaft müsse anerkennen, dass es sich bei den Geschehnissen in Gaza um einen Völkermord handele. Zudem müsse «das größere Konzept hinter den heutigen Geschehnissen in Palästina» verstanden werden.
Die Palästinenser würden nicht nur gegenwärtig Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erleben – «sie haben diese ihr ganzes Leben lang erlebt», so die Sonderberichterstatterin. Aber die aktuelle Situation sei anders: Im Nebel des Krieges habe Israel die vor Jahrzehnten begonnene Zwangsumsiedlung der Palästinenser beschleunigt, aber «was heute geschieht, ist aufgrund der Technologie, der Waffen und der Straflosigkeit viel schwerwiegender».
Es sei an der Zeit, die Aussetzung der Mitgliedschaft Israels in Betracht zu ziehen, erklärte Albanese. Es handele sich zwar um ein sensibles Thema und niemand habe «wirklich reine Hände, wenn es um Menschenrechte geht». Aber kein anderes Land habe eine rechtswidrige Besetzung aufrechterhalten und jahrzehntelang gegen UN-Resolutionen verstoßen wie Israel.
In ihrem jüngsten Report bezeichnet die Sonderberichterstatterin den Völkermord im Gaza-Streifen als «koloniale Auslöschung». Während die flächendeckende Zerstörung des Gazastreifens unvermindert anhalte, würden auch andere Teile des Landes nicht verschont bleiben.
«Die Gewalt, die Israel seit dem 7. Oktober 2023 gegen die Palästinenser entfesselt hat, geschieht nicht im luftleeren Raum, sondern ist Teil einer langfristigen, vorsätzlichen, systematischen, staatlich organisierten Zwangsvertreibung und Verdrängung der Palästinenser. Dieser Kurs birgt die Gefahr, dass die Existenz des palästinensischen Volkes in Palästina irreparabel geschädigt wird. Die Mitgliedstaaten müssen jetzt eingreifen, um neue Gräueltaten zu verhindern, die die Menschheitsgeschichte weiter prägen werden.»
Auf der erwähnten Veranstaltung sagte dem Bericht zufolge Tlaleng Mofokeng, Ärztin aus Südafrika und UN-Sonderberichterstatterin für das Recht auf Gesundheit, dass die israelische Führung, wie angekündigt, Gaza zerstört habe: «Der Streifen ist jetzt eine Einöde aus Trümmern und menschlichen Überresten», in der Überlebende darum kämpfen, ihr Leben zu retten, und Leichen in den Ruinen von ehemaligen Kliniken und Krankenhäusern verwesen. Es seien etwa 560 israelische Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen gemeldet worden, die mit Strom-, Medikamenten- und Personalmangel zu kämpfen haben – nur 36 Krankenhäuser sind noch übrig und funktionieren nur teilweise.
Die Ärztin warf Israel und seinen Verbündeten vor, «wissentlich und absichtlich eine Hungersnot und Dehydrierung herbeigeführt zu haben», und warnte, dass diese Praktiken eine ganze Generation verkümmern lassen werden. Die Menschen im Gaza-Streifen bräuchten infolge der anhaltenden Gewalt dringend psychologische Unterstützung.
Sie berichtete von Verhaftungen und Inhaftierungen von Mitarbeitern des Gesundheitswesens im Dienst, von denen einige angeblich Folterspuren aufwiesen.
«Die durch diesen Völkermord verursachte Zerstörung der Gesundheitssysteme ist unvereinbar mit [...] dem Recht auf körperliche und geistige Gesundheit.»
An die Palästinenser gewandt sagte sie: «Ich schäme mich und es tut mir zutiefst leid, dass die multilaterale Welt Sie im Stich gelassen hat.»
Chris Sidoti, Kommissar der unabhängigen internationalen Untersuchungskommission für das besetzte palästinensische Gebiet, einschließlich Ost-Jerusalem, und Israel, sagte vor dem Ausschuss: «Ich bin einfach sprachlos.» Sogar «kaltherzige, hartgesottene Diplomaten» hätten ihm gesagt, wie überwältigt und traurig sie seien, habe er berichtet.
Der im Oktober 2022 veröffentlichte Bericht der Kommission sei zu dem Schluss gekommen, dass die israelische Besetzung palästinensischer Gebiete rechtswidrig sei. Der UN-Generalversammlung werde empfohlen, die Situation an den Internationalen Gerichtshof zu verweisen. Darauf habe die Generalversammlung reagiert, so Sidoti, der auf das im Juli 2024 veröffentlichte Gutachten des Gerichtshofs hinwies, wonach die Besetzung Israels rechtswidrig sei und sofort beendet werden müsse.
Die Kommission sammle weiter Informationen und stelle sie den internationalen Gremien zur Verfügung. Er bedauerte laut dem Tagungsbericht, dass weder diese Bemühungen noch die Resolutionen des Sicherheitsrates einen einzigen Toten in Gaza verhindern konnten.
