Transition News: Auf der Website Ihres Verlags schreiben Sie über sich: «Von Berufs wegen bin ich besonders kritisch den Medien gegenüber eingestellt.» Wie kam das?
Martin Sell: Das hängt wohl mit meinem Werdegang zusammen. Ich habe Medientechnik studiert. Und bevor ich angefangen habe zu studieren, war ich mehr dem Journalismus zugeneigt als der Technik. Ich habe deshalb einen Studiengang gesucht, wo ich beides vereinen kann. So bin auf den Studiengang Medientechnik gestoßen, der damals in Mittweida bei Chemnitz angeboten wurde und der als einer der wenigen Studiengänge eben beides, die Technik und den Journalismus, in Blick genommen hat.
Eine der ersten Vorlesungen war zum Thema Public Relations. Wir haben ein Werbeplakat analysiert, auf dem eine fiese Zecke den Menschen anschaut, dem Betrachter wird vor einem Zeckenbiss Angst gemacht und die Zeckenimpfung als Lösung präsentiert. Schon damals hat uns der Dozent beigebracht, immer kritisch zu bleiben und aufzupassen als Journalisten nicht Handlanger der Industrie zu werden, all das, was wir jetzt in den «Corona»-Jahren erlebt haben.
Sie haben viele Jahre Dokumentarfilme gemacht und danach Websites gestaltet. Wie kam es zur Gründung des Massel-Verlags?
Zwanzig Jahre lang habe ich mich in den Medien zwischen Technik und Inhalt bewegt. Nach dem Abschluss des Diploms habe ich zehn Jahre Dokumentarfilm gemacht und dann zehn Jahre Internet, also Websites gestaltet und programmiert. Diese zwanzig Jahre stellten für mich eine gewisse Durststrecke dar, weil sie rein techniklastig waren, da ging es wirklich nur darum, die Inhalte technisch zu verbreiten. Dadurch entstand der Wunsch, wieder mehr inhaltlich zu arbeiten, und so habe ich 2019 meinen Verlag gegründet. Im Dezember 2019 kam das erste Buch raus: «Alice im Neuland», das ich unter Pseudonym selbst geschrieben habe.
Warum ausgerechnet ein Kinderbuch über das Internet?
Ich habe mittlerweile drei Söhne und konnte sehen, wie sie mit der Digitalisierung umgehen, wie sie das erleben, und wie in der Schule damit umgegangen wird. Ich war mit der Lehrerin damals in engem Kontakt: Den Kindern wird beigebracht, sie müssen alles anonym machen und dürfen nur auf ganz spezielle Webseiten gehen, die von irgendwelchen pädagogischen Einrichtungen freigegeben sind.
Den Eltern wird wahnsinnig viel Angst gemacht, dass ihre Kinder auf falschen Webseiten landen können. Die Kinder wiederum haben eine große Neugierde, aber wissen eigentlich gar nicht, wie das Ganze entstanden ist oder wie das zusammenhängt. So werden sie schnell von der Werbeindustrie und anderen Influencern eingefangen und sehr einseitig an das Internet gebunden.
Und das habe ich bei meinen Kindern erlebt, bei mir selber natürlich auch, was das an Zeit frisst und was man da alles serviert bekommt. Und so habe ich gedacht, es wäre eigentlich schön, daraus ein Kinderbuch zu machen und Hintergründe zu dem Ganzen zu geben. Das war die Ursprungsidee für «Alice im Neuland» – die Kinder zu kritischem Hinterfragen anzuregen.
Letztlich ist der Massel-Verlag ein aufklärerischer Verlag, der versucht, Themen auf eine andere Art und Weise darzustellen, zu beleuchten und dafür Aufmerksamkeit zu erregen. Gerne künstlerisch und gerne unkonventionell.
Warum konnten Sie Ihr erstes Buch nicht in einem bekannten Verlag veröffentlichen?
