Es ist kurzsichtig, die Neutralität kleinzureden.
In einer zunehmend multipolaren Welt steigen die Kriegsrisiken,
wenn sich alle Länder einem der großen Machtblöcke anschließen.
Wolf Linder (emeritierter Berner Politologieprofessor)

Liebe Leserinnen und Leser

Die Schweizer Verteidigungsministerin und Bundesrätin Viola Amherd (Mitte-Partei Wallis) hat gestern ihren Rücktritt auf Ende März angekündigt. Als sie 2018 gewählt wurde, war sie eine Überraschungswahl. Wenige hatten mit ihr gerechnet. Überraschend war auch, dass sie im Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) geblieben ist.

Die ersten Jahre war es ruhig um sie, aber seit einiger Zeit wird die Kritik lauter und lauter. Während anfänglich vor allem ihre Politik, die Schweiz näher an die NATO zu führen (gemeinsam mit Aussenminister Ignazio Cassis, FDP Tessin), sowie gewisse Personalentscheide zu reden gaben, gipfelten die Vorwürfe am Wochenende in einer offiziellen Rücktrittsforderung durch die Schweizerische Volkspartei (SVP), die größte Schweizer Partei.

Ich habe letzten Sommer hier darüber berichtet, wie sie den Spitzendiplomaten Jean-Daniel Ruch nach Vorwürfen, die sich später in Schall und Rauch auflösten, fallenließ: Die Ansichten des Neutralitätsbefürworters und Nahostkenners waren ihr nicht mehr genehm.

Schwere Versäumnissen werden auch in der Beschaffung und Führung moniert. Besonders die Beschaffung des Kampfjets F-35 sorgt für Kontroversen. Das Projekt, gegen heftigen Widerstand durchgesetzt, entwickelt sich zu einem Milliarden-Desaster. Amherd hatte zugunsten der Amerikaner eine sehr großzügige Offerte des französischen Herstellers Rafale zurückgewiesen. Es ging um einen Kampfjet, den jetzt zum Beispiel Serbien beschafft.

Amherds Personalpolitik wird als unqualifiziert und von Vetternwirtschaft geprägt kritisiert. Beispielhaft werden die Ernennung eines unerfahrenen Vertrauten zum Verwaltungsratspräsidenten des Rüstungsbetriebes Ruag genannt. Auch die Entlassung eines fähigen Nachrichtendienst-Chefs wird ihr angelastet. Insbesondere scheint es, dass sich Amherd vor allem mit Walliser Mitarbeitern umgeben hat. Als per Ende Jahr der vergoldete Rücktritt der 70-jährigen Walliser Rasputina und Amherd-Einflüstererin Brigitte Hauser-Süess ruchbar wurde, war klar, dass auch der Rücktritt der Chefin abzusehen ist.

Die parlamentarische Finanzaufsicht warnt vor gravierenden Missständen in zentralen Armeebeschaffungen. Statt diese Probleme anzugehen, verstricke sich Amherd in außenpolitische Themen, etwa durch eine Annäherung an die NATO. Von vielen Ländern wird die Schweiz nicht mehr als neutral wahrgenommen und deshalb nicht mehr als Vermittlerin eingesetzt, obwohl das Land das Neutralitätsrecht nach wie vor einhält. Als Beispiel ist der geplante Gipfel zwischen den Präsidenten Trump und Putin zu nennen. Diesen möchte Bern gerne ausrichten, was aber von Moskau vorerst abgelehnt wurde.

Auch ihr Präsidialjahr – in der Schweiz rotiert das Bundespräsidium zwischen den sieben Bundesräten, welche die Landesregierung bilden -, war von Selbstprofilierung geprägt. Um die Welt ging das «Klassenfoto» der Staatsoberhäupter bei der Bürgenstock-Konferenz mit Amherd in der Mitte – oder auch das Foto, auf dem Amherd anlässlich des Besuchs von Ursula von der Leyen in Bern den Bückling macht. Amherd wollte partout, dass dieser Besuch noch im alten Jahr mit ihr als Bundespräsidentin stattfindet.

Damit war das Maß voll. Amherd war auf der Linie derjenigen, die die Demokratie «einhegen» wollen (ich habe kürzlich wieder hier darüber berichtet) – wer kommt jetzt? Unbestritten ist nur, dass der Sitz der Mitte-Partei zusteht.

Sicher die besten Chancen hat der Politfuchs Gerhard Pfister, bisher Präsident der Mitte-Partei. Aber es gäbe auch andere Papabili. Warum nicht die Urner Ständerätin Heidi Z’graggen? Sie ist promovierte Politologin, ihr Doktorvater ist Wolf Linder (von dem das Eingangszitat stammt) und sie wäre ideal, um die Schweiz wieder auf den Pfad der neutralitätspolitischen Tugend zurückzuführen. Ich habe hier darüber berichtet. 2018 war sie gegen Amherd unterlegen. Klapp es im zweiten Anlauf?

Bleiben Sie uns, geneigte Leserin, geneigter Leser, gewogen!

Daniel Funk