Wenn die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ihre Regeln neu schreibt, bleibt das auch in der Schweiz nicht folgenlos. Die geplante Überarbeitung der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) – ein rechtlicher Rahmen zur globalen Pandemiebekämpfung – hat hierzulande eine breite politische und gesellschaftliche Diskussion entfacht.
Eine Auswertung der 193 Vernehmlassungsantworten durch das Aktionsbündnis freie Schweiz (ABF) zeigt, wie kontrovers die Vorlage bewertet wird. Von voller Zustimmung über skeptische Zurückhaltung bis zur fundamentalen Ablehnung reichen die Stellungnahmen – und spiegeln ein Spannungsfeld zwischen internationaler Verantwortung und staatlicher Eigenständigkeit wider.
Die Vernehmlassungsantworten lassen sich grob in drei Kategorien gliedern: klare Befürworter, kritische Unterstützer und entschiedene Gegner. Vor allem kantonale Regierungen wie jene von Zürich, Genf, Waadt oder St. Gallen sprechen sich gemeinsam mit Wirtschaftsverbänden wie Economiesuisse oder IFPMA für die Revision aus. Ihre Argumentation: Eine gestärkte WHO erhöhe die globale Reaktionsfähigkeit auf Gesundheitskrisen – ohne die Souveränität der Schweiz zu beschneiden.
Gegenteilig bewerten SVP, EDU, kritische Juristen-Netzwerke sowie Bürgerrechtsorganisationen wie das Aktionsbündnis freie Schweiz (ABF) die Vorlage. Sie befürchten einen gefährlichen Präzedenzfall. Vor allem der erweiterte Handlungsspielraum der WHO, etwa beim Ausrufen von Gesundheitsnotständen oder der Definition von Desinformation, wird als direkter Angriff auf die demokratische Kontrolle und die Grundrechte gewertet.
Dazwischen: Kantone wie Bern oder Thurgau und politische Akteure der Mitte und Grünen, die zwar die internationale Zusammenarbeit unterstützen, aber klare Schutzmechanismen fordern – etwa ein nationales Opting-out aus den erneuerten IGV oder eine verpflichtende parlamentarische Absegnung von WHO-Maßnahmen.
Zentrale Sorge vieler Gegner: Mit der neuen Version der IGV könnte die WHO weitreichende Eingriffe in nationale Gesetzgebungen vornehmen – etwa durch Empfehlungen, die de facto als bindend ausgelegt würden. In der Kritik steht dabei insbesondere die Rolle des WHO-Generaldirektors, dem neue Kompetenzen übertragen werden sollen.
Diese Machtfülle wird besonders kritisch gesehen, da die WHO als nicht demokratisch legitimierte Organisation wahrgenommen wird und abhängig von privaten Finanzierungen ist, die laut Kritikern Interessenskonflikte mit sich bringen könnten.
Die Erfahrungen der Coronazeit verstärken diese Skepsis. Wechselnde Empfehlungen der WHO – etwa zur Maskenpflicht oder Impfungen – hätten das Vertrauen in deren Entscheidungsfindung beschädigt. Dass nun eine Organisation mit unklarem Kontrollmechanismus gestärkt werden soll, sorgt für politischen Zündstoff.
Juristisch brisant ist die Frage, wie sich internationale Vorgaben mit der Schweizer Bundesverfassung und dem Epidemiengesetz (EpG) vertragen. Kritiker verweisen auf Artikel 190 der Verfassung, demzufolge völkerrechtliche Normen Vorrang haben könnten – was in der Praxis bedeutet: WHO-Vorgaben könnten nationale Gesetze aushebeln.
Wirtschaftlich schlagen die Argumente in beide Richtungen aus. Während Pharmaverbände sich über einheitlichere Rahmenbedingungen freuen würden, fürchten andere Branchen, dass WHO-Vorgaben zur Preisregulierung oder Zwangslizenzen den Schweizer Standort schwächen könnten. Auch die möglichen indirekten Finanzierungsverpflichtungen – etwa durch Artikel 44 IGV – werfen Fragen auf, ob die Schweiz künftig zur Mitfinanzierung globaler Programme verpflichtet sein könnte.
Eine der emotionalsten Dimensionen der Debatte ist die demokratische: Wer entscheidet über Gesundheitsmaßnahmen – nationale Parlamente oder eine internationale Organisation? Die Angst vor einem «Demokratiedefizit» treibt viele Akteure um. Sollte der Bundesrat die Opting-out-Frist (19. Juli 2025) verstreichen lassen, treten die geänderten IGV zwei Monate später in Kraft – und sind auch für die Schweiz verbindlich.
Für diesen Fall droht eine Volksinitiative – zum Beispiel zum WHO-Austritt. Die Alternative wäre, dass der Bundesrat, die Schweizer Landesregierung, vorläufig vom Opting-out Gebrauch macht und die IGV dann im normalen Gesetzgebungsprozess ratifiziert. Für diesen Fall ist ein Referendum praktisch sicher.
Kommen 50.000 Unterschriften zusammen, dann muss das Volk an der Urne entscheiden. Der Entscheid ist verbindlich.
Die Nachwehen der Coronazeit sind allgegenwärtig. Viele Vernehmlassungsantworten enthalten deutliche Kritik am damaligen Krisenmanagement – sowohl seitens der WHO als auch seitens des Bundesrats. Entscheidungen seien nicht evidenzbasiert, sondern politisch motiviert gewesen, heißt es. Besonders die Impfpolitik, die Zertifikatspflicht und das als alternativlos kommunizierte Maßnahmenregime werden als problematisch dargestellt.
Kritiker warnen: Wenn bereits in der Vergangenheit WHO-Empfehlungen unkritisch übernommen wurden, könnte eine künftige Ausweitung dieser Kompetenzen zu einem weiteren Abbau demokratischer Kontrolle führen.
Dieser Artikel ist Teil einer losen Artikelserie zum Thema WHO. Der letzte Beitrag dieser Serie ist hier zu finden.
Was kann man jetzt tun? Das ABF ruft zu folgendem auf:
- Unterzeichnen der Petition – bis 1. Juni 2025
- Schreiben an die politischen Vertreter verfassen – und eine Stellungnahme fordern (neue Vorlagen und Adressen vorhanden)
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