«Alice im Neuland» ist zwar auf den ersten Blick ein Kinderbuch mit einem Märchen, auf den zweiten aber auch ein Sachbuch, das technische und informative Sachen über das Internet erzählt. Dieser Buchzwitter macht aus verlegerischer Sicht eine übliche Vermarktung unmöglich. In welches Regal soll es einsortiert werden? In Schubladen denken, das wollte ich nicht.
Der Ursprungsgedanke, sich nur an Kinder zu richten, ist im Entstehungsprozess dieses Buches sehr schnell verschwommen. Letztlich ist es ein Buch für die ganze Familie, indem sich kleine Kinder über das Märchen freuen und Omas und Opas über den Sachteil. Was nicht ausschließlich gemeint ist – es dürfen sich auch Omas und Opas über das Märchen freuen und Kinder über den Sachteil. Die Bandbreite bei diesem Buch ist eindeutig von acht bis neunundneunzig Jahre, es ist kein reines Kinderbuch, dafür wäre es zu speziell.
Beim zweiten Buch, das in Ihrem Verlag erschienen ist, handelt es sich um ein echtes Mutmach-Buch «Ein Pferd rennt verkehrt» und es hat eine besondere Bedeutung für Sie. Könnten Sie das kurz erklären?
Auf dieses Buch bin ich schon während meines Zivildienstes gestoßen. Damals war ich achtzehn Jahre alt und habe bei einer Lehrerin Zivildienst geleistet. Sie hat mir zum Abschied dieses Büchlein mit ihren eigenen Gedichten geschenkt. Es hat auch all meine Kinder beim Großwerden begleitet. Als ich dann den Verlag hatte, hat mir Birgit Jaklitsch gestattet, ihr Buch herauszubringen. Die Idee ist sozusagen schon viel älter als der Verlag.
Es geht in dem Buch um ein Pferd, das gegen den Strom läuft, also einzigartig ist, und doch als Individuum mit anderen in Verbindung steht.
Der Mensch ist ein soziales Wesen. Es geht im Gemeinschaftsleben immer um die Fragen, bin ich richtig, bin ich konform genug, schwimme ich in die gleiche Richtung oder ist es manchmal richtig, so wie es das blaue Pferd eben macht, quer zu laufen.
«Ein Pferd rennt verkehrt» ist ein Kinderbuch in Reimform, in dem Gedichte darstellen, dass man nicht immer dasselbe machen muss, wie die anderen Pferde, sondern es auch gerne mal das Gegenteil sein kann.
Warum ist es wichtig, auch gegen die Richtung zu galoppieren?
In Gemeinschaften kommt es immer zu gruppendynamischen Prozessen, ab einer gewissen Größe gibt es die Fragen nach Regeln und nach Führungspersönlichkeiten, die diesen Haufen irgendwie zusammenhalten. Und da ist es eben wichtig zu sehen, dass es in jeder Gemeinschaft, ob das jetzt 50 Leute sind oder 100 oder 1000, gewisse Personen gibt, die andere Meinungen, andere Tätigkeiten, ein anderes Aussehen haben – und trotzdem dazugehören.
Die unterschiedlichen Perspektiven bringen die Gemeinschaft also weiter?
Genau, die Gemeinde, die Gruppe oder letztlich den Staat – aus diesen Reibungen, aus dem Streit entstehen Lösungen. Wenn Konflikte einfach unter den Teppich gekehrt werden, kann sich keine Gruppe weiterentwickeln. Und man kommt auch nicht zum Ziel, wenn man gewisse Dinge immer nur vertuscht, oder Leute, die gute Ideen haben, rausschmeißt. Spätestens seit «Corona» sehen viele, wie schnell Personengruppen oder auch Experten, deren Meinung wichtig ist, ausgestoßen und verächtlich gemacht werden.
Obwohl gerade aus diesem Konflikt oder dem sich Anschauen dessen, was beide Seiten wollen, dem Gesamten ein großer Mehrwert entstehen kann.
Weil Sie eben davon sprechen, sich beide Seiten anzuschauen, ist das auch die Idee, die hinter Ihrem Magazin Nachhall steckt?
