In diesem gerade begonnenen Jahr kommt der Krieg wieder nach Deutschland – so befürchtet es unter anderem der ehemalige Brigadegeneral der Bundeswehr Erich Vad. Er war nicht zuletzt von 2006 bis 2013 militärpolitischer Berater der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
In seinem neuen Buch beschreibt Vad, wie Deutschland von Russland angegriffen wird – als Reaktion darauf, dass die neue Bundesregierung nach der Wahl am 23. Februar die weitreichenden Taurus-Marschflugkörper an Kiew für Angriffe gegen russische Ziele übergeben haben könnte. Ausführlich schildert er, wie der russische Vergeltungsschlag gegen politische und militärische Ziele in Deutschland erfolgen könnte, ebenso die Folgen für das Land und die Menschen.
Der Ex-General macht das in seinem Ende 2024 erschienenen Buch «Ernstfall für Deutschland». Doch damit beschreibt er nicht nur eindrücklich die Gefahr des drohenden Krieges, wenn Russlands rote Linie endgültig überschritten werden sollte, und dessen Folgen.
Es handelt sich ebenso um «Ein Handbuch gegen den Krieg», wie es im Untertitel heißt, in dem Vad versucht zu zeigen, wie ein solcher Krieg verhindert werden könnte. Er macht das kenntnisreich und interessant, aber auch sehr widersprüchlich.
Widersprüchlich ist zum Beispiel, dass er von der deutschen Politik fordert, die andere Seite mit Respekt zu behandeln. Er selbst aber nennt den russischen Präsidenten immer nur beim Nachnamen und bezeichnet ihn als «Aggressor» und «Diktator».
Das ist keine Ansprache, die einen Dialog eröffnen könnte. Wie immer wieder auch antirussische Ressentiments durchscheinen, die vielleicht angesichts der Herkunft und Prägung Vads verständlich, aber eben nicht nützlich sind.
Das gilt auch für seine Rückblicke auf die Zeit des Kalten Krieges, in dem verhindert wurde, dass daraus ein heißer Krieg zwischen den beiden hochgerüsteten Militärblöcken entsteht. So behauptet er unter anderem, wenn die USA die alte BRD – wie von der Friedensbewegung einst gefordert –verlassen hätte, hätte die Sowjetunion (bei ihm «die Russen») «unbehelligt die Bundesrepublik als «naheliegendste Bastion des Westens» überfallen.
Solche Passagen gehören zu den Schwachstellen des insgesamt mutigen Buches. Mutig ist es, weil es sich kritisch gegenüber der kriegstreibenden und eskalierenden US-Politik äußert und die deutsche Politik davor warnt, dieser in transatlantischer Vasallentreue weiter blind zu folgen.
Vad hat in dem Buch eine Liste von acht Maßnahmen zusammengetragen, die helfen könnten, den von ihm beschriebenen möglichen Krieg zu verhindern. Die erste Maßnahme ist aus seiner Sicht zu erkennen, dass die angestrebte NATO-Mitgliedschaft «eine (dunkel)rote Linie für Russland ist». Das Ignorieren dieser Tatsache gehört für ihn zur Vorgeschichte des Krieges.
Er fordert dabei die Politik dazu auf, die russische Perspektive einzunehmen und zu beachten.
«Es ist also politisch zwingend, die Interessen anderer Staaten, egal ob Freund oder Feind, zu kennen und zu verstehen.»
Für ihn liegt der Schlüssel zur Lösung des Krieges in Washington und Moskau. Dennoch erwartet er als zweite Maßnahme, dass die deutsche Regierung trotz ihres begrenzten Einflusses Friedensverhandlungen für die Ukraine anstößt und dafür mit allen Beteiligten redet – was Berlin mit anhaltenden Waffenlieferungen an Kiew aber anscheinend weiter verhindert.
Der Ex-General kritisiert die politische Überbetonung moralischer Werte durch die derzeitige Regierungspolitik und bezeichnet «eine Portion Rationalität, Pragmatismus und ja, auch Egoismus» aus nationalem Interesse als dringend. Die weiteren vorgeschlagenen Maßnahmen umfassen eine klare und realistische Zielbestimmung der eigenen Politik ebenso wie die Orientierung auf die eigenen nationalen Interessen, aber auch eine wiederaufgerüstete Bundeswehr, um mögliche Gegner abzuschrecken.
Auch dieser Punkt kann als eine der Schwachstellen des «Handbuches gegen den Krieg» gesehen werden, auch wenn von einem General wenig anderes zu erwarten ist. Und so schreibt er, militärische Stärke sei notwendig, um abzuschrecken und als Verbündeter attraktiv zu bleiben.
Deutschland müsse mehr für die eigene Sicherheit und die Europas tun, meint Vad. Wer den Kontinent und das eigene Land nun genau bedroht, sagt er nicht klar, während sein Buch eher davon kündet, dass die Gefahr von den USA ausgeht.
Ich muss bei solchen Aussagen immer an das denken, was mir 2019 der einstige SPD-Außenpolitiker Karsten D. Voigt sagte. Nämlich, dass Deutschland das erste Mal in seiner Geschichte seit mehreren hundert Jahren «mit den Ländern im Osten und im Westen in einem partnerschaftlichen oder freundschaftlichen Verhältnis …, zum Teil in den gleichen Bündnissen oder Organisationen» sei. Das sei für Deutschland «eine geostrategisch günstige Lage».
