Die Toten des israelischen Vernichtungskrieges gegen die Palästinenser seit dem 7. Oktober 2023 werden ungleich behandelt. Die getöteten Palästinenser sind in der israelischen und westlichen Öffentlichkeit nur Zahlen, während tote israelische Geiseln – obwohl durch die eigene Armee getötet – Gesichter und Namen bekommen. Darauf macht der US-amerikanische Journalist Jamal Kanj im Online-Magazin Counterpunch in einem am Freitag veröffentlichten Beitrag aufmerksam.
Er verweist darauf, dass am 1. September 2024 in Folge eines israelischen Angriffs auf eine «sichere Unterkunft» in einer Schule im Osten von Gaza-Stadt nicht nur mindestens elf Palästinenser starben. Zur gleichen Zeit habe die israelische Armee nach einem Angriff auf einen Tunnel in Rafah die Leichen von sechs israelischen Gefangenen der Hamas geborgen.
Beide Opfergruppen hätten eine Gemeinsamkeit, so der Autor:
«Ihr Tod wurde von demselben Mörder verursacht. Ein Bombenanschlag ohne Diskriminierung ist ein Mord ohne Unterschied.»
Israels Premierminister Benjamin Netanjahu sei vor dem Versuch, die Geiseln gewaltsam zu befreien, gewarnt worden. Er habe sich aber entschlossen, die israelischen Geiseln notfalls zu opfern, weil sie seinen «Kriegszielen» im Völkermordkrieg in Gaza im Wege seien.
Der Autor betont, dass der israelische Widerstand daran interessiert sei, die Geiseln am Leben zu lassen, um sie gegen Palästinenser in israelischen Gefängnissen austauschen zu können. Zugleich habe die Netanjahu-Regierung ein Interesse daran, den Wert der Geiseln zu verringern, auch durch ihren in Kauf genommenen Tod.
Die israelische Öffentlichkeit stütze trotz aller Proteste Netanjahus Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser, so Kanj. Laut einer Umfrage von Pew Research im März und April würden 67 Prozent der Israelis Netanjahus «Kriegsziele» unterstützen.
86 Prozent der Befragten seien der Meinung, dass die Bewohner des Gaza-Streifens keine Selbstverwaltung haben sollten, nicht einmal die Palästinensische Autonomiebehörde. Weniger als die Hälfte der Israelis befürworteten demnach einen Gefangenenaustausch, und 60 Prozent sprachen sich gegen eine Unterbrechung des Krieges für einen solchen Austausch aus.
Der Autor weist darauf hin, dass Umfragen zufolge im Dezember 2023 die Unterstützung für Netanjahus Kriegsziele sogar noch höher lag: nämlich zwischen 76 und 84 Prozent. Die Unterstützung für den Krieg unter israelischen Juden spiegele diejenige der jüdischen Amerikaner wieder, wonach in den USA 62 Prozent der US-amerikanischen Juden die israelische Kriegsführung billigen – gegenüber 38 Prozent der US-amerikanischen Bevölkerung insgesamt.
Die Ursache dafür sei in der tiefsitzenden israelisch-jüdischen Dehumanisierung der Palästinenser zu finden. Diese Bigotterie sei in der politischen zionistischen Kultur entstanden, in der sich die meisten Juden in der religiösen und kulturellen Pluralität Israels als gleichberechtigter betrachten als Nicht-Juden. Diese vorherrschende Haltung unter israelischen Juden ist weder eine Anomalie noch ein neues Phänomen.
Der Autor verweist auf eine Umfrage von 2016, wonach eine unbestrittene Mehrheit der jüdischen Israelis (79 Prozent) der Meinung waren, dass Juden gegenüber Nicht-Juden ein Recht auf «Vorzugsbehandlung» haben. Auf die Frage, ob Palästinenser aus ihren Häusern deportiert werden sollten, stimmte die Mehrheit der Israelis zu.
«Es ist diese Mentalität der israelischen Öffentlichkeit, die Netanjahu und seine rassistischen Minister dazu veranlasst hat, die Chance zu ergreifen, die israelischen Gefangenen gewaltsam zu befreien, da sie damit rechneten, dass ein Erfolg von derselben Öffentlichkeit, die heute protestiert, erhebliche politische Vorteile bringen würde. Im Falle eines Scheiterns würde die Rückholung der Leichen den Wert der Gegenleistung für den palästinensischen Widerstand verringern. Mit anderen Worten: Die Netanjahu-Koalition zieht es vor, mit toten Israelis Opfer zu spielen, anstatt palästinensische Geiseln aus israelischen Gefängnissen freizulassen.»
Laut dem Autor werden gegenwärtig etwa 97 Israelis durch palästinensische Gruppen im Gazastreifen festgehalten. Es seien 33 tote Geiseln bestätigt worden, «von denen die meisten durch wahllose israelische Bombardierungen verursacht wurden». Außerdem habe Netanjahu in den letzten elf Monaten die Leichen von 37 toten Siedlern «erfolgreich» geborgen.
Trotz dieser Misserfolge habe Netanjahu die antipalästinensische israelisch-jüdische Bigotterie genutzt, um unter Israelis und US-amerikanischen Juden eine starke Unterstützung für den Völkermordkrieg in Gaza zu erhalten. Allerdings würde dieselbe Öffentlichkeit, die Netanjahus «Kriegsziele» unterstützt hatte, protestieren und ihm vorwerfen, er wolle seine Regierungskoalition auf Kosten der israelischen Gefangenen retten.
Der Autor macht außerdem auf die widersprüchlichen Aussagen der US-Administration unter Präsident Joseph Biden aufmerksam. Selbst dieser habe Netanjahu vorgeworfen, nicht genug für eine Einigung mit der Hamas zu tun.
Doch das stehe im Widerspruch zu Aussagen von US- Regierungsvertretern wie Außenminister Anthony Blinken, Netanjahu habe angeblich einer Friedenslösung zugestimmt. Dabei habe der israelische Premier mit zusätzlichen Forderungen einen Plan für einen Waffenstillstand, dem die Palästinenser bereits zugestimmt hatten, scheitern lassen.
«Die Beschwichtigungspolitik des Westens gegenüber Israel, die auf dem Irrglauben beruht, dass sie dadurch Einfluss auf die israelische Führung nehmen kann, hat ihre Wurzeln in einer korrupten Philosophie, die von den israelischen Unterstützern, den Sayanim, vertreten wird. Die israelischen Unterstützer im Westen nutzen ihre Position, um das israelisch-jüdische Leben zu heiligen, während sie das palästinensische Leben dämonisieren.»
In den Medien würden diese Kräfte die israelischen Gräueltaten gegen die Palästinenser entschuldigen. Als «Regierungsbeamte beschönigen sie die israelische Bösartigkeit, indem sie die Berichte von Regierungsexperten fälschen und so Israel helfen, sich der Rechenschaftspflicht zu entziehen und einer weltweiten Kontrolle zu entgehen».
Biden sei von Sayanim umgeben und habe sich während seiner gesamten politischen Karriere von diesen israelischen Unterstützern verführen lassen. Dies sei einer der vielen Gründe, warum die «geheiligten» sechs israelischen Juden mehr zählen als das Leben der 41.000 «entmenschten» Palästinenser.
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