Der Nachhall ist ja letztlich in dieser damaligen Zeit entstanden, als ich mich gefühlt habe wie ein blaues Pferd: Die Medien, die ich 2020 konsumiert habe, der öffentlich-rechtliche Rundfunk, die Zeit und die Süddeutsche, haben in der «Corona»-Zeit wirklich gleichförmig berichtet. Und das hat uns, Sie und viele weitere, dazu bewegt, alternative Medien zu lesen und sich untereinander zu vernetzen.
Und ich wollte wiederum diesem Digitalen etwas entgegensetzen. Dieser digitale Konsum tut nicht so gut, weil er doch sehr auf Schnelligkeit aus ist – also Fast News im Gegensatz zu Slow News. Es geht mir mit dem Nachhall darum, dass man sich wieder mehr Zeit nimmt, die Inhalte und die Argumente intensiver zu betrachten, auch mal ohne Bildschirm, wo die nächste Ablenkung so nahe ist.
Der Nachhall ist ein Pro-Bono-Projekt und will den Umgang mit Nachrichten wieder kultivieren. Ausgewählte Beiträge, aus der Vielzahl der alternativen Medien, werden auf Papier schön gestaltet, ausgedruckt. Er will so ein bisschen quer zu den eh schon queren alternativen Medien sein. Die Idee ist gemeinsam mit Bastian Barucker entstanden, ich bezeichne ihn gerne als Geburtshelfer. Von ihm stammt auch das erste echte Sachbuch, das in meinem Verlag erschienen ist.
Und über den Nachhall kam dann der Kontakt mit Walter van Rossum und Uli Gausmann zustande? Von beiden Autoren erschienen Werke in Ihrer Reihe «The Great Weset».
Genau, die beiden haben damals einen Verlag gesucht. Die zwei Bücher sollten zuerst in einem Band erscheinen, aber es war die richtige Entscheidung, die Themen Medien und Wirtschaft zu trennen.
Noch mal zurück zu den Kinderbüchern: Wie wählen Sie Kinderbuchprojekte aus?
Den Kinderbuchbereich halte ich nach wie vor für enorm wichtig – auch wenn er dem Verlag finanziell noch nichts einbringt –, um der Digitalisierung etwas entgegenzusetzen. Bücher sind wertvoll, gerade für Kinder: vorlesen, sich mit Büchern beschäftigen, Bilder anschauen. Das ist eine Schule der Wahrnehmung.
Abgesehen von dieser oberflächlichen Betrachtung, muss auch der Inhalt gut für die Seele sein. Ich lese ja viele Bücher meinen Kindern vor, und ganz oft frage ich mich, was ist das für ein Inhalt, der da vermittelt wird, also, was bleibt da bei den Kindern im Kopf hängen?
Dafür gibt es aber kein Rezept, sondern es muss mich irgendwie interessieren. Und dann suche ich nach einer tiefer liegenden Botschaft, nach einem wertvollen Inhalt, der die Gesellschaft und die Kinder und uns weiterbringen kann.
Mit den Kinderbüchern, die in Ihrem Verlag erscheinen, wollen Sie die Kinder und schließlich die Gemeinschaft stärken?
Mein Slogan lautet «Bücher wie Glück». Dieses Glück meint ja in dem Sinne auch Bestärken, Gesund- und Heil-Sein. Wenn wir uns das Bildungswesen ansehen: Da werden Kinder zugerichtet und zwar mit durchaus brutalen Methoden. Dem möchte ich mit den Kinderbüchern, die in meinem Verlag erscheinen, etwas entgegensetzen.
Ein gutes Beispiel dafür ist Michael Ende. Gerade gestern habe ich meinem Sohn aus «Jim Knopf» vorgelesen: In dem Kapitel rettet Jim Kinder aus der ganzen Welt, die in einer Schule gefangen gehalten werden, sie sind angekettet an steinerne Schulbänke und werden von einem Drachen unterrichtet.
Was erwartet ein kleiner Verlag von den Autoren? Reicht es, einfach nur ein Buch herauszubringen?