Es ist keine ernsthafte Bedrohungsanalyse bekannt, wonach sich das geändert haben sollte. Selbst jemand wie der Politologe Carlo Masala, der die neue «russische Gefahr» predigt, konnte mir im Oktober 2023 nicht sagen, wer Deutschland derzeit konkret bedroht. Er erklärte nur, das geschehe «nicht durch Panzer, Kampfflugzeuge oder Fregatten», sondern durch «Desinformation», potenzielle Anschläge auf unsere kritischen Infrastrukturen, Cyberattacken und «Versuche, gesellschaftliche Spaltung herbeizuführen durch fremde Mächte».
Somit bleibt die von Vad in seinem Buch wiederholt geforderte Aufrüstung der Bundeswehr fragwürdig im wahrsten Sinn des Wortes. Das gilt auch für seinen Vorschlag eines «Bundes-Prepping» als sechster Maßnahme.
In der siebten fordert er immerhin mit Blick auf das Verhältnis zu den USA: «Abnabeln, emanzipieren, selbst denken». Die USA dürften «nicht unser alleiniger Fixstern» sein, schreibt er. Die deutsche Politik mache nur nach, «was uns die Amerikaner vorturnen», kritisiert der Ex-General.
Das Handeln nach den Vorgaben Washingtons könne auch schaden, warnt er und fragt mit Blick auf die Ukraine, warum Berlin «fraglos akzeptiert, dass in Europa ein Stellvertreterkrieg der USA geführt wird». Und er stellt klar:
«Für die USA sind wir noch nie ein Partner auf Augenhöhe gewesen.»
Das ist eine interessante Aussage eines ehemaligen hochrangigen Bundeswehroffiziers, der auch die Kanzlerin beriet. Und er fügt mit Hinweis auf die für 2026 beschlossene Stationierung neuer US-Raketen in Deutschland hinzu:
«Inzwischen bringt sie uns in Gefahr und setzt uns einem katastrophalen Risiko aus – und das mehr oder weniger hinter verschlossenen Türen und von der Öffentlichkeit zunächst weitgehend unbeachtet.»
Aber leider zeigt er Verständnis für die US-Raketenpläne, weil diese eine Antwort auf russische Raketensysteme im Raum Kaliningrad seien. «Die Russen haben angefangen, jetzt ziehen die Amerikaner eben nach», behauptet Vad etwas, was bereits widerlegt wurde, so von Wolfgang Lieb und von Wolfgang Richter.
Aber er sieht zumindest als Lösung des Problems, «sich von den USA abzunabeln», denn die Beziehung zu diesen dürfe nicht die Beziehungen zu anderen wie China, Russland oder dem Globalen Süden unmöglich machen. Und er fordert in der achten vorgeschlagenen Maßnahme auch von der Bevölkerung, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen und sich der politischen und medialen Kriegshetze entgegenzustellen.
«Weder die erwähnten Medien noch die Politik bilden in der Breite ab, was die Menschen meinen und was sie tatsächlich bewegt.»
Von den Medien erwartet der Ex-General, dass sie «verantwortungsvoll mit ihrem Einfluss umgehen», nicht verherrlichen und nicht dämonisieren, sondern «objektiv und kritisch informieren und dabei Meinungsvielfalt ermöglichen». Die Regierungsvertreter dürften sich zu dem als Repräsentanten der deutschen Bevölkerung nicht wie «unabhängige Herrscher» verhalten.
Vad beschreibt in seinem Buch auch, wie Deutschland es schaffen könnte, sich von den USA – deren Abstieg als Weltmacht bevorstehe – zu emanzipieren, allerdings ohne diese «rauszuwerfen». Das dürfte angesichts der offenen und verdeckten Möglichkeiten der USA und der deutschen Transatlantiker zur direkten und indirekten Einflussnahme auch schlecht möglich sein.
Er warnt vor weiteren Stellvertreterkriegen in der Welt im US-Interesse, so um Moldawien, Georgien und Serbien, gegen den Iran und China, in Afrika und Lateinamerika, und stellt klar:
«Die politischen und militärischen Vorbereitungen laufen bereits. Jeder dieser potenziellen Kriege bringt hohe Eskalationspotenziale mit sich.»
Der Ex-General sieht als Ziel die «strategische Autonomie», die seit längerem auch für die Europäische Union (EU) diskutiert wird. Und mehrmals erinnert er in seinem Buch an das Friedensgebot des Grundgesetzes, das die deutsche Außenpolitik mahne:
«Wir müssen reden, vermitteln und politische Lösungen finden – ganz im Sinne des Friedensgebotes in unserem Grundgesetz.»
Deshalb ist es ein empfehlenswertes, wenn auch diskussionswürdiges Buch. Vad gibt wichtige Anstöße aufgrund seiner Erfahrung als Militär und Politikberater.
Über seine stellenweisen blinden Flecken ist mit ihm zu diskutieren. Aber er hat recht: Ein Krieg in Deutschland muss verhindert werden und der Krieg in der Ukraine muss so schnell wie möglich beendet werden.
Erich Vad: «Ernstfall für Deutschland – Handbuch gegen den Krieg»
Westend Verlag 2024. 80 Seiten; ISBN 9783864894923; 15 Euro
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Mehr zum Thema: Buchtipp: «Kriegsspiele – Wie NATO und Pentagon die Zerstörung Europas simulieren» von Jonas Tögel. Der Propagandaforscher zeigt anhand militärischer Planspiele auf, dass die USA bei einem allfälligen großen Krieg auf dem eurasischen Kontinent die nukleare Zerstörung europäischer Länder, inklusive Deutschlands, in Kauf nehmen.
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