Jerusalem ist ein Fest und ein Wehklagen.
Sein Lied ist ein Seufzer durch die Jahrhunderte,
ein zarter, robuster, trauernder Psalm
an der großen Kreuzung der geistigen Kulturen.
David K. Shipler

Liebe Leserinnen und Leser

Während wir uns «Sitzhasen»-Schokolade vom Mund leckten, floss im Gelobten Land auch diese Ostern Blut. Und nicht nur dort: Um die 60 bewaffnete Konflikte, in die Staaten involviert sind, gibt es derzeit auf unserer eigentlich doch geliebten Erde. Einige davon sprach der ausgerechnet heute verstorbene Papst Franziskus in seiner Osterbotschaft an. Die Lage im Gazastreifen, in dem auch Christen leben, bezeichnete er als «unwürdige humanitäre Situation». Seit Karfreitag haben die israelischen Streitkräfte dort Berichten zufolge gegen 200 Palästinenser getötet.

Zweimal war ich an Ostern in Jerusalem, und zwar zu Beginn der 1990er Jahre, als ich dort eine Weile gelebt habe, zum Teil sogar in der Altstadt. Aufgrund der ersten Intifada kamen weniger Gläubige und Touristen als sonst, viele waren es dennoch. Faszinierend die Prozessionen und Feierlichkeiten, aber für mich auch befremdend und beängstigend der religiöse Eifer. Jerusalem nimmt einen sowieso in den Bann. Schließlich ist es die wichtigste religiöse Stätte für Christen und Juden und die drittwichtigste für Muslime. In der Altstadt kreuzten sie sich alle, meist friedlich, wenn auch nicht immer.

Als ich dort war, erzählte mir jemand von Menschen, die vom Jerusalem-Syndrom befallen sein sollen: Eine «akute und vorübergehende psychotische Störung», die durch den Besuch der Heiligen Stadt ausgelöst werden soll. Die Betroffenen identifizieren sich zum Beispiel mit einer biblischen Person. Sogar eine Simpsons-Folge befasste sich später damit. Homer, mit seiner Familie in Jerusalem, sieht sich darin als Messias. Ich selbst habe keine Befallenen getroffen, einige Durchgeknallte aber allemal.

Angesichts des Leidens im Gazastreifen stellt sich die Frage: Was würde Jesus tun? Und: Wenn er dagegen protestieren würde, wie würde mit ihm umgegangen? Würde der Jude in manchen Ländern als «Antisemit» ans mediale Kreuz genagelt werden?

Die in den USA geborene unabhängige Filmemacherin, Drehbuchautorin und Essayistin Nora Hoppe vermisst jedenfalls den internationalen Widerstand gegen den Völkermord in der palästinensischen Enklave – mit Ausnahme der in einigen Ländern als Terrororganisation bezeichneten Ansar Allah, auch Huthis genannt, im Jemen. Hoppe sieht diese mangelnde Empörung als Ausdruck eines globalen Werteverfalls und hofft auf eine neue menschliche Ethik.

Auf der Suche nach mehr Menschlichkeit und einer echten Gemeinschaft in einer konsumistischen Welt ist auch die Australierin Jo Nemeth. Seit 2016 lebt sie wie Jesus ohne Geld und ohne Besitz. Sie verzichtet auf Spenden oder staatliche Hilfen. In einem kleinen Kollektiv hilft sie unter anderem, Gemüse anzubauen und sich um ihre Mitmenschen zu kümmern. Sie sagt:

«Ich fühle mich heute sicherer als damals, als ich noch arbeitete. Echte Sicherheit kommt nicht von Geld – sie entsteht durch Gemeinschaft.»

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein friedliches Ausklingen der Osterfeiertage.

Herzlich
Konstantin Demeter
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