Wenn man auf dem Flughafen von Tel Aviv in Richtung Passkontrolle läuft, geht man an einer ganzen Reihe von Plakaten entlang, auf denen Israelis zu sehen sind, die noch von der Hamas als Geiseln gefangenen gehalten werden; dass es noch so viele Geiseln gibt, beschäftigt viele Israelis sehr. Foto: Torsten Engelbrecht
«Nach Tel Aviv? Im Ernst? In der jetzigen Situation, sehr mutig!» Das textete mir ein Freund, nachdem ich ihm erzählt hatte, dass ich für eine Woche nach Tel Aviv fahren möchte, um mir mal ein Bild von der Stimmung im Land zu machen. Ein anderer meinte: «Lass es lieber sein. Es lohnt sich nicht, das Risiko einzugehen.»
Ich habe es dennoch getan. Warum? Nun, mutiger als viele andere Menschen bin ich nach meiner Einschätzung nicht unbedingt. Und die Schlagzeilen von heute, die Armee Israels habe den Hamas-Führer umgebracht und die Antwort der Hamas sei, dass dies «nicht unbeantwortet bleiben» werde, oder auch, dass Israel einen schweren Luftschlag gegen Libanons Hauptstadt Beirut ausgeführt habe und damit der Hisbollah einen Denkzettel verpassen wolle, machen die Situation hier vor Ort nicht gerade sicherer.
Doch die israelische Politik musste sich auch von Transition News zum Teil scharfe Kritik gefallen lassen. Zuletzt etwa schrieben wir, Kritiker der Siedlungspolitik, die einen neuralgischen Punkt in dem lange währenden Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern darstellt, würden diese inzwischen mit dem Begriff «de iure Apartheid» belegen – und selbst Israelis würden radikale Siedler, die immer mehr Einfluss hätten in der Regierung, als «Kriminelle» bezeichnen.
Mesut Özil, ehemaliger deutscher Fußballnationalspieler und Weltmeister von 2014, wünscht sich jetzt offenkundig gar das Ende von Israel.
Da dachte ich mir: Warum nicht nach dem «Gesetz vom Gegenteil» agieren, also genau dann etwas machen, wenn alle Welt meint, es sei schlecht? Zumal es ja nur fair wäre, sich nach Israel zu begeben und dort mal die Stimmung unter der Bevölkerung einzufangen.
Und so habe ich mich am gestrigen Dienstag in den Flieger gesetzt und bin mit Zwischenstopp in Brüssel am späten Nachmittag in Tel Aviv gelandet.
Schon die Anreise hatte allerdings ihre Merkwürdigkeit. Zunächst lief alles nach Plan. Der Flieger hob pünktlich von Hamburg aus ab und kam ebenso pünktlich in Brüssel an. Und auch die Passkontrolle in Brüssel verlief reibungslos und ohne Zeitverzögerung. Dabei war mir vor meiner Abreise von verschiedener Seite berichtet worden, ich müsse damit rechnen, in Brüssel einem eingehenden Check unterzogen zu werden. Doch nichts da.
Doch obwohl sich die Passagiere meines Fluges nach Tel Aviv, von denen ich gefühlt der einzige nicht aus Israel stammende war, bereits im Gang des Flugzeuges befanden, ging es plötzlich nicht mehr weiter. Fast eineinhalb Stunden mussten wir verharren, bevor wir letztlich in den Airbus von Brussels Airlines einsteigen konnten.
Der Grund, den mir eine Flugbegleiterin später im Flieger verriet: Ein einziger Fluggast kam besagte fast eineinhalb Stunden zu spät. Das hat mich dann doch sehr verwundert, denn ich kenne es eigentlich nur so, dass man als Fliegender pünktlich sein muss – und wenn man nicht rechtzeitig vor Abflug da ist, hebt der Flieger halt ohne einen ab.
So wird allerorten und auch von Medien mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass man rechtzeitig am Flughafen sein möge, um seinen Flieger nicht zu verpassen. Auch ist die Frage, ob man Ansprüche auf Schadenersatz hat, wenn man seinen Flug verpasst hat, weil man nicht schnell genug durch die Sicherheitskontrollen gekommen ist, ein unter juristischen Aspekten diskutiertes Thema.
Doch hier war es eben anders. Dabei hat es sich bei der einen Person, die zu spät war, um einen orthodoxen Juden gehandelt. Das weiß ich deswegen, weil ich während der Wartezeit plötzlich dringend auf Toilette musste. Und kaum hatte ich den Sicherheits-Check am Gate verlassen, kam mir eine orthodox gekleidete Person angerannt.
Mein spontaner Gedanke: Irgendwie muss das, was ich immer wieder höre, nämlich dass sich die Israelis als eine Art große Familie betrachten, auch hier gewirkt haben. Anders konnte ich es mir nicht erklären, dass ein Flugzeug eineinhalb Stunden nicht abhebt, nur weil ein Fluggast noch nicht anwesend ist.