Es gehört sehr viel mehr dazu. Man muss sich als Autor klar werden, was man erreichen möchte. Wenn es jetzt nur darum geht, dass man sein gedrucktes Buch in Händen hält, dann kann man das auch durchaus machen und sich danach nicht mehr engagieren. Das funktioniert auch. Allerdings, wenn man das Buch auch einer breiten Leserschaft zugänglich machen will, muss man doch sehr viel mehr Aufwand treiben, als nur zu schreiben und das Buch drucken zu lassen.
Der Verleger Martin Sell setzt auf alternative Vertriebsformen. Foto: Massel-Verlag
Das heißt, das Bekanntmachen des Buches und des Autors ist wesentlich?
Ja. Allerdings scheinen viele auch bei mir, als Verlagsquereinsteiger, den Eindruck zu haben, dass der Verleger auf einem dicken Bankkonto sitzt, mit den Büchern unverschämt viel Geld verdient und man als Autor nichts tun müsste. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall: Ich schiebe wahnsinnig viel Geld und Zeit in diese Projekte rein, um diese Bücher drucken zu lassen und dann liegen sie erst mal in großen Mengen im Lager.
Um wirklich Geld zu verdienen, muss man diese gedruckten Bücher bekanntmachen. Und das ist der schwierige Teil. Und die «Corona»-Zeit hat es mir unmöglich gemacht, überhaupt Kontakte zu knüpfen, beispielsweise zu Buchhändlern.
Letztlich wird der konventionelle Vertrieb sehr stark von den großen Verlagen beherrscht, die es sich leisten können, Werbeflächen – vor allem Schaufenster und Ausstellungstische – in den Buchhandlungen zu kaufen. Und als Kleinverlag – und da spreche ich für alle Kleinverlage – ist es praktisch unmöglich, seine Bücher da zu platzieren.
Jetzt kommen wir zu den Autoren: Das bedeutet, dass letztlich die Autoren ihr Produkt auch selbst vermarkten und verkaufen müssen, die Kleinverlage können ihnen da kaum helfen. Vertrieb, neue Autoren betreuen, Buchgestaltung und Buchdruck lasten unsere Kapazitäten aus. Außerdem fehlen die finanziellen Mittel für Marketing.
Dazu kommt, dass immer mehr Buchhandlungen zu Ketten gehören. Diese wiederum fokussieren sich auf die Barsortimente, die großen Verlage und deren Auslieferungen. Jede Nacht kommt der Bücherwagen mit neuen Bestsellern, die mit den Großverlagen abgestimmt sind, und stellt sie dem Buchhandel hin. Unverkaufte Exemplare werde gleich wieder mitgenommen.
Einzelbestellungen und Bücher, die sich nicht sofort in großen Stückzahlen verkaufen, haben da keinen Platz. Für Nischenbücher interessieren sich ein paar Prozent vom Buchmarkt, und damit kann man dem Buchhandel kein Rundum-Sorglos-Paket anbieten. Dieses System macht es eben fast unmöglich, im Buchhandel als kleiner Verlag Sichtbarkeit zu bekommen.
Die Lösung wären also alternative Vertriebsformen. Wie sehen die aus?
Das eine ist, dass der Autor Veranstaltungen macht und dort verkauft. Das funktioniert sehr gut. Und das zweite ist, dass der Autor sich eine eigene Leserschaft aufbaut: eine Gruppe von Leuten, die seinen Newsletter, Telegram-Kanal und so weiter abonnieren. Und über diesen Weg kann man dann die Bücher direkt vertreiben. Das hat nicht nur den Vorteil, dass der Autor sein Profil schärft, sondern dass das neben dem Handel herläuft. Denn der Buchhandel nimmt oft 50 Prozent Rabatt. Das heißt, rund die Hälfte des Buchpreises landet beim Händler. Und das ist für den Autor und den Verlag eigentlich ein Verlustgeschäft. Es wird erst interessant, wenn der Verlag und der Autor direkt verkaufen.
