Was geschieht mit einem Menschen, der ins Schweigen gedrängt wird? Er hört mit mehr auf als nur mit dem Sprechen. Ihm stockt über kurz oder lang auch das Denken. Sprache er-greift Wirklichkeit. Nichtsprache degradiert mich zum Zuschauer der Geschehnisse.
Nicht alles braucht einen zu interessieren, und welche Wohltat wäre es nur schon gewesen, wenn in den vergangenen Jahren der eine und andere «Experte» tatsächlich den Mund gehalten hätte. Ganz im Gegenteil haben sie aber eine Mehrheit Schweigen und Fürchten gelehrt.
Ende April 2020 wurde es in Deutschland verpflichtend, in der Öffentlichkeit Atemmasken zu tragen. An Tag 1 hielt ich mich gleich hinter der Schweizer Grenze auf, im Städtchen Tiengen nahe Waldshut. Der Eindruck sitzt bis heute tief: Von einem Tag auf den anderen verwandelten sich flanierende Mitbürger in verstörte Gestalten. Keiner sprach mehr mit dem anderen, jeder trottete stumm seinen Weg.
Auf einem Flug von Zürich nach Wien wurde ich Ende Oktober 2020 ‒ trotz ärztlichem Attest − genötigt, mir zusätzlich zum Bauchgurt auch etwas vor Mund und Nase zu schnallen. Gespräche mit einem Sitznachbarn, etwas plaudern mit dem Personal? Keine Spur davon. Man will ja «niemanden gefährden» oder, wie in meinem Fall, dem nächsten Streit nach Möglichkeit aus dem Wege gehen.
Wer schläft, sündigt nicht, heißt es. Wer gehorcht und schweigt, denkt nicht; und wer dauerhaft rückatmet, der tut sich damit ohnehin schwer. «Am Feierabend ist mir auch immer schwindlig, aber ich muss trotzdem eine Maske tragen», gestand mir ein Freiburger Polizist nach einer kurzzeitigen Verhaftung Ende Dezember 2020. − «Dann haben Sie ja auch Grund genug, sich ein Attest ausstellen zu lassen», habe ich entgegnet. Seine Antwort: Schweigen.
Diese persönlichen Beispiele stehen mir für einen gesellschaftlichen Weg in die Duldsamkeit. Deren Medium ist das Schweigen. Die Wände der vielzitieren Meinungs-Korridore sind gemauert mit seinen Steinen, zusammengehalten mit dem Mörtel der Angst. Wer ausbrechen will, fällt der Ächtung anheim und wird mund-tot gemacht.
- In den letzten vier Jahren seien über tausend rechtskräftige Urteile gegen Ärzte ergangen.
- Jeder zweite Deutsche sagt, er fühle sich nicht mehr frei, seine Meinung gerade heraus zu sagen.
- Anhängern einer Partei am Rande jenes Korridors wird mit fadenscheinigen Gründen der Strom abgestellt; so geschehen in Nürnberg.
- Neue halbstaatliche Meldestellen für unpassende Ansichten, genannt Desinformation, schießen aus dem Boden.
- Freier Gedankenaustausch in den Medien sei «nicht mehr akzeptabel», schwadroniert ein Herr Habeck.
- Ein «Dr. Tedros» wettert gegen die «Verbreitung schädlicher Lügen».
- 9 Zehntel aller EU-Schnüffelanfragen an «X» stammen aus Deutschland.
Diese Liste lässt sich und kann jeder fast endlos verlängern. Der Druck steigt. Wie gehen wir damit um?
Zustimmung ist der billige Weg, und ein bisschen Gratismut unterwegs kaschiert den Verlust an Persönlichkeit bei deren Umwandlung zur Masse. Und von der gilt: «Alles ist Glied, aber nicht wie Arme und Beine, sondern wie Kettenglieder», schrieb Hans Freyer schon im Jahr 1955 (in: Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, Seite 109).