Von diesem Phänomen berichtete mir auch der äußerst freundliche und gesprächige Taxifahrer Yosi, der mich vom Flughafen zu meiner Unterkunft in Tel Aviv fuhr:
«Das mag ich an Israel besonders. Egal, wo ich in diesem Land hingehe, kann ich mit jedem sehr nette Gespräche führen. Es fühlt sich immer so an, als wären wir eine große Familie, deren Mitglieder füreinander da sind und die zusammenhält.»
Der 48-jährige untersetzte Yosi wurde in Istanbul geboren, lebt aber seit 23 Jahren in Tel Aviv. Auf meine Frage, wie er sich momentan fühlt in Israel und was ihn am meisten beschäftigt, sagt er ohne Zögern:
«Mit das Schrecklichste ist, dass noch so viele meiner jüdischen Mitmenschen von der Hamas als Geiseln gefangen gehalten werden. Dabei weiß man gar nicht, wer von ihnen überhaupt noch am Leben ist.»
Da musste ich an die vielen in einer Reihe aufgestellten Plakate denken, auf denen die Fotos von den Gesichtern der Geiseln abgebildet sind und an denen ich am Flughafen Tel Aviv auf dem Weg zur Passkontrolle vorbeigelaufen bin (siehe Bild oben).
Ansonsten versuchte er, mir klar zu machen, dass es, was das tägliche Leben in Israel angeht, im Grund keine Sicherheitsprobleme gebe. Da müsste ich mir keinerlei Sorgen machen. Die Israelis, auch wenn sie natürlich wie alle anderen Menschen ihre Sorgen hätten und ihnen auch der Konflikt vor allem mit der Hamas alles andere als behage, gingen hier wie gewohnt an die Strände und machten weiterhin ihre Partys, wenn es auch derzeit deutlich, deutlich weniger Touristen habe.
«Das macht uns Israelis aus», so Yodi, «dass wir Spaß im Leben haben wollen, so weit dies möglich ist.» Im Gegensatz dazu würden bereits die Kinder der Palästinenser darauf getrimmt zu kämpfen. Das sei tragisch und müsse sich unbedingt ändern, hänge aber auch mit der Religion zusammen, die bei denen tendenziell darauf ausgerichtet sei, im Jenseits ein schönes Leben zu haben, während die Juden ihren Fokus auf das Diesseits richten würden.
Daraufhin fragte ich ihn, ob er nicht auch der Meinung sei, dass – so schrecklich und verurteilungswürdig der Terror der Hamas sei – die Reaktion der Regierung Israels überzogen sei. Immerhin würden sogar palästinensische Kinder gezielt getötet. Und nicht nur das. Nach Auffassung von Mark Perlmutter, Vizepräsident des International College of Surgeons, handelt es sich bei den von Israelis getöteten palästinensischen Zivilisten hauptsächlich um Kinder (Transition News berichtete).
Doch das wollte, so mein Eindruck, Yosi nicht wirklich an sich heranlassen. Das, was ich da beschrieben hätte, sei schlimm, doch da würden auch viele Lügen verbreitet. Fakt sei hingegen, dass Israel die Menschen in Gaza auf verschiedenen Ebenen seit vielen Jahren unterstütze. Das Problem sei hier aber, dass die Hamas 80 bis 90 Prozent dieser Hilfen an sich reiße und die Menschen in Gaza deshalb darben müssten.
Nach Auffassung von Yosi müsse nicht nur dem Treiben der Hamas ein Ende gesetzt, sondern Israel auch wieder wachsamer werden. Er wünsche sich auf jeden Fall Frieden mit den Palästinensern.
Mit der entgegenkommenden Freundlichkeit, die Yosi ausstrahlte, war auch die Person gesegnet, die mich in meiner Unterkunft in Empfang nahm. Dass wir eineinhalb Stunden zu spät kamen – für ihn kein Thema. Und dann half er mir noch mit geradezu stoischer Geduld und auf sehr nette Art und Weise eine Stunde dabei, eine App auf meinem Smartphone zu installieren, mit der ich sehr kostengünstig im Internet surfen kann.
Da musste ich an Deutschland denken und zog spontan innerlich einen Vergleich ...
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Hier die weiteren sechs Teile der Berichte von meiner siebentägigen Reise nach Israel:
Sieben Tage Israel – Tag zwei: «Wer mit dem Finger auf die Regierung Israels zeigt, sollte sich mal die Weltpolitik vergegenwärtigen»
Sieben Tage Israel – Tag drei: «Die Probleme können nur durch eines gelöst werden – durch Liebe!»
Sieben Tage Israel – Tag vier: «Ich bin nicht zuversichtlich, aber hoffnungsvoll, dass die Hamas-Geiseln bald frei sein werden»
Sieben Tage Israel – Tag fünf: «Die Dinge werden sich bald zum Besseren wenden – das sehe ich mit meinem inneren Auge»
Sieben Tage Israel – Tag sechs: Die heilige Stadt Jerusalem – Faszination und Sinnbild der globalen Zerwürfnisse in einem
Sieben Tage Israel – Abreise: «Danke, dass du aus Deutschland hierher zu Besuch gekommen bist»
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