Und insofern sehe ich die Zukunft für mich als Verlag und auch für die Autoren nur in der Direktvermarktung, sei es über das Internet oder ganz analog bei Veranstaltungen. Damit man die Bücher möglichst direkt an die Leser bringt, ohne diese beiden Zwischenhändler, also den Groß- und Einzelhändler. Da sind einfach zu viele Leute dazwischen, die zu viel Geld abgreifen. Sodass man als Kleinverlag eigentlich gar nicht mehr davon leben kann.
Für kleine Verlage, ob konventionell oder alternativ, ist es extrem schwierig. Welche Rolle spielt dabei die Buchpreisbindung?
Die Buchpreisbindung ist sozusagen Kapitalismus, der vom Staat gefördert und legitimiert wird. Da ich als Verleger keinerlei Anreize schaffen darf, damit potenzielle Kunden die Bücher bei mir direkt kaufen.
Das Buchpreisbindungsgesetz soll angeblich kleine Verlage und Autoren dadurch schützen, dass man Bücher nicht unter Preis verkaufen darf. Es führt aber letztlich dazu, dass die Großen – Thalia, Amazon und so weiter – das Buch zum selben Preis verkaufen. Und sie haben natürlich immer den Vorteil, dass sie am nächsten Tag liefern können, viel mehr Zahlungsarten und unkomplizierte Rücksendung anbieten. Sie machen es den Kunden extrem bequem. Und das ist ihr super Plus.
Und damit wäre eigentlich das Einzige, womit ich mich abheben könnte, dass ich sage, ich packe noch ein Geschenk dazu oder ein zweites Buch oder ich gebe einen Rabatt. Aber das darf ich nicht.
Wie können wir alternative Verlage unterstützen?
Das geht nur mit Direktbestellungen, wenn das denn diese kleinen Verlage überhaupt anbieten. Und natürlich indem jeder Botschafter für besondere Bücher wird.
Sagen Sie es weiter! Erklären Sie Ihrer Familie und Ihren Freunden, warum Amazon bequem ist, aber am Ende Arbeitsplätze und Steuern vor Ort wegfallen. Außerdem stirbt die Vielfalt.
Wie sieht es mit Zusammenschlüssen von Kleinverlagen aus?
Es gibt einige Bestrebungen in dieser Richtung. Ich habe einige Zeit an einem Projekt «Solidarische Verlagsgenossenschaft» mitgearbeitet und große Hoffnungen daran geknüpft. Leider ist mittlerweile das Misstrauen in der Gesellschaft so groß, dass ein vermeintlich falsches Wort oder eine unbedachte Farbkombination auf dem Cover eines Buches, den ganzen Verlag in Verruf bringen kann. Mir allein wäre das herzlich egal, aber damit könnte gegebenenfalls die ganze Genossenschaft diskreditiert werden. Die Angst vor Kontaktschuld ist allgegenwärtig. Aber ich werde sicherlich versuchen, mich in das eine oder andere Projekt noch mal einzubringen.
Welche Werke sind denn im Massel-Verlag neu erschienen?
Also aktuell erschienen ist «Kunst und Kultur gegen den Strom» von Eugen Zentner. Das ist aus mehreren Gründen mein derzeitiges Lieblingsbuch: Erstens ist mein Lieblingsbild vorne drauf. Und es ist ein wahnsinnig schön gedrucktes Buch mit toller Haptik und allem. Dazu kommt, dass es das vermutlich letzte Sachbuch seiner Art in meinem Verlag ist – auch deswegen hat es einen besonderen Stellenwert. Es handelt sich um ein wirklich hochwertig produziertes Buch mit großer Auflage – mit hoher Qualität hier in Bayern gedruckt. Das ist wirklich etwas Besonderes. Natürlich ist das Buch auch großartig geschrieben und die darin beschriebenen Künstler und Initiativen liegen mir sehr am Herzen.
