Der ehemalige CIA-Analytiker Ray McGovern hofft noch immer, dass US-Präsident Donald Trump tatsächlich daran interessiert ist, mit Russland eine Einigung zum Ukraine-Krieg zu finden. Seine ehemalige Kollegin Elizabeth Murray ist da eher skeptisch. Bei einem Pressegespräch der beiden heutigen Friedensaktivisten mit Journalisten freier Medien am 10. Juli sagte sie, dass sie Trump eher nicht traue.
«Trump nutzt seine Annäherung oder seine Annäherungsversuche an Russland vielleicht als Mittel, um Russland ein wenig näher an die USA und ein wenig weiter von China weg zu ziehen.»
Die USA hätten China im Visier, erinnerte sie und verwies auf das Doppelspiel gegenüber dem Iran, mit dem erst verhandelt und der dann doch angegriffen wurde. Statt die Diplomatie zu nutzen, um eine friedliche Lösung zu finden, seien Bomben geworfen worden. Für sie stehe die Frage:
«Aber wie kann man jemandem vertrauen, der in der internationalen Diplomatie so vorgeht?»
Murray hat 27 Jahre lang für die CIA gearbeitet und war dort bis zu ihrem Ausstieg 2010 für den Nahen Osten beziehungsweise Westasien zuständig. Nach eigenen Angaben analysierten sie unter anderem die irakischen Medien. Vor dem Krieg gegen den Irak 2003 sei sie vom damaligen Staatssekretär im Kriegsministerium Pentagon Paul Wolfowitz, aufgefordert wurde, Belege über die Verbindung zwischen Irak und Al Qaida zu finden. Das hatte sie bei einer gemeinsamen Veranstaltung mit McGovern in Berlin 2015 berichtet.
Sie habe aber nichts gefunden und dennoch habe Wolfowitz immer wieder neu gefordert, solche Belege zu finden. Ihre Vorgesetzten hätten ihre Frage, woher die offiziell verbreiteten Informationen über die angebliche Verbindung des Irak mit Al Qaida stammten, nicht beantworten können. Die damalige Lüge von den angeblichen irakischen Massenvernichtungswaffen sei das Muster für die aktuellen Behauptungen, der Iran sei kurz vor dem Bau einer Atombombe gewesen, sagte sie nun zehn Jahre später in Berlin.
«Kriege werden mit Lügen begonnen»
Bei dem Pressegespräch betonte sie, dass sie froh sei, den australischen Journalisten Julian Assange wieder in Freiheit zu wissen. Dieser habe immer gesagt, «dass, wenn Kriege durch Lügen begonnen werden können, Frieden durch Wahrheit begonnen werden kann».
Die ehemalige CIA-Analytikerin berichtete, dass sie mit McGovern am Tag zuvor an einer Konferenz deutscher Physiker zum Thema Atomkrieg teilgenommen hatte. Dabei sei viel über die Gefahren im Zusammenhang mit den Atommächten USA, Russland und China gesprochen worden, aber nicht über das atomar bewaffnete Israel. Sie habe danach gefragt und auf den Unterschied hingewiesen, dass alle über iranische Atomwaffen reden, «die genauso wenig existieren wie die irakischen Massenvernichtungswaffen vor all den Jahren».
Danach habe «Stille im Raum» geherrscht, weil sie die «verbotene Frage» gestellt habe. Murray, die vor ihrer Tätigkeit beim US-Nachrichtendienst als Journalistin gearbeitet hatte, fügte hinzu, sie erzähle davon, weil «ich es für unsere Pflicht halte, über das Unaussprechliche zu reden». Dazu gehöre in den USA der Mord an John F. Kennedy und die Anschläge vom 11. September 2001. In Deutschland sei der Anschlag auf die Nord Stream-Pipelines eines dieser Themen.
