Wir leben in einer Zeit der Polarisierung. In einer Zeit, in der das «Bekenntnis» zählt. Wenn ich mich zum Beispiel als Pastor zu den Guten zähle, kann ich damit alle meine Handlungen rechtfertigen? Natürlich ist dies eine rhetorische Frage. Und doch führt sie mitten hinein in ein großes Dilemma unserer Zeit.
Wer ist gut? Wer ist schlecht oder gar böse? Mit anderen Worten: Wir legen in der politischen Debatte dieser Tage moralische, um nicht zu sagen: religiöse Kategorien an Menschen an. Und die drehen sich um das Sein eines Menschen, nicht nur darum, was er tut.
Im Evangelium des Lukas kommt im 18. Kapitel ein junger Mann zu Jesus und fragt: «Guter Meister (Lehrer), was muss ich tun, um das ewige Leben zu erwerben?» Jesus kontert mit der Aussage: «Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als Gott alleine.»
Menschen sind niemals von sich aus gut, argumentiert Jesus. Das sehen viele ganz anders. Wer zum Beispiel in einer NGO arbeitet oder ehrenamtlich für diese tätig ist, die sich dem «Kampf gegen rechtes Gedankengut» verschrieben hat, der definiert sich selbst damit automatisch als «gut». Und darum sei auch alles gut, was man tut, immerhin geht es ja beispielsweise um «unsere Demokratie». Zumindest, wenn man den Vertretern der Regierung Glauben schenken darf.
Gibt es also verschiedene Arten von Demokratie? Nun, die gibt es natürlich. In Athen, der Wiege der Demokratie, durften Frauen nicht wählen. Sklaven selbstverständlich auch nicht. Die Wahlen zum Präsidenten der USA unterscheiden sich doch sehr von den Wahlen in Deutschland. Die Schweiz hat als Korrelativ zur Regierung die Volksabstimmung. Offensichtlich hat Demokratie verschiedene Ausprägungen und kann, je nachdem, worauf man sich geeinigt hat, verschiedenen Regeln unterliegen.
Die Regeln hier in Deutschland schreibt das Grundgesetz fest. Hier sind Wahlen allgemein. Alle Menschen mit einem deutschen Pass und ab 18 Jahren dürfen wählen, und jede Partei, die nicht verboten ist, kann gewählt werden.
Inoffiziell aber geht das offensichtlich nicht. Es gibt eine Partei, die für Christen nicht wählbar ist. So hört man es aus der katholischen Kirche, so höre ich es auch in der evangelischen Kirche. Diese Partei «Deren-Name-nicht-genannt-werden-darf» sei eine Gefahr für die Demokratie. Die Angst geht um: «Unsere Demokratie ist in Gefahr!»
Die Fronten sind klar: Dort sind die Bösen, hier sind die Guten. Und was die Guten tun, ist per Definition ebenfalls gut. Wenn zum Beispiel die Initiative «beherzt» im ländlichen Niedersachsen aktiv wird, dann erhält sie dafür Preise und Steuergelder. Man setzt sich ein gegen sogenannte Völkische Siedler, die in kleinen Dörfern mit «rechten Gedankengut» werben. Holzkreuze werden verteilt, die sich alle wahren Demokraten an die Hauswände nageln können. Danach tauchen Aktivisten der Antifa auf und belagern die Häuser derer, die kein Kreuz an der Türe hängen haben.
Diese Aktion ahmt in perfider Weise eine Erzählung beim Auszug Israels aus Ägypten nach. Die Israeliten sollten ihre Türzargen mit dem Blut von Lämmern bestreichen, damit der Todesengel an ihren Häusern vorbeigehe.
Ist so etwas noch gut? Per Selbstdefinition sicherlich. Denn es geht doch um den Kampf gegen «rechte Ideologien»; so als stünde man in einer Linie mit Sophie Scholl und Dietrich Bonhoeffer.
Ist also jedes Mittel recht? Jedenfalls sind sie nahezu unbegrenzt. Correctiv, Omas gegen Rechts, Campact, die Antifa, direkt oder indirekt werden diese sogenannten «N»-GOs mit Steuergeldern zumindest mitfinanziert. Ich will nicht über die eine oder andere politische Richtung urteilen; jede und jeder mag politisch nach seiner oder ihrer Fasson glücklich werden. Und doch drängt sich mir der Verdacht auf, dass mit dieser sehr einseitigen Finanzierung die Regeln des Grundgesetzes und damit nun wirklich «unserer» Demokratie ausgehebelt werden.
In meinem Freundeskreis befinden sich vor allem Menschen, die sich selber eher dem grün-linken Spektrum zuordnen würden. In meinem Kollegenkreis ohnehin. Alles wunderbare Menschen, die das Herz am − pardon − rechten Fleck haben: zugewandt, menschenfreundlich, Demokraten mit Leib und Seele. Menschen, die das letzte Hemd geben würden, um anderen in Not zu helfen.
Zugleich Menschen, die ich in den letzten Monaten vor und nach der Wahl zum Deutschen Bundestag und erst recht nach der Wahl des amerikanischen Präsidenten in Angst oder zumindest in großer Sorge erlebe. Auch bei uns in der Stadt wird mit Andachten und Plakataktionen auf die «Gefahr für die Demokratie», für «unsere» Demokratie, aufmerksam gemacht.
Und weil die Angst umgeht, ist jede Million für Organisationen, die sich mutig − entschuldigen Sie den ironischen Unterton − gegen die «Undemokraten» stellen, gutangelegtes Geld.
Die selbstdefinierte «demokratische Mitte» der Bevölkerung, das sind «die Guten». Auch wenn sich neuerdings diese Demokraten nicht einmal mehr an Wahlversprechen erinnern können und mit Milliardenbeträgen neuer Schulden − pardon: Sondervermögen − die wirtschaftliche Basis künftiger Generationen gefährden.
Mir geht der oben erwähnte Satz von Jesus nicht aus dem Kopf: «Niemand ist gut als Gott alleine.» Niemand. Nicht die Vertreter der Regierung, nicht die Aktivisten verschiedener Organisationen, die unter anderem mit reichlich Steuergeldern finanziert werden. Alle verfolgen sie ihre ganz eigenen Ziele. Damit verbietet sich jede Finanzierung von staatlicher Stelle.
Denn wenn erst einmal eine Struktur etabliert ist, welche jede Meinung außer die von der Regierung erwünschte als nicht sagbar, nicht wählbar, unmoralisch, undemokratisch brandmarkt und das mit Steuergeldern reichweitenstark forciert, dann kann diese Struktur auch von anderen genutzt werden. Auch von jenen, die vielleicht eines Tages wirklich unsere Demokratie abschaffen möchten.
Niemand ist gut als Gott allein. Als Christ und als Demokrat sage ich: Was gegen die im Grundgesetzt verbrieften Rechte der Menschen in diesem Land gerichtet ist, kann nicht gut sein, auch wenn es jene gutheißen, die sich die Absolution für ihre Untaten selber erteilen. Alle politischen Akteure müssen sich als fehlbare Menschen nun einmal an ihren Taten messen lassen. Nicht an ihren Selbstdefinitionen.
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Wort zum Sonntag vom 2. März 2025: Wenn die Kompassnadel trügt
Edgar Rebbe ist Gemeindepfarrer in der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Varel. Er hat sich während der Coronazeit mit seinen kritischen Äusserungen zu diversen Massnahmen nicht nur Freunde gemacht. In Gottesdiensten und Gemeindeveranstaltungen ermutigt er zu offener Diskussion und respektvollem Miteinander.
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