Die Zensur ist eine wichtige Ergänzung des Völkermords.
Somdeep Sen, Al Jazeera
Liebe Leserinnen und Leser
Für die einen sind palästinensische Militante Freiheitskämpfer, für die anderen sind sie Terroristen. Israelis nehmen mehrheitlich letzteren Standpunkt ein. Nicht so der Verleger der israelischen Zeitung Haaretz. Im vergangenen Monat sprach Amos Schocken in einer Rede in London von «palästinensischen Freiheitskämpfern, die Israel Terroristen nennt». Nicht nur das. Er bezeichnete die Regierung von Benjamin Netanyahu sogar als «grausames Apartheid-Regime gegen die palästinensische Bevölkerung». Mit Bezug auf einen Begriff, der die Vertreibung der Palästinenser während des israelischen Unabhängigkeitskrieges 1948 beschreibt, erklärte Schocken:
«Was sich in den besetzten Gebieten und Teilen des Gazastreifens abspielt, ist in gewisser Weise eine zweite Nakba.»
Transition News nutzt Haaretz regelmäßig als Quelle, da es eine der seltenen israelischen Publikationen ist, die sich kritisch mit dem Vorgehen der Regierung und der radikaler Zionisten gegenüber den Palästinensern auseinandersetzen (zum Beispiel hier, hier und hier). Dazu gehört auch der Krieg im Gazastreifen. Diese kritische Berichterstattung goutieren Israels rechte Machthaber nicht. Nun hat Schockens Rede offenbar zum Beschluss der Regierung geführt, Haaretz zu «boykottieren».
Der Zeitung zufolge stand die am Sonntag verabschiedete Resolution nicht auf der vor der wöchentlichen Kabinettssitzung veröffentlichten Tagesordnung der Regierung. Der Ministerpräsident Benjamin Netanjahu habe sie genehmigt, ohne sie der üblichen juristischen Prüfung zu unterziehen. Zu diesem Entscheid führten laut der Regierung neben Schockens Äußerungen «viele Leitartikel, die die Legitimität des Staates Israel und sein Recht auf Selbstverteidigung verletzt haben».
Haaretz ist lediglich das jüngste Opfer von Israels Bestrebungen, unangenehme Informationen zu unterbinden. Das Kabinett hatte bereits im Mai dieses Jahres einstimmig beschlossen, den Sender Al Jazeera im Land zu schließen und seine Sendungen zu verbieten. Und gemäß Reporter ohne Grenzen (RSF) haben die israelischen Streitkräfte (IDF) im Gazastreifen seit Beginn des Krieges die Medieninfrastruktur systematisch zerstört und den Journalismus unterdrückt:
«Gezielt angegriffene und getötete Journalisten, zerstörte Redaktionen, abgeschnittenes Internet und Strom, blockierte ausländische Presse.»
In einem Jahr sind demnach mehr als 130 palästinensische Journalisten von den IDF in Gaza getötet worden, mindestens 32 von ihnen gezielt. Die israelischen Behörden würden unterdessen ausländischen Journalisten weiterhin den Zugang zum Gazastreifen versperren. Die wenigen Reporter, die den Gazastreifen von außen betreten durften, hätten dies nur unter strenger Überwachung durch die IDF tun können. Und seit Ende des letzten Jahres schränkt die israelische Militärzensur acht Themen ein, darunter Sitzungen des Sicherheitskabinetts, Informationen über Geiseln und Berichte über Waffen, die von Kämpfern im Gazastreifen erbeutet wurden.
Ausgerechnet die Israelis scheinen von dieser Kontrolle der Informationen am stärksten betroffen zu sein. So erklärte der erfahrene Haaretz-Reporter Gideon Levy in einer ZDF-Dokumentation:
«Im Schnitt wissen die Deutschen viel mehr über Gaza als wir Israelis.»
Wir von Transition News sind weiterhin bestrebt, die deutschsprachigen Leser über die Geschehnisse in der palästinensischen Enklave, im Westjordanland und im Libanon zu informieren. Da wir allerdings keine Reporter vor Ort haben, sind wir auf die Berichterstattung anderer Medienschaffender angewiesen. Aus Israel selbst berichtete hingegen unser Redakteur Torsten Engelbrecht in seiner Serie «Sieben Tage Israel» (restliche Links nach dem Beitrag).
Herzlich
Konstantin Demeter