Elizabeth Murray beim Pressegespräch am 10. Juli 2025 in Berlin (alle Fotos: Tilo Gräser)
Aus ihrer Sicht gehören zu den «unaussprechlichen Themen» die Sanktionen der USA gegen die die UN-Sonderberichterstatterin für Menschenrechte in den von Israel besetzten Gebieten, Francesca Albanese. Anlass war deren jüngster Bericht darüber, welche Rolle Unternehmen, Banken und Universitäten bei der Unterstützung von Israels systematischer Gewalt gegen Palästinenser spielen – vom Herstellungsprozess der Waffen bis zur Finanzierung des Krieges und der Legitimierung von Verbrechen. «Warum geht der israelische Völkermord weiter?» wird in dem Bericht gefragt und auch die Antwort gegeben: «Weil es für viele lukrativ ist.» Murray sagte dazu:
«Ich finde es sehr interessant, dass Francesca Albanese nicht sanktioniert wurde, solange sie über internationales Recht sprach. Aber als sie anfing, sich mit den wirtschaftlichen Zusammenhängen zu befassen, war das wohl die rote Linie.»
Für sie als US-Amerikanerin sei es «absolut inakzeptabel, dass meine Regierung jemanden sanktioniert, der für die Menschenrechte von Menschen kämpft, die das erleben, was man Vernichtung nennt, was man als Vernichtung bezeichnet». Sie berichtete beim Pressegespräch davon, dass sie am Vortag auf dem Treffen mit den Physikern mit einem jungen Wissenschaftler gesprochen hatte. Der habe noch nie von dem israelischen Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser und von deren Leid gehört.
«Wir leben in einer Art dystopischer Welt»
Es sei «traurig zu sehen, dass sehr gebildete Menschen davon nichts wissen». Es seien «die ausgelassenen Informationen, die so wichtig sind», betonte die ehemalige CIA-Analytikerin. Der Angriff auf Albanese habe «nun endgültig bestätigt, dass wir in einer Art dystopischer Welt leben, in der internationales Recht und Rechtsstaatlichkeit einfach außer Kraft gesetzt sind». Es sei eine Welt, in der mächtige Schurkenstaaten, darunter mein Land, die Vereinigten Staaten von Amerika, und Israel, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen dürfen, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden».
«Das entlarvt die hässliche Kehrseite unserer sogenannten westlichen Zivilisation.»
Murray beklagte in Berlin «Heuchelei, Grausamkeit, Doppelmoral und Rassismus» im Westen und belegte das mit Zitaten aus dem Albanese-Bericht. Sie zog ein klares Fazit:
«Niemand kann von nun an das Bekenntnis des Westens zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit oder Menschenrechten ernst nehmen, wenn er die Sprache der brutalen Gewalt hört, der schwarzen Männer. Attentate mit den neuesten technologischen Errungenschaften, darunter KI-gesteuerte Drohnen und Quadcopter, die sogar das Weinen eines kleinen Kindes imitieren, um Menschen aus ihren Häusern zu locken, damit sie von den Kugeln eines Quadcopters getötet werden können.»
Auch das sei «absolut inakzeptabel» sagte sie und bat in dem Zusammenhang die anwesenden Journalisten, sich zu fragen: «Was bedeutet es für Sie, wenn Menschen sagen ‹Nie wieder›?» Sie äußerte sich auf Nachfrage auch zu den israelischen und US-amerikanischen Angriffen auf den Iran. Diese würden einem ähnlichen Drehbuch wie beim Krieg gegen den Irak 2003 wegen der angeblichen Massenvernichtungswaffen folgen.
«Das war nicht der Grund, warum wir dort einmarschiert sind, das war ein Vorwand. Die Vereinigten Staaten waren an den Ressourcen des Irak interessiert und wollten die Ölvorkommen mit den verschiedenen Ländern teilen, die sich der Koalition der Willigen angeschlossen hatten.»
Auch die angeblichen iranischen Atombombenpläne seien nur ein Vorwand, stellte Murray klar. Sie erinnerte an den Bericht der US-Geheimdienste von 2007, der zu dem Schluss kam, dass der Iran nicht an einer Atomwaffe gearbeitet hatte. Seit 2003 gebe es keine Beweise, dass Teheran an Atombomben arbeiten lasse. Tulsi Gabbard, die Direktorin des Nationalen Geheimdienstes, habe dies nur drei Monate vor dem Angriff auf den Iran tatsächlich wiederholt. Doch Trump habe dazu erklärt: «Es ist mir egal, was sie sagt.»
