Aus israelischer Sicht handele es sich um einen «Krieg, der keine Grenzen kennt», zitiert der US-amerikanische Investigativ-Journalist Seymour Hersh in einem neuen Text einen israelischen Informanten. In dem Beitrag beschreibt Hersh die derzeitige Lage im Krieg Israels gegen die islamistische palästinensische Organisation Hamas.
So seien seit dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober bis zum 1. November mehr als 8000 Bewohner des Gazastreifens durch die israelische Armee getötet worden. Vierzig Prozent davon seien Kinder, habe die internationale Hilfsorganisation Defense for Children berichtet. Die Zahl der Todesopfer im Gaza-Streifen, vor allem in Gaza-Stadt, steige durch den anhaltenden Bomben- und Granatenbeschuss aus Flugzeugen und Panzern.
Die Zahl der israelischen Todesopfer seit dem 7. Oktober gibt Hersh mit 1400 an, darunter 317 Militärangehörige. Hinzu kommt demnach eine zweistellige Zahl ausländischer Todesopfer, so US-Amerikaner, die für Hilfsorganisationen in Gaza tätig waren. Die Hamas halte immer noch mehr als 230 israelische Geiseln gefangen, die sie gegen Palästinenser in israelischen Gefängnissen austauschen wolle.
Die israelische Armee habe in den letzten Tagen ihre Angriffe am Boden ausgeweitet. Panzer seien in den Gaza-Streifen eingerückt und würden Ziele in Gaza-Stadt aus der Ferne beschiessen. Dadurch würden die israelischen Verluste klein gehalten, zitiert der Journalist einen israelischen Militär-Experten.
Andererseits würden dadurch Gebäude und Stadtviertel «platt gemacht», ohne Rücksicht auf die Zivilisten. Die israelische Armee habe dazu mehrmals nur erklärt, sie habe die Bewohner von Gaza-Stadt vor den Angriffen aufgefordert, die Gebäude zu verlassen.
Hersh schreibt von einer «bitter gespaltenen» israelischen Führung unter Premier Benjamin Netanjahu. Der hatte sich in den Jahren zuvor dafür eingesetzt, dass die Hamas mit Hilfe Katars finanziell gefördert wird – als Konkurrenz zur PLO-dominierten palästinensischen Autonomie-Behörde im Westjordan-Land. Nun will er laut den Berichten die islamische Palästinenser-Organisationen vernichten.
Dennoch muss Tel Aviv mit der Hamas-Führung über die Freilassung der Geiseln verhandeln, wie Hersh schreibt. Ausserdem sei das Ziel, das Hamas-Tunnelsystem unter der Stadt zu zerstören, in dem sich den Angaben nach immer noch Tausende palästinensische Kämpfer aufhalten. Viele Ein- und Ausgänge würden sich unter Wohn- und Bürogebäuden befinden.
Hersh berichtet, dass in Folge dessen bereits fast 50 Prozent der angegriffenen Gebäude zerstört wurden. Die israelischen Bombenangriffe würden bis zu dem Ziel fortgesetzt, 65 Prozent der möglichen Fluchtwege zerstört zu haben.
«Wie mir von gut informierten Amerikanern und Israelis berichtet wurde, gibt es keine Anzeichen dafür, dass die israelische Führung die fast rund um die Uhr laufenden Bombardierungen einstellen wird, bevor nicht 65 Prozent der Zerstörungsziele getroffen worden sind. Die Bombardierung hat die lange entvölkerte Gaza-Stadt in eine tödliche Einöde verwandelt.»
Der US-Journalist schreibt von «ernsthaften Gesprächen» zwischen der israelischen Regierung und der Hamas-Führung, um einen Gefangenenaustausch zu organisieren. Danach soll Hamas-Führer Yahya Sinwar zu einem «sofortigen» Austausch der Geiseln gegen alle Palästinenser in israelischen Gefängnissen bereit sein. Allerdings solle das nicht für israelische Soldaten und Reservisten in der Gewalt der Hamas gelten.
Unterdessen würden laut einer israelischen Quelle israelische Militärs in das Tunnelsystem von Gaza eindringen und die Ausgänge und Lüftungsschächte sowie technische Versorgungssysteme zerstören. So sei die Stromversorgung bereits ausgefallen. Gegenwärtig stünde keine massive Bodeninvasion durch die israelische Armee bevor, schreibt Hersh.
Er habe von einem «gut informierten Israeli» erfahren, dass Netanjahu die Geheimdienste wie Mossad und Shin Beth angewiesen habe, die politischen und militärischen Führer der Hamas im In- und Ausland zu jagen und zu töten. Dabei sei Israel auch «rücksichtslos hinter den Familien, Ehefrauen, Kindern, Brüdern, Schwestern und Eltern» der Hamas-Führungskräfte her.
So seien schon zahlreiche Familienmitglieder der führende Hamas-Leute getötet worden, zitiert Hersh seinen Informanten. Der habe gesagt:
«Aus israelischer Sicht ist es jetzt ein Krieg, der keine Grenzen kennt.»
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