Allerdings geht damit eine Epoche zu Ende. Diesen Offsetdruck in dieser Qualität wird es beim Massel-Verlag nicht mehr geben und in Zukunft wahrscheinlich bei keinem kleinen Verlag mehr. Ich habe mich jetzt mit einer Druckerei zusammengetan, die mir ermöglicht, Kleinauflagen zu drucken. Die zweite Neuerscheinung, «Superfaschismus» von Lisa Marie Binder, bestelle ich nach Bedarf. Das ist dann Digitaldruck aus Polen.
Natürlich sind diese Bücher von der Druckart kein Vergleich zu dem, wie noch das Werk von Eugen Zentner produziert ist. Und das tut mir aus technischer, gestalterischer und Liebhabersicht wahnsinnig weh, dass dieser Markt für hohe Auflagen und wirklich liebevoll gedruckte Bücher derzeit vorbei ist. Aber aus wirtschaftlicher Sicht geht an dieser Entwicklung, also Print-on-Demand, letztlich kein Weg vorbei.
Gilt dasselbe für den Kinderbuchbereich?
Nein, für Kinder darf es nur das Beste sein. Die Bücher sollen im Idealfall Generation überdauern und später von den Kindern als Großeltern wiederum ihren Enkeln vorgelesen werden. Hier bleibt der Offsetdruck, edle Papiere und Cradle-to-Cradle als Standard.
Aber nicht nur der Buchdruck, sondern die ganze Art und Weise, wie so ein Buch entsteht, ist einmalig. Ich lege großen Wert drauf, dass man das Herzblut des Illustrators spürt und merkt, dass es sich nicht um computergenerierte Bilder oder Stockfotos handelt, sondern dass da jemand authentisch und künstlerisch gearbeitet hat.
Und das Zusammenspiel zwischen Autor und Illustrator muss stimmen. «Timpetaa» ist das erste Buch, wo sozusagen wirklich der Massel-Verlag, der Autor und die Illustratorin von Anfang an in einem guten Gemeinschaftsspiel waren und dieses Buch, wie ich finde, sehr schön zu Ende gebracht haben. «Timpetaa – ein Pinguin am Nordpol» von Matthias A. Weiss und der Illustratorin Isabelle Krötsch ist eine Coming-of-Age-Geschichte eines kleinen Pinguinkükens, das vom Südpol aufbricht und am Nordpol landet und bei Eisbären groß wird.
Und da konnte ich mich jetzt eigentlich zum ersten Mal in diesen kreativen Entstehungsprozess mit einbringen. Isabelle Krötsch schrieb von 2018 bis 2022 für Rubikon in der Mutredaktion, dann für das Printmagazin von WissenschafftPlus und inzwischen schreibt sie für Nexus. Es ist das erste Kinderbuch in meinem Verlag von wirklich alternativen Autoren und Illustratoren.
Ein ganz spezielles Buch – ein ganz heißes Eisen – möchte ich noch erwähnen und zwar von Linus Förster «Gefangen in einer Welt voller Widersinn». Der Autor schreibt über seine Zeit im Gefängnis, über die Schicksale einiger Mithäftlinge und die Haftbedingungen.
Einige der bisher erschienenen Bücher, auch das Kinderbuch «Mio und die Funkelsteine», haben ja damit zu tun, wie man wieder zurück in die Gemeinschaft kommt. Auch Linus Förster möchte eigentlich wahnsinnig gerne etwas wiedergutmachen, darf beziehungsweise kann das aber nicht. Dafür sieht unser Rechtssystem auch nichts vor. Und da gibt es aus meiner Sicht ein Problem oder einen Mangel, wie wir als Gesellschaft mit so etwas umgehen. Deshalb finde ich dieses Beispiel bei Mio sehr schön. Bei «Mio und die Funkelsteine» geht es ja auch darum, dass einer zum Dieb wird. Eine Seele wird dunkel, sein Funkelstein leuchtet nicht mehr, er fällt aus der Gemeinschaft heraus. Und die wunderschöne Conclusio des Buches ist, dass die Wichtel mit dem Dieb ein großes Fest feiern.
Das Interview führte Sophia-Maria Antonulas.
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