«Man muss langfristig denken»
Die ehemalige CIA-Mitarbeiterin sieht als einen der Hintergründe die Pläne israelischer Politiker für ein «Groß-Israel», «Eretz Israel». Sie würden sich vom Iran bedroht fühlen, «weil der Iran sehr unabhängig ist» und die Kräfte unterstütze, die sich gegen die illegale israelische Besatzung Palästinas wehren oder sich wie die Hisbollah im Libanon gegen die israelischen Angriffe verteidigen – die es vor den israelischen Angriffen nicht gegeben habe.
«Man muss also langfristig denken, man muss die Geschichte betrachten und sieht, dass es immer eine Vielzahl von Ausreden gibt, die Länder für ihre Invasionen vorbringen.»
Sie äußerte sich in dem Pressegespräch am 10. Juli auch zum Verhältnis zwischen den USA und Deutschland. Der Anschlag auf die Nord Stream-Pipeline im September habe ihr klar gemacht, dass die USA Deutschland als Wirtschaftsmacht in Europa sahen. Eine der größten Befürchtungen der USA sei eine Union zwischen Deutschland und Russland oder eine sehr enge Beziehung zwischen diesen beiden Ländern. Das sei für jeden offensichtlich, «der Augen und Ohren hat».
Die offiziellen Erklärungen und Vertuschungsversuche zum Angriff auf die Nord Stream-Pipeline seien «einfach nur absurd», sagte Murray und fügte hinzu:
«Ich denke, wir alle wissen, dass es für die CIA, ermutigt durch ihre verschiedenen Wall-Street-Herren und die Eliten und die Bilderberger und all die Leute, die die wirklichen Entscheidungen treffen und die Politiker als ihre Werkzeuge benutzen, eine strategische Entscheidung war.»
Sie habe die Pressekonferenz am 7. Februar 2022 gesehen, bei der US-Präsident Joseph Biden im Beisein von Bundeskanzler Olaf Scholz darüber sprach, welche Rolle die Vereinigten Staaten bei Nord Stream spielen würden. Angesichts des «unterwürfigen Schweigens» von Scholz dabei, würde sie Deutschland und den Deutschen raten:
«Tut, was ihr könnt, um eure Beziehungen zu Russland wieder aufzubauen. Ihr seid alle hier in der Region, und wir sind so weit weg, und die Vereinigten Staaten hatten nie wirklich Freunde. Sie hatten nur Interessen.»
Mit Blick auf die westliche Kriegshysterie gegenüber Russland stimmte sie McGovern zu, der zuvor erklärt hatte, dass Russlands Präsident Wladimir Putin keinen Krieg mit der NATO wolle. Sie beunruhige aber, dass der erweiterte militärisch-industrielle Komplex – McGovern nannte ihn «MICIMATT» (Military Industrial Congressional Intelligence Media Academia Think Tank Complex) – den Krieg will. Er sei bereit, alles zu tun, um wieder massive Mengen an Waffen zu verkaufen wollen.
«Welche Seite provoziert hier?»
Die Ukraine sei «bis an die Zähne bewaffnet» worden und werde jetzt im Stich gelassen, wo sie am Verlieren sei. Sie verwies darauf, dass Trump erklärt habe, dass er keine Verlierer mag, und dass nicht auszuschließen sei, dass er taktische Atomwaffen mit geringer Sprengkraft einsetzen lasse. Ihr machten die Hysterie und die Angst ebenso wie die westlichen Provokationen durch Militärübungen an der russischen Grenze Sorge.
«Welches Land hat schon so viele Raketen, sogar atomwaffenfähige Raketen, an der Grenze zu Russland aufgestellt? Welche Seite provoziert hier?»
Ähnlich äußerte sich die heutige Friedensaktivistin am Folgetag im Gespräch mit der Eurasien Gesellschaft wie auch auf der Konferenz des Schiller-Institutes am darauffolgenden Wochenende in Berlin. Bei Ersterem bezeichnete sie die USA als «schwindende Supermacht», die mit «Verzweiflungstaten» auf den Aufstieg Chinas und auch Russlands sowie deren wachsendes Ansehen in der Welt reagiere.
