«In der sichtbaren Dimension ist die Hamas ein Feind, in der verborgenen Dimension ist sie ein Verbündeter.» Das erklärte der israelische Generalmajor Gershon Hacohen 2021 gegenüber dem israelischen Magazin Walla News. Israels Premierminister Benjamin Netanjahu habe die islamisch-fundamentalistische Palästinenserorganisation Hamas zu seinem «engsten Partner» gemacht. Das Ziel laut dem General: Die Zwei-Staaten-Lösung zu verhindern, die schon bei den Osloer Abkommen ab 1993 vereinbart worden war.
Auf die Aussagen des hochrangigen israelischen Offiziers hat das Schweizer Portal Swiss Policy Research (SPR) in einem am Montag veröffentlichten Beitrag aufmerksam gemacht. Darin wird anhand von Aussagen israelischer, palästinensischer und US-amerikanischer Insider die Frage beantwortet, «Warum Israel die Hamas geschaffen hat». Die Aussagen haben es in sich und bestätigen die Vermutungen, dass die militanten Aktionen der Hamas weniger den Palästinensern nutzen als denen der israelischen Politik.
Diese geht dabei nach dem bewährten Prinzip aller Mächtigen und Herrschenden vor: «Teile und herrsche». Dazu wurde den Aussagen nach die 1987 gegründete Hamas und ihr Vorläufer, die palästinensische Muslim-Bruderschaft, gefördert und finanziert, wohl sogar ausgebildet. Das Ziel: die lange Zeit dominierende PLO mit ihrer säkularen und linksnationalen Orientierung zu schwächen.
Das scheint bis heute gelungen, wovon die aktuellen Ereignisse im Gazastreifen künden. Umso wichtiger ist auch hier der Blick auf die Vorgeschichte, die Hintergründe und Zusammenhänge. Dafür liefert der SPR-Artikel einen wichtigen Beitrag, gestützt auf öffentlich zugängliche Aussagen.
«Seit der Gründung der Hamas im Jahr 1987 haben israelische, amerikanische und palästinensische Beamte wiederholt eingeräumt, dass Israel tatsächlich zur Gründung und Finanzierung der islamistischen Gruppe beigetragen hat.»
Der Zweck heiligt die Mittel
Israels Geheimdienste hätten aktiv zur Gründung und Finanzierung der Hamas beigetragen, heisst es zusammenfassend. Das übergeordnete Ziel dabei sei, «die Gründung eines palästinensischen Staates zu vereiteln und die Umsetzung einer Zwei-Staaten-Lösung für die Palästina-Frage zu verhindern». Eine solche würde den grossisraelischen Vorstellungen zuwiderlaufen: Eine Zwei-Staaten-Lösung «würde das israelische Territorium auf die international anerkannten Grenzen von vor 1967 reduzieren, jede zukünftige territoriale Ausdehnung verbieten und die Anerkennung Jerusalems als Israels Hauptstadt verhindern».
Zu den israelischen Zielen der Hamas-Unterstützung gehöre von Beginn an noch mehr:
«Erstens untergrub sie die säkular-nationalistische PLO von Jassir Arafat; zweitens trug sie dazu bei, die Umsetzung der Osloer Abkommen von 1993 zu verhindern; drittens untergrub sie die Palästinensische Autonomiebehörde und isolierte den Gazastreifen von der Westbank; viertens verhinderte sie die westliche Unterstützung für die palästinensische Sache; und fünftens rechtfertigte sie israelische (Gegen-)Angriffe auf palästinensisches Gebiet.»
Es gebe das Argument, dass die unterstützte Fundamentalisten-Organisation quasi «ausser Kontrolle» geraten sei, schreiben die SPR-Autoren. Doch das treffe nicht für die «israelischen Grossstrategen» zu: «Für sie hat die Hamas auch nach den Osloer Verträgen von 1993 und nach Israels Rückzug aus dem Gazastreifen im Jahr 2005 weiterhin ihren Zweck erfüllt.»
Und:
«Für die grossen Strategen könnte die Präsenz der Hamas in den verbleibenden palästinensischen Gebieten eines Tages den notwendigen Vorwand für eine ‹endgültige Lösung› der palästinensischen Frage liefern.»
Zahlreiche Belege
Die Aussagen der Beteiligten und Augenzeugen werden von den SPR-Autoren chronologisch zitiert. Dazu gehören «ein ehemaliger israelischer Militärgouverneur des Gazastreifens, ein Chef des israelischen Militärgeheimdienstes, zwei Whistleblower des israelischen Geheimdienstes, der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu und andere israelische Politiker sowie ehemalige amerikanische Regierungs- und Geheimdienstbeamte, der verstorbene PLO-Führer Jassir Arafat, ein früherer Hamas-Führer und die Mutter des Attentäters von Premierminister Rabin».