Auflehnung ist der teure Weg. Doch «wer sich dem klar erkannten Ideal widersetzt, ist nicht als Mensch zu achten. Er ist der Gegenmensch, der Unmensch, der Teufel» (Freyer, Seite 130), mithin also eine umgedrehte Eschatologie: War der Ausgang vom ursprünglichen Paradies von einem Engel versperrt; so verwehren nun «Gegenmenschen», wahre «Teufel», anderen den Eingang ins neu proklamierte Paradies (sc. der Klimaneutralität, der Gender-Gerechtigkeit, der Volks-, ja Weltgesundheit etc.), analysiert Freyer weiter.
Wieviel schweigende Zustimmung wird im kommenden Monat das sogenannte Gleichstellungsgesetz erhalten? Es soll von Freitag, 1. November, an gelten. Werden denkende Menschen weiterhin einen Mann als Mann und eine Frau als Frau ansprechen, wie verkleidet sie auch sein mögen? Oder hüllen sie sich mehrheitlich in Korridor-Sprech oder Schweigen?
Die Freiheit lebt von denen, die sie beanspruchen. Ihnen wird je länger, desto mehr abverlangt, klug zu sein «wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben» (Matthäus 10, Vers 16): zu wissen, wo es souverän zu schweigen gilt und wo das freie klare Wort angemessen und nötig ist; siehe Jesus vor Pilatus.
Die Masse mag ins Schweigen gedrängt werden. Den Jüngern des Wortes, des leibhaftigen, ist diese Option als grundsätzliche Haltung verwehrt. Hoffnung und Glaube lassen sich nicht mundtot machen.
Wer immer eine Verantwortung für die nächste Generation empfindet oder mehr − jeder freiheitsliebende Mensch weiß, dass es ihn zu zerreißen droht, wenn er zu lange nur zuschaut. Er kann die Worte des Propheten Jeremia nachempfinden, der ebenfalls den leichteren Weg gesucht hatte:
«Da sagte ich mir: ‹Ich will Ihn nicht mehr erwähnen und nicht mehr in Seinem Namen reden!› Doch da brannte es in meinem Herzen, als wäre ein Feuer in meinen Gebeinen eingeschlossen, und ich wurde müde, es auszuhalten; ja, ich kann es nicht.» (Jeremia 20,9)
Die Antwort darauf, die Ermutigung zum guten klaren Weg, findet sich in einem unscheinbaren Wörtchen aus dem Mund von Jesus:
«Tharseite»: «Seid kühn! − Seid guten Mutes! − Hofft zuversichtlich! − Wohlan!» Johannes 16,33
So genährt, darf «der Widerstand» stets aufs neue das freie Wort ergreifen und «sich dort einnisten, wo das System Risse und Brüche zeigt und sie durch subversive Mittel zu erweitern suchen» (Freyer, Seite 175).
Denn:
Gelobt sei der HERR, dass er uns nicht gibt zum Raub in ihre Zähne!
Unsre Seele ist entronnen wie ein Vogel dem Netze des Vogelfängers;
das Netz ist zerrissen, und wir sind frei.
Unsre Hilfe steht im Namen des HERRN, der Himmel und Erde gemacht hat.
Psalm 124,6-8
Neue Vogelschwärme ziehen durch das Land.
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Wort zum Sonntag vom 20. Oktober 2024: Stuttgart und das alte Rom
Lothar Mack war als Gemeindepfarrer und bei verschiedenen Hilfswerken und Redaktionen tätig. Sein kritischer Blick auf Kirche und Zeitgeschehen hat ihn in die Selbständigkeit geführt. Er sammelt und ermutigt Gleichgesinnte über Artikel und Begegnungen und ruft in Gottesdiensten und an Kundgebungen zu eigenständigem gläubigem Denken auf. Sein Telegram-Kanal lautet StimmeundWort.
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