Elizabeth Murray am 12. Juli bei der Internationalen Konferenz des Schiller-Institutes
Sie frage sich, ob Peking und Moskau mit Blick auf die Ereignisse im Nahen Osten auf den Zusammenbruch Israels und den «unvermeidlichen wirtschaftlichen Zusammenbruch» der USA warten. Trump sei «ein totaler Clown», bei dem niemand wisse, was er von einem Tag auf den anderen tun wird. Murray vermutet, dass er von einer sehr kleinen Gruppe von Beratern umgeben ist, die seine Informationen sehr sorgfältig filtern und was die politischen Entscheidungen, die er treffen kann, beeinflusse.
Gegenüber den Mitgliedern der Eurasien Gesellschaft sagte sie mit Blick auf die Nord Stream-Pipeline, Deutschland sei «in einer etwas unglücklichen Lage», und fügte hinzu:
«Ich weiß nicht, ob offen darüber diskutiert wird, wer dafür verantwortlich ist und was Deutschland dagegen tun wird. Aber ich habe das Gefühl, dass Deutschland und Europa im Allgemeinen von den Vereinigten Staaten einfach beiseite geschoben werden. Ich glaube, dass sie ein schwaches Deutschland wollten.»
Sie wisse nicht, ob es möglich sein wird, das rückgängig zu machen, so Murray, «es sei denn, die Menschen in Deutschland in Führungspositionen setzen sich gegen die Vereinigten Staaten zur Wehr». Zu den Hintergründen des Anschlages sagte sie, es sei «bizarr», dass die US-Regierung danach erklärte, dass Russland dafür verantwortlich sei, oder dass einige Ukrainer in einem kleinen Boot das verübt hätten. «Halten die uns wirklich für so dumm?», fragte sie ihre deutschen Gesprächspartner. Sie verwies auf die Frage «Cui bono?», danach, wem ein Ereignis nutzt:
«Wir alle wissen, wer davon profitiert hat. Und ich glaube, dass US-amerikanische Politiker in einigen Fällen sogar Schadenfreude gezeigt haben: Jetzt kaufen sie unser Öl. Ich glaube, sogar Trump hat das irgendwann gesagt. Es ist eine schreckliche Demütigung für Deutschland. Es hat Deutschland ruiniert. Es hat die Wirtschaft ruiniert. Und ich hoffe, dass deutsche Politiker irgendwann aufstehen und die Vereinigten Staaten dafür verurteilen werden.»
«Unterschätzen Sie niemals Ihre Kraft!»
Die ehemalige CIA-Analytikerin ist seit vielen Jahren in der US-Friedensbewegung aktiv, setzt sich für eine atomwaffenfreie Welt ein und engagiert sich wie McGovern und andere US-Geheimdienstveteranen in der Gruppe «Veteran Intelligence Professionals for Sanity» (VIPS). Auf der Konferenz des Schiller-Institutes berichtete sie unter anderem von der 81-jährigen US-Friedensaktivistin Susan Crane, die in Deutschland wegen ihrer Proteste gegen die US-Atomwaffen auf der Basis Büchel zu einer Haftstrafe verurteilt wurde.
Murray berichtete außerdem von einer Demonstration im Februar dieses Jahres vor dem US-Rüstungskonzern Raytheon in Tucson, Arizona, wo Atomwaffen und konventionelle Waffen hergestellt werden, die in Gaza und anderen Orten eingesetzt werden, die die USA bombardieren. Für diese Aktion müsse sie sich Anfang September vor Gericht rechtfertigen.
Raytheon beschäftige 15.000 Menschen in der Region Tucson und sei «leider der größte Arbeitgeber». Gemeinsam mit anderen sei sie auf das Raytheon-Gelände gegangen und habe ein Schild gehalten, auf dem stand: «Raytheon-Atomwaffen werden uns alle zu Asche verwandeln.» Bei der Festnahme sei ihnen das Schild nicht abgenommen und die Polizisten hätten sie «mit ziemlich viel Respekt» behandelt.
Viele der Raytheon-Mitarbeiter, die die Aktion und auch die blinkenden Polizeilichter sahen, hätten ihnen zugewunken und den Daumen hochgehalten, erzählte Murray und fügte hinzu:
«Unterschätzen Sie niemals Ihre Kraft, Menschen zu verändern, und Sie wissen nie, wen Sie mit Ihren Handlungen erreichen können.»
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