So habe bereits 1986 der Militärgouverneur des Gazastreifens, Brigadegeneral Yitzhak Segev, dem Publizisten David K. Shipler berichtet, wie er die islamische Bewegung als Gegengewicht zur PLO und den Kommunisten finanziert habe. «Die israelische Regierung hat mir ein Budget zur Verfügung gestellt, und die Militärregierung unterstützt die Moscheen», wird Segev in Shiplers Buch «Arab and Jew» zitiert. Shipler habe das 2021 in einem Brief an die New York Times wiederholt.
Die Schweizer Politikanalytiker verweisen erneut auf Aussagen des ehemaligen israelischem Militärgeheimdienstmitarbeiters Ari Ben-Menashe. Dieser hat 1992 in seinem Buch «Profits of War» beschrieben, wie israelische Geheimdienste mit Geldern aus geheimen Waffendeals mit dem Iran «palästinensische Terroristen» benutzten. Das Ziel war, die palästinensische Sache zu diffamieren und zu sabotieren.
Ebenso habe der ehemalige Mossad-Mitarbeiter Victor Ostrovsky 1994 in seinem Buch «The Other Side of Deception» (deutsch: «Geheimakte Mossad») auf die israelischen Ziele hingewiesen:
«Eine arabische Welt, die von Fundamentalisten regiert wird, würde sich nicht auf Verhandlungen mit dem Westen einlassen, so dass Israel wieder das einzige demokratische, rationale Land in der Region wäre. Und wenn es dem Mossad gelänge, die Hamas (palästinensische Fundamentalisten) dazu zu bringen, die palästinensischen Strassen von der PLO zu übernehmen, dann wäre das Bild komplett.»
Auch die Mutter des Attentäters Yigal Amir, der 1995 den israelischen Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin ermordete, wird zitiert. Guela Amir habe 1997 in einem Artikel, veröffentlicht von John F. Kennedy Jr., belegt, «dass ihr Sohn Teil einer Verschwörung des israelischen Geheimdienstes war, um Rabin zu beseitigen und die Anerkennung eines palästinensischen Staates zu verhindern». Kennedy starb zwei Jahre später bei einem ungeklärten Flugzeugabsturz, erinnert SPR.
Als weiterer Beleg wird ein Beitrag der US-Nachrichtenagentur UPI vom 24. Februar 2001 erwähnt. Darin werden mehrere aktive und frühere US-Regierungs- und Geheimdienstbeamte zitiert, denen zufolge «Israel der Hamas umfangreiche Unterstützung gewährt». Tel Aviv habe der islamischen Palästinenser-Organisation und ihren Vorläufern seit den späten 1970er Jahren «direkte und indirekte finanzielle Hilfe» geleistet, um sie als Gegengewicht zur PLO zu nutzen.
Gewollte Spaltung der Palästinenser
Es sei «ein direkter Versuch, die Unterstützung für eine starke, säkulare PLO zu spalten und zu verwässern, indem man eine konkurrierende religiöse Alternative einsetzte», wurde ein hoher CIA-Beamter zitiert. Das Geld dafür sei aus reichen arabischen Öl-Staaten sowie direkt und indirekt aus Israel gekommen.
Auch der PLO-Führer Jassir Arafat habe auf solche Fakten hingewiesen, so 2001 in zwei Interviews mit italienischen Zeitungen, heisst es bei SPR. Danach erklärte Arafat am 19. Dezember 2001 gegenüber L’Espresso, die Hamas sei mit israelischer Unterstützung gegründet, finanziert und ausgebildet worden. Und acht Tage zuvor sagte der PLO-Chef gegenüber dem Corriere della Sera, die Hamas sei ein «Geschöpf Israels», was ihm Rabin bestätigt habe.
Einen weiteren Beleg liefert SPR mit Aussagen des ehemaligen US-Botschafters in Saudi-Arabien, Charles Freeman. Dieser wird in dem Buch «Devil’s Game» von Richard Dreyfuss (2006) zitiert: Israel habe die Hamas gegründet, so Freeman. «Es war ein Projekt des Shin Bet [des israelischen Inlandsgeheimdienstes], der das Gefühl hatte, dass er damit die PLO eindämmen könnte.»
Als weiterer Zeuge wird der Chef des israelischen Militärgeheimdienstes IDI Amos Yadlin angeführt. Dieser habe laut Dokumenten, die Wikileaks veröffentlichte, 2007 gesagt, Israel wäre «glücklich», wenn die Hamas den Gazastreifen übernehmen würde. Dann könne die israelische Armee mit dem Gazastreifen wie mit einem feindlichen Staat umgehen.
Ausserdem werden ehemalige israelische Funktionäre und solche der Hamas zitiert, die sich 2009 gegenüber der Zeitung Wall Street Journal (WSJ) äusserten. Danach hat Avner Cohen die Hamas als «Israels Schöpfung» bezeichnet. Er hat den Angaben nach mehr als zwei Jahrzehnte in Gaza gearbeitet und die Entwicklung der Hamas beobachtet. Bei SPR heisst es dazu:
«Anstatt zu versuchen, die Islamisten im Gazastreifen von Anfang an einzudämmen, so Cohen, habe Israel sie jahrelang toleriert und in einigen Fällen sogar gefördert, um ein Gegengewicht zu den säkularen Nationalisten der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und ihrer dominierenden Fraktion, Jassir Arafats Fatah, zu schaffen.»
