Die Europäische Union bietet jetzt einen eigenen DNS-Auflösungsdienst an – «zur Stärkung der digitalen Souveränität und Sicherheit für EU-Bürger», wie es auf der dazugehörigen Website heißt. Unter dem Namen «DNS4EU» steht der kostenfreie, «sichere und private» Resolver-Dienst zur Verfügung. Das Kürzel DNS steht für Domain Name Service und ist eine elementare Komponente des gesamten Internetbetriebs.
Obwohl ein DNS-Dienst praktisch für alle Zugriffe auf Internet-Ressourcen benötigt wird, haben viele Menschen vermutlich noch nie davon gehört. Das liegt daran, dass in der Regel der Internet-Zugangsprovider die entsprechenden Einstellungen für seine Kunden vornimmt. Dieser Dienst löst alle «sprechenden» Internet-Adressen, wie «transition-news.org», in die dazugehörigen IP-Adressen (zum Beispiel «185.70.41.52») auf, welche die Computer und Server für ihre Verbindungen benötigen.
Für jede Webseite, die ein Benutzer im Browser aufruft, wird also im Hintergrund immer zuerst eine Verbindung zu einem DNS-Dienst hergestellt. Dabei hinterlässt der Anfrager einerseits unweigerlich Spuren wie seine eigene IP-Adresse. Andererseits kann die Antwort des DNS-Servers durchaus gesteuert sein. Ob jedoch beispielsweise die IP-Adresse gespeichert wird (Tracking) oder das Ergebnis manipuliert ist (gesperrte Domains), kann der Benutzer kaum wissen. DNS ist also zu einem großen Teil Vertrauenssache.
Die EU preist ihr «Sicherheitsinfrastrukturprojekt» unter dem Stichwort «digitale Souveränität» an. Es handele sich um offizielle, sichere und private DNS-Auflösung, die entwickelt worden sei, um Einzelpersonen zu schützen sowie Dienstleister und Regierungen zu inspirieren. Angeblich möchte die Union damit den Bürgern helfen, unabhängiger von US-Unternehmen wie Google oder Cloudflare zu werden.
Das DNS4EU-Projekt sei datenschutzkonform und sicher: Die IP-Adresse des Nutzers werde vollständig anonymisiert, bevor sie direkt im Resolver protokolliert werde, und es würden keinerlei private Daten erfasst. Das kann man glauben oder auch nicht. Die mögliche Filterung von Inhalten ist ein Feature, das durchaus nicht unüblich ist für DNS-Dienste. Bei der EU darf der Nutzer zwischen Werbeblockern und Kinderschutzfilterung wählen.
Experten für Cybersicherheit aus verschiedenen EU-Ländern würden für die «sicherste DNS-Auflösung» zusammenarbeiten. Bedrohungen und Schwachstellen begegne man mit innovativen Lösungen, fortschrittlichen Algorithmen und neuen Strategien. Weiter heißt es zu dieser Zusammenarbeit:
«DNS4EU liefert regionale Bedrohungsinformationen in Echtzeit. Eine in einem Land entdeckte bösartige Bedrohung wird in mehreren Ländern oder Regionen blockiert, um ihre Verbreitung zu verhindern.»
«Offizielle europäische Lösung» bedeutet hier ein Konsortium aus neun Unternehmen (Domainregistrare und DNS-Unternehmen) innerhalb der EU unter der Federführung der tschechischen Sicherheitsfirma Whalebone. Mit Ablauf der EU-Förderung Ende 2025 solle DNS4EU «kommerzialisiert» werden, schreibt Heise, also in den Betrieb durch ein gewinnorientiertes Unternehmen übergehen. Diese Kommerzialisierung habe indes bereits begonnen.
Die Betreiber betonen, die DNS4EU-Resolver würden «keinerlei rechtliche Filterung» anwenden. Derzeit scheine das System keine Zensur auszuüben, urteilt der Experte für IT-Sicherheit Mike Kuketz in seinem Blog.
Die Zukunft des Projekts sei in dieser Hinsicht jedoch offen, auch mit Blick auf politische Entwicklungen wie die geplante Chatkontrolle (wir berichteten hier und hier). Die permanent zunehmende Instrumentalisierung der Begriffe «Desinformation» oder «Hassrede» unterstreicht das, könnte man ergänzen.
Ein DNS-Dienst der EU könne Vorteile bieten, aber auch Risiken bergen, da er zum Werkzeug für Kontrolle und Überwachung werden könne, konstatiert Kuketz. Daher blieben die Entwicklung und die eingeschlagene Richtung des Projekts genau zu beobachten.
Wer prüfen möchte, welche DNS-Resolver er gerade benutzt, kann Tools wie dnsleaktest.com oder dnscheck.tools befragen. Einige alternative Dienste listet Kuketz in seinen Empfehlungen auf. Verschiedene Möglichkeiten zum Ändern der DNS-Einstellungen sind auch auf der DNS4EU-Website beschrieben.