Expertin Anisha Patel vom Verein «Law for Palestine» sagte demnach, dass Israels siedlerkolonialer, völkermörderischer Angriff auf das palästinensische Volk in Gaza nur die gewalttätigste Manifestation der 76 Jahre andauernden Nakba, der Vertreibung der Palästinenser ist.
«Wir sind nur allzu vertraut mit den eindringlichen Hilferufen palästinensischer Journalisten, die brutal angegriffen werden, während sie ihre eigene Zerstörung in Echtzeit übertragen.»
Patel wies laut dem Bericht darauf hin, dass die ersten elf Seiten der 649 Seiten umfassenden Liste der identifizierten Fälle, die im September vom Gesundheitsministerium in Gaza veröffentlicht wurde, die Namen palästinensischer Kinder enthielt, die noch nicht einmal ein Jahr alt waren. Die internationale Gemeinschaft verfüge über zahlreiche Dokumente, in denen dokumentiert sei, wie palästinensische Kinder «von 2000-Pfund-Bomben in Stücke gerissen wurden».
Die Rechtsexpertin erläuterte die rechtlichen Konsequenzen und Verantwortlichkeiten für Drittstaaten, die den Völkermord nicht verhindern und bestrafen. Sie verwiese darauf, dass der Internationale Gerichtshof bestätigt habe, dass auch Mitgliedstaaten für mitschuldig befunden werden können, wenn sie die Handlungen Israels unterstützen und begünstigen.
«Die grundlegendste Forderung» sei ein vollständiges Embargo für den Verkauf und die Weitergabe von Waffen, Munition und zugehöriger Ausrüstung an Israel. Diese Verpflichtung ergebe sich nicht nur aus dem Gutachten des Gerichtshofs, sondern auch aus der Völkermordkonvention.
Die Verpflichtung zur Nichtunterstützung betreffe auch Bereiche der wirtschaftlichen, diplomatischen, kulturellen und akademischen Beziehungen. Drittstaaten seien verpflichtet, alle Finanz-, Handels-, Investitions- und Wirtschaftsbeziehungen mit Israel einzustellen, die dessen rechtswidrige Besetzung und Apartheid unterstützen.
Diana Buttu, Mitglied des Vorstands der Unabhängigen Kommission für Menschenrechte Palästinas, erklärte laut dem Bericht, es werde mehr als 18 Jahre dauern, um die Trümmer in Gaza zu beseitigen. Während fast zehn Prozent der Bevölkerung des Gazastreifens getötet, verletzt oder vermisst werden, seien 80 Prozent zwangsevakuiert worden.
Buttu sprach dem Bericht zu Folge von einer «Achse des Völkermords», zu der Israel, die USA und einige europäische Staaten gehörten, die auf eine Fortsetzung des Völkermords drängen, ihn unterstützen oder finanzieren. Sie habe das Versäumnis der internationalen Gemeinschaft angeprangert, mit einer Stimme zu sprechen.
Israelische Soldaten würden Beweise für ihre Verbrechen auf die Internet-Plattformen hochladen, ohne für diese Verbrechen strafrechtlich verfolgt zu werden. «Stellen Sie sich vor, wie es ist, in einer Gesellschaft zu leben, in der dies als in Ordnung angesehen wird», fügte sie demnach hinzu.
Feda Abdelhady-Nasser, stellvertretende ständige Beobachterin des Staates Palästina bei den Vereinten Nationen, erklärte in der Veranstaltung, dass die Palästinenser in Gaza «kein dunkleres Kapitel» als das vergangene Jahr erlebt hätten, mit Zehntausenden von zivilen Toten, vollständig ausgelöschten Familien, Tausenden von Menschen, die unter Trümmern zu Tode zerquetscht wurden, und zwei Millionen gewaltsam Vertriebenen, die von den israelischen Besatzungstruppen gejagt wurden. Da sich der Norden des Gaza-Streifens zum Epizentrum des Angriffs entwickelt habe, seien die Zurückgebliebenen vom Hungertod bedroht und müssen sich zwischen ethnischer Säuberung und Unterwerfung unter die Kolonialherrschaft entscheiden.
Israel führe auch «einen offenen Krieg gegen die UNO», fügte sie hinzu und stellte dessen weitere UN-Mitgliedschaft in Frage. Trotz dieser Verbrechen werde Israel durch das Veto der USA im UN-Sicherheitsrat geschützt. Sie wies auch auf die Strafmaßnahmen gegen das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) hin, während sie gleichzeitig die weltweite Solidarität würdigte.
«Die Zeiten waren noch nie so düster, aber die Aussichten auf Gerechtigkeit waren noch nie so gut.»
Abdelhady-Nasser forderte laut dem Veranstaltungsbericht dazu auf, das palästinensische Volk nicht im Stich zu lassen, seine Widerstandsfähigkeit nicht als selbstverständlich hinzunehmen, «Völkermord nicht zu normalisieren und nicht abgestumpft zu werden».
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