Hamas als Verbündete Israels
David Hacham, in den 1980 und 1990er Jahren Experte für arabische Angelegenheiten beim israelischen Militär in Gaza, sagte gegenüber dem WSJ: «Wenn ich auf die Kette der Ereignisse zurückblicke, denke ich, dass wir einen Fehler gemacht haben». Aber damals habe niemand über die möglichen Folgen nachgedacht.
Selbst Ministerpräsident Benjamin Netanjahu taucht als Zeuge auf: «Im Oktober 2023 berichtete die israelische Zeitung Haaretz über eine Sitzung der Likud-Partei im März 2019, auf der der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu seine Strategie erläuterte, Katar zu erlauben, die Hamas in Gaza weiter zu finanzieren, um Gaza vom Westjordanland zu isolieren», so SPR mit Quellenverweis dazu.
Das habe der ehemalige israelische Verteidigungsminister Avigdor Liberman 2020 bestätigt. Er enthüllte Berichten zufolge, dass Mossad-Chef Yossi Cohen und der für den Gazastreifen zuständige Spitzenoffizier der israelischen Streitkräfte, Herzi Halevi, im Februar 2020 Katar auf Anweisung von Netanjahu besuchten, um die katarische Führung zu bitten, die regelmässigen Zahlungen an die Hamas fortzusetzen.
Der Investigativ-Journalist Seymour Hersh hatte kürzlich geschrieben, dass Katar mit israelischer Zustimmung begann, Hunderte von Millionen Dollar an die Hamas-Führung zu schicken. Die Vereinbarung sei getroffen worden, nachdem Benjamin «Bibi» Netanjahu 2009 wieder Ministerpräsident wurde. Hersh zitierte seinen israelischen Informanten:
«Bibi war überzeugt, dass er mit dem Geld aus Katar mehr Kontrolle über die Hamas haben würde.»
Ein weiterer hochrangiger israelischer Zeuge ist laut SPR Generalmajor Gershon Hacohen, der den politischen Rechten in Israel zugerechnet werde. Er wurde vom israelischen Onlinemagazin Walla News im August 2021 zitiert:
«Die Wahrheit muss gesagt werden, Netanyahus Strategie besteht darin, die Zwei-Staaten-Option zu verhindern, und deshalb hat er Hamas zu seinem engsten Partner gemacht. In der sichtbaren Dimension ist Hamas ein Feind, in der verborgenen Dimension ist sie ein Verbündeter.»
Der Walla-Autor Haim Ramon, ein ehemaliger Politiker, schrieb auch von der politischen Entscheidung, dass Israel die Trennung zwischen dem Westjordanland und dem Gazastreifen aufrechterhalten will, um die Palästinensische Autonomiebehörde zu schwächen und die Hamas zu stärken. «Für diejenigen, die an der Theorie des ungeschriebenen Bündnisses zwischen Hamas und Netanjahu zweifeln», zitierte er Netanjahus Worte:
«Der Geldtransfer [an die Hamas] ist Teil der Strategie, die Palästinenser von Gaza und dem Westjordanland zu trennen. Jeder, der sich der Gründung eines solchen Bündnisses widersetzt …, sollte den Transfer von Geldern von Katar an die Hamas unterstützen. Auf diese Weise werden wir die Gründung eines palästinensischen Staates vereiteln.»
Westliche Paten des Terrors
Die SPR-Autoren erinnern an weitere Terrorgruppen neben der Hamas, die von westlichen und israelischen Geheimdiensten «gegründet oder unterstützt» worden sind und werden. Danach zählen dazu unter anderem «Abu Nidal» und seine Gruppe, Carlos «Der Schakal» Ramirez, die «Roten Brigaden» oder der palästinensische «Schwarze September».
Es wird auch daran erinnert, dass die CIA seit den 1980er Jahren das «Al Qaida»-Netzwerk islamistischer Kämpfer um Osama Bin Laden aufbaute, damit sie in Afghanistan die sowjetische Armee bekämpfen. 2001 wurden ihnen die Anschläge vom 11. September zur Last gelegt. Später seien sie nach Libyen gebracht worden, als der Westen 2011 Muammar al-Gaddafi stürzte und ermorden liess.
Das Gleiche sei in Syrien geschehen, dort aber erfolglos durch den Einsatz Russlands und des Irans an der Seite von Damaskus. Daraufhin «schufen und setzten Geheimdienste eine noch aggressivere Terrorgruppe, ISIS, ein, die heimlich über das NATO-Mitglied Türkei und die NATO-Verbündeten Jordanien und Israel versorgt wurde», so SPR.
Dort heisst es:
«Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der grösste Teil der Geschichte des modernen Terrorismus, nicht nur seit 2001, sondern wirklich seit dem Zweiten Weltkrieg, eine von westlichen und israelischen Geheimdiensten inszenierte Täuschung war.»
Doch diese wird mit Hilfe der etablierten Massenmedien weiter aufrechterhalten.
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